NPD-Verbotsverfahren:Wiedersehen vor Gericht

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Otto Schily und Horst Mahler verteidigten früher gemeinsam RAF-Terroristen - heute sind sie Gegner im NPD-Prozess.

Annette Ramelsberger

(SZ vom 09. Oktober 2002) - Der NPD-Vorsitzende Udo Voigt marschiert in den Saal des Bundesverfassungsgerichts. Vor ihm geht sein Prozessbevollmächtigter Horst Mahler, hinter ihm 16 Mann und eine Frau aus dem NPD-Vorstand. Er vermittelt den Eindruck, auf ein Schlachtfeld zu treten: "Als Soldat freue ich mich, das Weiße im Auge des Gegners zu sehen", sagt Voigt. Dann wird er einsilbig. Denn es geht um die jüngste Äußerung seines Anwalts. Mahler hatte gesagt: "Wenn in Deutschland das Recht wiederhergestellt ist und die Bundesregierung hinter Gittern sitzt", dann werde er nur für einen einzigen einen "Gnadenantrag" stellen - für seinen alten Freund Otto Schily.

Bundesinnenminister Schily schüttelt nur den Kopf, als er auf den "Gnadenantrag" angesprochen wird. "Es ist eine Tragödie mit diesem Mann", sagt er wie zu sich selbst, "aber das hatte schon immer solche Züge." Schily und der Anwalt der NPD kennen sich seit Jahrzehnten. Gemeinsam vertraten sie 1967 die Eltern von Benno Ohnesorg, der bei einer Demonstration gegen den Schah- Besuch in Berlin von einem Polizisten erschossen worden war. Gemeinsam verteidigten sie Mitglieder der RAF im Stammheim-Prozess. Später tauchte Mahler mit der RAF in den Untergrund ab, Schily war sein Anwalt. Doch Mahler selbst machte alle Bemühungen um ein mildes Urteil mit seinem Schlusswort zunichte: "Mit den Bütteln des Kapitalismus redet man nicht, auf die schießt man." Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis vollzog Mahler eine radikale Wende zum Rechtsextremismus; im Jahr 2000 trat er der NPD bei.

Nun stehen sich Schily und Mahler als Gegner gegenüber. Schily will das Verbot der NPD vor dem Verfassungsgericht erreichen, Mahler will es verhindern. Und beide haben ein Problem: Sie können ihre Sichtweise nicht wirklich beweisen. Der eine gibt sich als Vertreter einer friedfertigen Partei, die junge Menschen mit falschen Vorstellungen vom Nationalsozialismus zur Realität erziehe. Der andere hat über den Verfassungsschutz so viele V-Leute in der NPD gewonnen, dass nicht mehr klar ist, ob diese Partei noch eine eigenständige Partei oder schon eine "Staatsagentur" ist, wie Mahler das nennt. Eigens um dieses Problem zu lösen, hat das Verfassungsgericht den Erörterungstermin angesetzt: "Wir haben es abgelehnt so zu tun, als hätten wir kein Problem mit den Tatsachen. Wir haben eins", sagt der Vorsitzende des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts, Winfried Hassemer. Das Problem lässt sich so umreißen: Auf welche Beweise soll sich das Gericht stützen? Sprechen V-Leute die Wahrheit? In welchem Abhängigkeitsverhältnis stehen sie?

Zu Beginn scheint Mahler sich zu verzetteln: Der Staat versuche, die NPD klein zu halten, weil er befürchte, dass die Mehrheit der Deutschen sich "die völkische Geschlossenheit erhalten und die Multi-Ethnisierung" abwehren wolle, die ihr die Regierung aufdrücke. Die Vertreter von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung beginnen zu lächeln. Zu früh. Denn plötzlich spricht Mahler über einen V-Mann der Polizei, der in Karlsruhe eine Kameradschaft aufgebaut hat, was auch in Kreisen des Verfassungsschutzes als "Katastrophe" gewertet wird. Und er spricht den so genannten Schmücker-Prozess in Berlin an, in dem der Verfassungsschutz in Verdacht geriet, an der Ermordung eines V- Manns beteiligt gewesen zu sein. Damals erreichte Schily als Anwalt, dass ein Verfassungsschützer vor Gericht aussagen musste. Heute lehnt er es ab, dass Namen und Daten von V-Leuten offen gelegt werden. Auch die Richter machen es den Befürwortern des NPD-Verbots nicht leicht: Sie fragen, warum sich die Behörden so sicher seien, dass das, was ihre Regeln vorschreiben, von den V- Leuten auch wirklich befolgt werde. Die Vertreter von Bund und Ländern müssen sich mühen, zu zeigen, dass V-Leute "Fleisch vom Fleische" der NPD seien, und ihre Informationen kein "vergiftetes Brot".

"Das Nachprüfen der Beweise erlauben Sie uns nur zum geringen Teil", sagt der berichterstattende Richter Hans-Joachim Jentsch zu ihnen. Denn die Behörden haben zwar erklärt, sie hätten rund 15Prozent V-Leute in der rechtsextremen NPD; sie haben Dienstvorschriften vorgelegt, haben angeboten, die Führungspraxis anhand der enttarnten V-Leute darzustellen. Aber Namen zu nennen, lehnen sie ab. "Ihre Motive verstehe ich völlig", sagt Richter Jentsch. "Aber wie soll dieses Gericht die Wahrheit erkennen?" Müsse es dem Staat nicht zugemutet werden, "sein Material gerichtsfähig aufzuarbeiten", wenn er ein Parteiverbot wolle? In diesem Moment beginnen die Herren von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung, nervös auf ihren Stühlen zu rutschen. Nach der Mittagspause ringen sie sich dann dazu durch, wenigstens über die Verteilung der V-Leute zu sprechen.

Grundsätzlich bemühe sich der Verfassungsschutz, ein bis zwei V-Leute in jedem Landesvorstand zu haben, maximal drei, in manchen Vorständen sitze aber auch gar kein V-Mann, erklären sie. Parteichef Voigt steht auf: "Es sind noch vier hochrangige V-Leute in unseren Reihen, die wir nicht kennen. Wie kann ich mir sicher sein, dass unsere Prozessvertreter nicht V-Leute sind? Können Sie dafür sorgen, dass diese Leute von der Beratung ausgeschlossen werden?" Der Direktor des Bundesrates, Dirk Brouer, beteuert, es habe keine Bestrebungen gegeben, die Prozessstrategie der NPD ausfindig zu machen. Er könne versichern, weder Bund noch Länder hätten zurzeit V-Leute im Bundesvorstand der NPD.

Irgendwann geht Schily ans Rednerpult. Ruhig ist er, präzise, fast, als wenn er wieder in der Anwaltsrobe steckte. Es gehe doch um zwei Fragen: Was will sich die NPD selbst zurechnen lassen, was ist ihr untergejubelt worden? Und Schily fragt: "Wie würde sich das Erscheinungsbild der NPD ausnehmen, wenn wir uns alle Personen weg denken, die als Informanten gewirkt haben? Wäre es dann anders?" Das ist von stringenter Logik. Doch Richter Jentsch fragt listig zurück: "Können Sie uns angeben, was wir uns weg denken müssen?" Einfach hat es auch Schily nicht vor dem Verfassungsgericht.

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