NSA-Affäre und die Folgen:Gereiztheit unter Freunden

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"Erschüttertes Vertrauen": Bei EU-Parlamentariern ist das Entsetzen ob der Abhör-Affäre groß

(Foto: AFP)

"Skandal allererster Güte" oder "Business as usual"? Während die Europäer empört darüber sind, dass der Geheimdienst NSA offenbar EU-Einrichtungen abgehört und Metadaten im großen Stil abgegriffen hat, wiegeln die Amerikaner ab. Doch die Affäre ist längst zur Belastungsprobe für die transatlantischen Beziehungen geworden.

Von Matthias Kolb

"Vertraut uns, das ist alles halb so wild" - so lassen die Reaktionen aus Washington auf die jüngste Enthüllung im NSA-Skandal zusammenfassen. US-Geheimdienstkoordinator James Clapper teilt schriftlich mit, dass die US-Regierung der Europäischen Union "angemessen über unsere diplomatischen Kanäle antworten" werde.

Es klingt anmaßend: Nach dem Spiegel-Bericht steht der Vorwurf im Raum, dass der US-Militärabhördienst die Botschaft der EU in Washington verwanzt hat und in Deutschland täglich die Metadaten aus 15 Millionen Telefongesprächen und zehn Millionen Internetverbindungen abfängt - doch eine öffentliche Stellungnahme ist laut Clapper nicht geplant.

Barack Obama, der gerade durch Afrika tourt, schweigt - wie schon so oft. Der US-Präsident scheint an jener "offenen Debatte" über Datenschutz und Privatsphäre, die er bei seinem Besuch in Berlin Mitte Juni versprochen hat, weiterhin wenig interessiert zu sein.

Klarer äußern sich nur Leute, die kein Amt mehr bekleiden. Michael Hayden, einst Chef von NSA und CIA, wirft den Europäern am Sonntag in der CBS-Sendung "Face the Nation" indirekt Heuchelei vor. Schließlich würden alle Staaten spionieren und der im vierten Zusatzartikel der US-Verfassung garantierte Schutz der Privatsphäre sei nicht Teil eines international gültigen Vertrags. Haydens Rat: "Jeder Europäer, der sich nun schockiert über Auslandsspionage beschwere, sollte zunächst herausfinden, was die eigene Regierung so anstellt."

"Ich hoffe, er spricht mit mir"

Solche Worte können Martin Schulz nicht beruhigen. Es wäre ein "Skandal allererster Güte", wenn es sich bestätigen würde, dass der NSA die EU-Einrichtungen in Washington und New York verwanzt hätte, sagte der Präsident des Europaparlaments am Montag im Deutschlandfunk. Solche Methoden kenne er nur aus der Zeit des Kalten Krieges. Es sei bestürzend, wenn man "in einem befreundeten Land als befreundete Macht nicht sicher sein kann", so Schulz. Der SPD-Politiker will den US-Botschafter befragen: "Ich hoffe jedenfalls, er spricht mit mir und hat eine Erklärung."

Gerade unter EU-Parlamentariern ist das Entsetzen groß, viele fühlen sich hintergangen. Der CSU-Abgeordnete Manfred Weber klagt über "erschüttertes Vertrauen", während die Sozialdemokratin Birgit Sippel im Gespräch mit der SZ von einem "Affront sondergleichen" spricht. Am Wochenende hatte Justizkommissarin Viviane Reding bei einem Bürgerdialog in Luxemburg die geplanten Gespräche über ein Freiheitshandelsabkommen (Transatlantic Trade and Investment Partnership - TTIP) in Frage gestellt. Der Grüne Daniel Cohn-Bendit fordert sogleich einen Abbruch der Gespräche.

Taktisches Schweigen der Brüsseler Granden

Schulz ließ im Deutschlandfunk Zweifel erkennen, dass ein solcher radikaler Schritt sinnvoll sei. "Ich glaube, man muss in dieses Freihandelsabkommen verbindliche datenschutzrechtliche Elemente hineinverhandeln. Ich glaube, das ist der bessere Weg, als überhaupt nicht mehr mit den Vereinigten Staaten zu reden." Die Vorstellung, dass die US-Geheimdienste nicht mehr spionieren würden, sei illusorisch: Das Europaparlament müsse wie bei den Abkommen über die Fluggastdaten oder beim SWIFT-Abkommen zu Bankdaten Verbesserungen erreichen. Es wird damit gerechnet, dass das Europäische Parlament bei seiner Sitzung in Straßburg in dieser Woche eine Resolution zum Thema verabschieden wird. Es werden hitzige Debatten erwartet.

Während der französische EU-Kommissar Michel Barnier von den Amerikanern via Twitter "dringend" Antworten einfordert, ist von EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso kaum etwas Substanzielles zu hören. Eine Sprecherin der Kommission sagte, Barroso habe eine "umfassende sofortige Sicherheitsüberprüfung" in allen EU-Büros weltweit veranlasst. Die Medienberichte seien "verstörend" und verlangten "volle Aufklärung".

Beobachter werten das auffällige Schweigen des konservativen Portugiesen als Zeichen, dass das Freihandelsabkommen TTIP nicht gefährdet werden solle. Der Beginn der Verhandlungen war erst vor drei Wochen beim G-8-Gipfel in Nordirland von Obama, Kanzlerin Merkel und Barroso verkündet und als Motor für die Weltwirtschaft gepriesen worden.

Wenn die auf mehrere Jahre angesetzten Gespräche über TTIP erfolgreich verlaufen, würde die entstehende Freihandelszone stolze 44 Prozent des globalen Handels umfassen und knapp die Hälfte des weltweiten Bruttosozialprodukts. Da die Europäer auf 400.000 neue Jobs hoffen, soll eine allzu große Belastung der Gespräche vermieden werden.

Auch die EU-Außenpolitikbeauftragte Catherine Ashton hält sich bedeckt und erklärt in einem Statement, sie habe die USA um "dringende Klarstellung" gebeten. Als Politikerin aus Großbritannien, dem einzigen EU-Land, deren Bürger die USA offenbar bei der Bespitzelung schonen, befindet sich Ashton in einer nicht ganz einfachen Sonderstellung.

In den Think-Tanks dies- und jenseits des Atlantiks wurden die Berichte des Spiegels und des Guardian mit einer Mischung aus Bestürzung und Sarkasmus aufgenommen. So schreibt etwa Jan Techau vom Brüsseler Büro der Carnegie-Stiftung von einem "Dolchstoß in den Rücken", den der Verbündete USA den Europäern zufüge.

Forderung nach öffentlicher Stellungnahme

Mehrere amerikanische Transatlantiker sehen die jüngsten Enthüllungen ebenfalls mit Sorge und fürchten Folgen für die diplomatischen Beziehungen. "Das ist ein sehr ernstes Problem", sagt Heather Conley, die Europachefin des "Center for Strategic and International Studies" in Washington, zu Spiegel Online. Kurz vor den Bundestagswahlen könnten die "unterschiedlichen Auffassungen zum Datenschutz die Zusammenarbeit zwischen Europa und den USA etwa beim geplanten Freihandelsabkommen ernsthaft belasten".

Charles Kupchan von der Georgetown University nennt die Enthüllung sehr "unangenehm" für Washington. Jack Janes, Leiter des American Institute for Contemporary German Studies, sieht die Washingtoner Regierungsspitze in der Pflicht. Er sagte Spiegel Online: "Außenminister John Kerry oder gar der Präsident selbst werden dieses Thema bald öffentlich ansprechen müssen. Sie können es nicht länger ignorieren."

Bislang hat John Kerry, Obamas Chefdiplomat, andere Prioritäten. In Brunei sagte er am Montag nach einem Treffen mit EU-Chefdiplomatin Ashton, es sei "nicht unüblich", dass Staaten Informationen über andere Länder sammelten. Weil er sich auf Reisen befinde, könne er zu den Medienberichten nichts sagen.

Am Wochenende hatte er sich jedoch trotzdem zu einem EU-Thema geäußert: Per Mitteilung gratulierte er im Namen von Präsident Obama und der amerikanischen Bevölkerung den Kroaten zum EU-Beitritt.

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