NS-Vergangenheit:Erdöl für den Führer

KZ-Häftlinge im Einsatz für das Unternehmen "Wüste"

Die Nazis fanden Rohstoffe auch in der Schwäbischen Alb. Gefangene mussten noch 1945 aus den Ölschiefervorkommen Treibstoff gewinnen - fünf Häftlinge vor dem Hubofen der Versuchsanlage in Schömberg.

(Foto: oh)

Geologen waren in der NS-Zeit gefragt, weil sie die für den Krieg benötigten Rohstoffe suchen konnten. Nach dem Krieg setzten sie ihre Karrieren nahtlos fort - und die braune Vergangenheit wird bis heute totgeschwiegen.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Einen wie Hans-Joachim Martini setzt man nicht ins Büro, der muss ins Feld. Es ist schließlich Krieg.

Prag, 1943. Im besetzten Tschechien soll ein ordentliches "Amt für Bodenforschung" entstehen, ein geologischer Dienst für das "Reichsprotektorat". Gesucht wird nur noch der Chef, und Martini wäre prädestiniert. Im Mai aber interveniert ein Beamter des Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit in Prag. Martini müsse der "im Kriege vordringlichen praktischen Leitung des Einsatzes der Fachkräfte des Amtes" erhalten bleiben, kabelt der Beamte an seinen zuständigen Abteilungsleiter. Er brauche eine Position, die ihm "zwar die tatsächliche Leitung des Amtes für Bodenforschung sicherte, ihn aber vor der Beschäftigung mit den verwaltungsmässigen Einzelheiten dieses Amtes bewahrte". So soll es auch kommen.

NSDAP, SA, SS - Martini hat einen lupenreinen Nazi-Lebenslauf

Geologen sind im NS-Staat gefragt. Die Nazis benötigen Öl für ihren Krieg, viel Öl. Also braucht es Leute, die danach fahnden können. Auch in Böhmen und Mähren sollen sich alle Zweige der Bodenforschung darauf konzentrieren, "dass sie der Kriegs- und Vierjahresplanwirtschaft auf das intensivste dienen", verlangt das Wirtschaftsministerium im besetzten Prag. Und was dem Deutschen Reich lieb ist, ist der jungen Bundesrepublik kurz darauf teuer. Wer als Geologe im Nationalsozialismus Karriere gemacht hat, darf es kurz darauf in der Demokratie weiter tun. Die Geologie gilt als unverdächtig, Biografien interessieren nicht.

Martini ist ein junger, erfolgreicher Geologe. 1940 kommt er, 32 Jahre jung, nach Prag. Schon ein Jahr später wird er Bezirksgeologe, leitet die Bodenforschung im Protektorat. Im April 1943 wird er SS-Mann, Untersturmführer in der 108. Standarte in Prag. Parteimitglied ist er schon seit 1937, Mitgliedsnummer 4 669 262. Vorher war er schon anderthalb Jahre Mitglied der SA gewesen, bis 1942 gehörte er dem Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps NSKK an, einer paramilitärischen Einheit der NSDAP. Der Lebenslauf, den Martini handschriftlich verfasst hat, ist lupenrein.

Die A 7 östlich von Hannover, im Oktober 1969. In dichtem Nebel rasen zwei Lastwagen ineinander. Eine schwarze Dienstlimousine kommt dahinter zum Stehen, der Chauffeur sieht die Gefahr im Rückspiegel und kann gerade noch herausspringen. Sein Chef nicht. Als der nächste Lastzug auffährt, stirbt Hans-Joachim Martini. Er ist der Präsident der Bundesanstalt für Bodenforschung, des geologischen Dienstes der Bundesrepublik. Jener Martini, der 25 Jahre zuvor der Kriegswirtschaft "aufs intensivste" dienen sollte, der Mitglied von SA und SS war.

Martini ist nicht der Einzige, der nach dem Krieg weiter Karriere macht

Schon im Sommer 1945 ist das vergessen. Martini ist in seine niedersächsische Heimat zurückgekehrt, seine Familie lebt am Harz. In Hannover arbeitet er fortan am Aufbau des neuen Amtes für Bodenforschung mit, zusammen mit seinem Mentor Alfred Bentz und Gerhard Richter-Bernburg, NSDAP-Mitglied Nummer 5 386 548.

Bentz war im Dritten Reich "Bevollmächtigter für die Erdölgewinnung" und somit von großer Bedeutung für den Krieg. "Es ist Ihre Aufgabe, das Aufsuchen neuer Erdölquellen und die Vorbereitung ihrer Erschließung mit jedem möglichen Nachdruck zu fördern", schreibt 1938 Hermann Göring an Bentz. "Sie wollen als mein Beauftragter nur persönlich handeln und sich nicht vertreten lassen." Alle nötige Hilfe sei ihm gewiss. Auch saß Bentz der Deutschen Gesellschaft für Mineralölforschung (DGM) vor - die vor allem die Autarkiebestrebungen der Nazis umzusetzen versuchte. "Er war weit entfernt von politischem Engagement in diese Richtung, aber die Aufgabe faszinierte ihn", sagt die Wissenschaftshistorikerin Ilse Seibold, die Bentz' Rolle aufgearbeitet hat. "Er hat mit den Wölfen geheult."

Auch nach dem Krieg. Aus dem neuen Amt für Bodenforschung wird 1958 die Bundesanstalt für Bodenforschung, ihr erster Präsident: Alfred Bentz. Er wird auch Präsident der wiedererstandenen DGM, nun unter dem Namen "Deutsche Gesellschaft für Mineralölwissenschaft und Kohlechemie", DGMK. Neben Geologen sind hier vor allem Unternehmen Mitglied, die Interesse an den Forschungsergebnissen haben: Mineralöl- und Erdgaskonzerne. Als Bentz 1962 in Ruhestand geht, steht sein Nachfolger in der Behörde schon fest: Hans-Joachim Martini. Auch Martini wird DGMK-Präsident.

Das Boden-Amt

Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) ist der geologische Dienst der Bundesrepublik. Die Behörde, die dem Wirtschaftsministerium untersteht, kennt den deutschen Boden wie niemand sonst. Sie kommt ins Spiel, wenn nach Öl oder Gas gesucht wird. Auch beim Fracking und der Suche nach Atomendlagern war sie beteiligt. Im Ausland bewerten BGR-Leute Rohstoffvorkommen. SZ

Die systematische geschichtliche Untersuchung steht 70 Jahre später noch aus

Die braune Geschichte des Geologen wird nie wieder ein Thema. 1975 wird aus der Bundesanstalt für Bodenforschung die heutige Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR). Doch anders als andere Bundeseinrichtungen geht die Behörde, die dem Bundeswirtschaftsministerium untersteht, nie ihren NS-Geschichten nach - und das, obwohl sich vom Reichsamt für Bodenforschung direkte Linien in die Nachfolge-Institutionen ziehen lassen, trotz der besonderen Rolle der Geologen im Dritten Reich. Eine "systematische geschichtliche Untersuchung", so heißt es knapp bei der Behörde in Hannover, "steht noch aus", man sei aber mit dem Wirtschaftsministerium dazu in Gesprächen. Der Zweite Weltkrieg ist ja auch gerade erst gut 70 Jahre her.

Martini etwa hat in Prag alle Hände voll zu tun, auch ohne lästige Büroarbeit. Dokumente des tschechischen Staatsarchivs, die Süddeutsche Zeitung und WDR ausgewertet haben, belegen sein Bemühen um die Rohstoffversorgung. Südlich von Brünn findet seine Truppe 1943 Erdgas, es soll auch helfen, Autos zu betreiben. Im Jahr darauf ist es ein Geheimprojekt der SS, das Martini umtreibt. Das SS-Lazarett im Prager Stadtteil Podol soll einen unterirdischen Ableger bekommen, hineingetrieben in den Prager Burgberg Vyšehrad. Die acht Seiten "Vorbericht", die Martini über den SS-Bau abliefert, sind mehr als gründlich. Die Akribie, mit der er den geologischen Aufbau des Berges analysiert, lassen seine Qualitäten als Geologe ahnen. Gebaut wird das Lazarett nicht mehr.

Noch heute verleiht eine Stiftung den "Hans-Joachim-Martini-Preis"

1981 findet sich eine Gruppe von Industriellen zusammen, sie möchten die Arbeit der Bundes-Geologen tatkräftig unterstützen. Ein Fonds soll gegründet werden, um "verdiente Mitarbeiter" der Bundesanstalt in Hannover zu unterstützen. Sein Name: "Hans-Joachim-Martini-Fonds". Aus dem Fonds wird später eine Stiftung, noch heute verleiht sie Wissenschaftlern den "Hans-Joachim-Martini-Preis". Um die dunkle Geschichte machten aber auch die Gründer stets einen Bogen. Im Entwurf für den Lebenslauf des Stiftungspatrons hieß es noch: "Gelegenheit, auch sein diplomatisches Geschick zu beweisen, bot ein Auftrag in Prag, wo er den geologischen Landesdienst der Tschechoslowakei gleichschalten sollte". In der Endfassung war das "gleichschalten" verschwunden, ersetzt durch ein harmloses "beraten". Der Rest fiel dem Vergessen anheim.

Einzig die Stadt Hannover interessierte sich noch einmal für Martinis NS-Geschichte. Im Zuge der "städtischen Erinnerungskultur" wollte sie klären, welche Straßennamen der braunen Vorgeschichte wegen besser verschwinden sollten. Den "Martinihof" gibt es dort bis heute. Noch bis 2013 hieß das Hauptgebäude der BGR in Hannover "Alfred-Bentz-Haus". Dann verlor es den Namen. Stillschweigend.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: