NS-Vergangenheit:Gedanken über Gedenken

Neues 'Arbeit macht Frei'-Tor für Dachau

Die Eingangstür in der Gedenkstätte des Konzentrationslagers Dachau bei München wurde gestohlen, sie wurde inzwischen durch einen originalgetreuen Nachbau ersetzt.

(Foto: dpa)

Aus Auschwitz lernen: Historiker Peter Steinbach spürt dem "Nie wieder" nach und sieht bedenkliche Anzeichen im heutigen Deutschland.

Rezension von Ulrike Nimz

Nie wieder - zwei Worte, ein Versprechen.

Der Historiker Peter Steinbach, seit 1989 wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin, spürt in seinem Essay "Nach Auschwitz" diesem Versprechen nach: Welche Bedeutung hat das Wissen um die Existenz des Vernichtungslagers für die politische Kultur in Deutschland, und wie kann ritualisiertes Gedenken ein neuerliches Erstarken des Antisemitismus verhindern?

Ganz neu ist das nicht. Schon Adorno schrieb in seiner "Erziehung nach Auschwitz": "Die Forderung, dass Auschwitz nicht noch einmal sei (. . .), geht so sehr jeglicher anderen voran, dass ich weder glaube, sie begründen zu müssen noch zu sollen."

Warnung vor Erosion

Diese Selbstverständlichkeit sieht Steinbach, knapp 50 Jahre nach Adorno, gefährdet. Indizien dafür gebe es genug: die anfängliche Verunglimpfung der Verbrechen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" als "Döner-Morde", Hetze vor Flüchtlingsheimen, Synagogen unter Polizeischutz.

Auch wenn die kritische Auseinandersetzung mit der Nazizeit fest im Schulunterricht verankert ist, Gedenkstätten wie Dachau oder Bergen-Belsen gut besucht sind, warnt der Autor vor Erosion: Was, wenn dieses Gedenken an festen Tagen und Orten nur noch Pose ist? Steinbach nimmt nicht nur gelangweilte Schüler, sondern auch die Politik ins Visier.

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Sachbuch "Nach Auschwitz" stellt der Verlag hier zur Verfügung.

Beim kollektiven Gedenken, schreibt er, geht es um "gesellschaftliche Inklusion", um ein Miteinander mit Andersdenkenden, um Konfrontation mit dem Leid der Verfolgten. Das politische Alltagsgeschäft jedoch sei zunehmend bestimmt durch Exklusion, wie etwa die Diskussion über vermeintliche "Wirtschaftsflüchtlinge" aktuell zeige.

Seine Gedanken über das Gedenken flankiert Steinbach mit der Beschreibung des Zusammenbruchs der Weimarer Republik und der Demokratiedämmerung , die die Machtergreifung Hitlers markierte.

NS-Vergangenheit: Peter Steinbach, Nach Auschwitz. Die Konfrontation der Deutschen mit der Judenvernichtung. Dietz-Verlag 2015, 108 Seiten, 14,90 Euro. Als E-Book: 12,99 Euro.

Peter Steinbach, Nach Auschwitz. Die Konfrontation der Deutschen mit der Judenvernichtung. Dietz-Verlag 2015, 108 Seiten, 14,90 Euro. Als E-Book: 12,99 Euro.

Die Kapitel entgehen der Gefahr, als altbekannt überblättert zu werden nur dadurch, dass Steinbach sie in die Frage nach Verantwortung münden lässt: Selbstgleichschaltung bis hin zum Kadavergehorsam glaubt er auch heute wieder zu erkennen, etwa wenn sich Pegida-Anhänger als "das Volk" verstehen.

Historiker, schreibt Steinbach, beziehen ihr Wissen aus dem Geschehenen, nicht aus der Mitte der Entwicklungen heraus, sie sind deshalb "schlechte Gewährsleute", um Entscheidungssituationen im Hier und Jetzt zu beurteilen. Steinbach aber gelingt genau das.

Die ewige Frage

Es ist die ewige Frage, was und ob wir aus Geschichte lernen. Denn natürlich werden auch heute noch Ortsnamen zu Synonymen für Verbrechen.

Das Massaker in Srebrenica jährte sich im Juli zum 20. Mal. Massenmorde wie der an den Tutsi in Ost-Zentralafrika finden in Echtzeit statt, oft sind Reporter vor Ort. Der Satz "Davon haben wir nichts gewusst" ist heute noch weniger glaubwürdig als damals.

Was also ist zu tun, damit das "Nie wieder" nicht zur leeren Floskel, aus einem Denkmal keine "Kranzabwurfstelle" wird?

Das ist die zentrale Botschaft in Steinbachs im Kern humanistischer Schrift: Wenn jene gestorben sind, die von den Gräuel berichten können oder für sie verantwortlich sind, dann müssen wir die Zeitzeugen der Zeitzeugen werden.

Wachsam sein, die Augen offen halten, wichtiger noch: den Mund aufmachen.

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