NS-Unternehmer Friedrich Flick:Immer den richtigen Riecher

In einem neuen Buch analysieren fünf Historiker, wie der unbeirrbare Selfmademan Friedrich Flick mit der NS-Führung kollaborierte und dabei gute Geschäfte machte.

Franziska Augstein

Als alles zu Ende war, hat Friedrich Flick sich als Opfer geriert. Etwas verkürzt formuliert, lautete seine Argumentation bei den Nürnberger Prozessen: Er sei von den Nazis gezwungen worden, Profit zu machen. Von 1933 bis 1943 war das Vermögen seines Konzerns von rund 225 Millionen auf 950 Millionen Reichsmark angewachsen.

Friedrich Flick im Nürnberger Industriellen-Prozess

Im ersten Nürnberger Industriellen-Prozess wurde der Unternehmer Friedrich Flick 1947 durch einen amerikanischen Militärgerichtshof zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Er kam allerdings schon nach drei Jahren wieder frei. 1963 erhielt er sogar das große Bundesverdienstkreuz.

(Foto: Foto: SZ-Foto)

Das Streben nach Profit und Macht ist für Unternehmenshistoriker ein entscheidendes Moment. Während andere Publizisten das Tun deutscher Unternehmen in der NS-Zeit vom moralischen Standpunkt anprangern, untersuchen Unternehmensgeschichtler die Eigenlogik des Profitstrebens. So ergab sich etwa, dass das Haus Bertelsmann braune Literatur gern publizierte, weil sie einträglich war, nicht unbedingt deshalb, weil der Verleger ein überzeugter Nationalsozialist gewesen wäre.

Das gleiche gilt für Friedrich Flick, dem die fünf Historiker, die im Auftrag des Münchner Instituts für Zeitgeschichte die Geschichte seines Unternehmens im Dritten Reich schrieben, den ehrlichen Glauben an den Nationalsozialismus nicht nachweisen können: Die Quellenlage gebe dergleichen nicht her. Das Buch über den Flickkonzern hat ein Enkel, der Kunstsammler Friedrich Christian Flick, finanziert. Auf eine Danksagung hat er verzichtet. Die Studie ist ausgezeichnet, penibel recherchiert und für einen Leser, der auch unterhalten werden will, bis zum Überdruss umfassend.

Friedrich Flick, der Selfmademan, hatte immer den richtigen Riecher. In den zwanziger Jahren reüssierte er als Stahlproduzent. In der Weltwirtschaftskrise kaufte er nicht wahllos Unternehmen zusammen, sondern beschränkte sich darauf, das Kerngeschäft auszubauen. Im Herbst 1933, da hatte er schon etliche Hitlerbüsten versenden lassen, biederte er sich bei den neuen Machthabern mit einer "Informationskampagne" an: Sein Konzern füge sich besser in die rüstungswirtschaftlichen Planungen als die Ruhrindustrie.

Er stand auf bestem Fuß mit Hjalmar Schacht, dem Wirtschaftsminister und Generalbevollmächtigten für die Kriegswirtschaft, und mit Paul Pleiger, dem Leiter des Heereswaffenamts. Göring und Himmler wusste er zu nehmen. Die NSDAP bedachte er großzügig mit Zuwendungen. Er betrieb politische "Landschaftspflege", wie sein Sohn Friedrich Karl es später tun sollte, nur dass der Vater im Dritten Reich wusste, auf welche Partei es einzig ankam.

Der 1882 geborene Bauernsohn Friedrich Flick dachte bäuerlich solide: Man kann nur verarbeiten, was man hat. Im Zweiten Weltkrieg sollte es ihm zugute kommen, dass er von Anfang an Wert darauf gelegt hatte, von Rohstofflieferanten möglichst unabhängig zu sein. Aus den "Arisierungen" zog er nicht bloß seinen Nutzen, er ließ auch - als Hilfestellung für die Politik - ein entsprechendes Gesetz entwerfen, das auf die Enteignung des großen Konkurrenten Ignaz Petschek zielte.

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Immer den richtigen Riecher

Als den endgültigen unternehmerischen Sündenfall beschreibt Bernhard Gotto Flicks Argument, der Ignaz-Petschek-Konzern dürfe nur solchen Unternehmen zufallen, "deren Interesse aus nationalsozialistischen Gesichtspunkten zu begründen ist". Gotto kommentiert: "Weil das Eigentumsrecht wie kein anderes Rechtsgut das Fundament des kaufmännischen Handelns bildet", erweise diese Anpassung ans nationalsozialistische Denken die vollständige Abkehr vom genuin unternehmerischen Kalkül. "Von den Arisierungen", stellt Axel Drecoll fest, "profitierte der Konzern quantitativ wie kein anderes privates Unternehmen."

Solche Dinge sind es, aus denen die Unternehmenshistoriker ableiten, dass Friedrich Flick sich schuldig machte. Seine Entscheidung, unter dem brutalen deutschen Besatzungsregime in Lothringen eine Firma zu leiten, schreibt Johannes Bähr, machte ihn "zum Komplizen dieser Politik". Dass die Konzernspitze über die grausame Ausbeutung der Zwangsarbeiter in Flicks Betrieben im Bilde war, zeigt Axel Drecoll.

Die Wirtschaft solidarisiert sich

Drecoll scheint dennoch zu bezweifeln, dass Flick es mehr als andere, weniger potente Industrielle verdiente, 1947 in Nürnberg vor Gericht gestellt zu werden. Dies nicht ohne weiteres einleuchtende Urteil mag sich daraus ergeben, dass der Autor das Kapitel über den Prozess zum Teil aus Sicht der Akten schreibt, die die Ankläger hinterließen: Der Chefankläger Telford Taylor habe die Auswahl der Hauptschuldigen als wichtigsten Teil des Prozesses bezeichnet, sei sich also, so muss der Leser schließen, seiner Sache nicht ganz sicher gewesen. Die Ankläger, so Drecoll, hätten "die ideologische und institutionelle Nähe der Flick-Manager zum Regime" überschätzt. Dieses Urteil nimmt auch deshalb wunder, weil Flick noch 1944 so agierte, als werde das Dritte Reich den Krieg gewinnen.

Das Buch lässt keinen Zweifel daran, dass Flick mit der NS-Führung aufs übelste kollaborierte. Freilich, so Gotto, sei seine Systemnähe seit 1945 meist etwas verzerrt dargestellt worden: Seine guten Kontakte hätten ihm weniger konkrete Vorteile eingetragen, als ein für den Konzern günstiges Klima geschaffen. Von ethischer Warte betrachtet, ist der Unterschied nicht sehr bedeutend; für Unternehmenshistoriker ist er jedoch wichtig.

1947 solidarisierte sich die deutsche Wirtschaft mit Flick. Der Konzernherr und seine Manager stilisierten sich zu unschuldig Verfolgten. Letztlich hatten sie damit Erfolg: Als Flick 1950 vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen wurde, kam man ihm allseits zu Hilfe. Kim C. Priemel beschreibt, wie die bayerische Staatsregierung ihm - gegen Widerstand im Kabinett - sogar zwanzig Millionen Mark zuschanzte. 1963 erhielt der verurteilte Kriegsverbrecher Flick, worauf er seit Jahren erpicht war: das große Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband.

Johannes Bähr, Axel Drecoll, Bernhard Gotto, Kim C. Priemel, Harald Wixforth: Der Flick-Konzern im Dritten Reich. R. Oldenbourg Verlag, München 2008. 1018 Seiten, 64,80 Euro.

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