NS-Geschichte:Präzisionswerk zu Hitlers Diktatur

Leipziger Straße in Berlin mit Fahnen geschmückt, 1937

Die anlässlich einer Rede Adolf Hitlers mit NS-Fahnen geschmückte Leipziger Straße in Berlin im Jahr 1937.

(Foto: Scherl/SZ Photo)

Historiker Ulrich Herbert seziert die NS-Zeit auf nur 125 Seiten - kann das gut gehen?

Buchkritik von Robert Probst

Allein das Personenregister wirkt wie ein Witz. Eine Seite und darauf fünfmal Göring, viermal Goebbels und achtmal Himmler. Hitler kommt ein bisschen öfter vor, immerhin. Und das in einem Buch, das das gesamte "Dritte Reich" beschreiben soll.

Der Freiburger Historiker Ulrich Herbert ist sich dieser Problematik natürlich voll bewusst, im Vorwort schreibt er von einem "Wagnis" und einer "knappen Skizze". Auch auf den zweiten Blick scheint das Projekt dann aber nicht nur ein Wagnis zu sein, sondern ein riesengroßes Wagnis. "Das dritte Reich. Geschichte einer Diktatur" umfasst gerade mal 125 Textseiten.

Herbert, Autor der viel gerühmten "Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert" (2014), kennt die Ereignisse und Zusammenhänge der Zeit zwischen 1933 und 1945 aus seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit wie wenige andere in Deutschland.

Nur diese breite Kenntnis verleiht offenbar die Souveränität, das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte auf kleinstem Raum zu analysieren - fast ohne etwas Wichtiges auszulassen. Und es sind einige Kniffe nötig, die der Darstellung allerdings sehr zugute kommen.

Auf dem neuesten Forschungsstand

Zum ersten ist da der schon erwähnte fast völlige Verzicht auf Personalisierung. Die NS-Größen kommen nur da vor, wo es für die Erzählung unerlässlich ist. Zum zweiten gibt es recht wenige Zitate, auch dies ist dem Lesefluss förderlich.

Und zum dritten wird die Geschichte schlicht und ergreifend auf Basis des neuesten Forschungsstandes präsentiert - die oft über Jahrzehnte geführten Fachdebatten über die Deutung und Gewichtung einzelner Aspekte der NS-Geschichte kommen mit Ausnahme eines kurzen Exkurses über die "Sonderweg"-These nicht vor. Das mag für Historiker ein Graus sein und manches Urteil von Herbert könnte auch auf Widerspruch stoßen.

Trotz der Kürze wirkt die Lektüre nicht wie ein Schnelldurchgang, im Gegenteil. Faktengesättigt, nüchtern und sicher im Urteil faltet der Autor alle wichtigen Aspekte der braunen Diktatur auf, wobei ein Schwerpunkt auf der Interaktion der Deutschen mit der NS-Führung liegt.

Zu jeder Phase seit dem Ende der Kaiserzeit wird ein Blick auf die Deutschen geworfen, die zum Ende der Weimarer Zeit die Demokratie mehrheitlich ablehnten, zum Beginn der Diktatur die "Legitimationsvokabel" von der "Volksgemeinschaft" gerne annahmen und auch während des Krieges von sozialpolitischen Leistungen profitierten.

Der Autor zeigt, wie wenig Interesse die Deutschen dem Schicksal der Juden, aber auch dem der Zwangsarbeiter im Reich entgegenbrachten, und dass die, die wissen wollten, was in den Vernichtungslagern im besetzten Polen geschah, es zumindest erahnen konnten.

"Die deutsche Gesellschaft funktionierte während der NS-Zeit als Herrschaft der rassisch Privilegierten und Bevorrechtigten, und indem dies zur alltäglichen Routine, zur sozialen Praxis wurde, stabilisierte sich dieser Mechanismus." Bei Teilen der Bevölkerung konstatiert Herbert zusammenfassend eine "Art von Komplizenschaft" mit Hitlers Staat.

Schwerpunkt Weltkrieg

Der Schwerpunkt der Darstellung liegt bewusst auf der Phase des Zweiten Weltkriegs, dem Vernichtungsfeldzug im Osten, den diversen Überlegungen zur Vertreibung der Juden, später der Debatte über die "Endlösung" der Judenfrage und schließlich der Ausführung des Menschheitsverbrechens. Zahllose Zahlen und Zusammenhänge halten sich dabei die Waage.

Themen wie Widerstand und alliierte Kriegspolitik bleiben allerdings Randaspekte. Bei aller Knappheit fehlt jedoch der Hinweis auf zahllose Widersprüche im Handeln der NS-Führung nicht.

Ulrich Herberts schmaler Band ist darum auch nicht nur eine Einführung ins Thema. Er beinhaltet alle wichtigen Informationen, um mitreden zu können. Kurzum: Hier liest man eine präzisere Diagnose als in manchem dicken Wälzer zur NS-Geschichte.

Ulrich Herbert: Das Dritte Reich. Geschichte einer Diktatur. Verlag C.H. Beck München 2016, 133 Seiten, 8,95 Euro.

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