NPD-Verbotsverfahren:Richter, Rechtsextreme und Agenten

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Das Bundesverfassungsgericht muss entscheiden, inwieweit die rechtsextreme Partei von V-Männern gesteuert war.

Helmut Kerscher und Annette Ramelsberger

(SZ vom 08. Oktober 2002) - Bundesinnenminister Otto Schily kommt, sein bayerischer Kollege Günther Beckstein kommt, auch Niedersachsens Innenminister Heiner Bartling. Und Horst Mahler und Udo Voigt - die Spitzen des Rechtsstaats und die Spitzen der rechtsextremistischen NPD treffen an diesem Dienstag vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe aufeinander.

Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat wollen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands verbieten lassen. Doch darum geht es noch nicht. Erst müssen die Herren vor Gericht eine Frage erörtern, die zur Schlüsselfrage geworden ist: In wie weit beeinflussten die Verbindungsleute des Verfassungsschutzes die Linie der NPD?

Von den 210 Funktionären auf Bundes- und Landesebene der vom Verbot bedrohten Partei arbeiten mindestens 30 für den Verfassungsschutz. Das haben die Behörden selbst zugegeben - allerdings erst unter dem Druck eines empörten Verfassungsgerichts. Das hatte Mitte Januar, kurz vor Beginn der auf fünf Tage im Februar angesetzten Verhandlung, eher zufällig erfahren: Eine der 14 geladenen "Auskunftspersonen" aus den Reihen der NPD hatte als V-Mann für den Verfassungsschutz gearbeitet. Es war der Vizechef der NPD in Nordrhein- Westfalen, Wolfgang Frenz.

"Das Jahrhundert der Juden"

Der Mann hatte 1998 ein Buch verfasst, in dem er offen Antisemitismus predigte. Der Titel: "Über den Verlust der Väterlichkeit oder das Jahrhundert der Juden". Frenz und seine Tiraden wurden in den Verbotsanträgen dutzende Male zitiert - als herauskam, dass Frenz nicht nur antisemitische Bücher schreibt, sondern auch den Verfassungsschutz über das Innenleben der Partei informierte, setzten die Richter in Karlsruhe den für Februar anberaumten Prozess kurzerhand aus. Erst sollte die Sache mit den V- Leuten geklärt werden.

Noch im Januar hatte es danach ausgesehen, als könnte das Urteil im Frühsommer verkündet werden, versehen mit der Unterschrift der Gerichtspräsidentin Jutta Limbach. Die ist mittlerweile ausgeschieden, ihr Nachfolger als Vorsitzender ist ihr Senatskollege Winfried Hassemer geworden, ihre Nachfolgerin als Richterin die Bielefelder Professorin Gertrude Lübbe-Wolff. Weil Letztere aber nicht am Eröffnungsbeschluss des Gerichts vom Oktober 2001 mitgewirkt hat, findet nun auch dieses "Rechtsgespräch" ohne sie statt. Ob sie bei einer späteren Fortsetzung des Prozesses dabei wäre, ist noch offen.

Sicher ist nur, dass der Senat andernfalls ein Risiko auf sich nähme: Für die Beschlussfähigkeit sind sechs Personen nötig - und im nächsten Jahr läuft die Amtszeit des Richters Bertold Sommer aus, andererseits ist das Ausscheiden weiterer Richter wegen Befangenheit oder wegen Krankheit nicht auszuschließen. Und sechs der acht Richter des Zweiten Senats sind für ein Parteiverbot nötig: Es gehört zu den wenigen Verfahren, für die eine Zwei- Drittel-Mehrheit der Senatsmitglieder nötig ist.

Erst nach dem heutigen Termin wird sich abzeichnen, ob und wie das Gericht weiter machen will. Drei Fragen werden entscheidend sein: Wie hoch rangiert das Geheimhaltungsinteresse des Staates? Inwieweit gehen Äußerungen von V-Leuten auf das Konto der NPD? Welche vom Verfassungsschutz gewonnenen Erkenntnisse dürfen vor Gericht verwertet werden? Die Antragssteller haben zum Schutz der V-Leute ein "In-camera-Verfahren" vorgeschlagen - die Zeugenvernehmung durch einen Richter unter Ausschluss der NPD und der Öffentlichkeit - und die Vorlage geheimer Akten nur zur Kenntnis des Gerichts.

Für beide Wege gibt es Vorbilder: 1981 ließ Karlsruhe die Anonymität eines V- Mannes zu - 1999 verlangte es im Streit um einen Arbeitsvertrag die Vorlage geheimer Akten und damit ein "in camera"-Verfahren. Ob einer der beiden Wege möglich ist, soll nun in einem "Rechtsgespräch" beim Bundesverfassungsgericht klären. Alle Fragen konzentrieren sich letztlich in einer: Sind V-Leute "Fleisch vom Fleische" der NPD, die nur einem Nebenjob als Informant nachgehen - oder sind sie eingeschleuste Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, Fremdkörper also?

Die Richtlinien, die sich der Verfassungsschutz auferlegt hat, sagen klar: "Eine Quelle darf weder die Zielsetzung noch die Aktivitäten eines Beobachtungsobjektes entscheidend bestimmen." Aber natürlich legt der Verfassungsschutz Wert darauf, dass er über die Strategien und Entschlüsse der Partei informiert wird, und darüber weiß ein einfaches Mitglied wenig. Deshalb wirbt der Verfassungsschutz Kontaktleute auf der Vorstandsebene - aber solche, die bei Diskussionen im Hintergrund bleiben: Kassierer und Schriftführer zum Beispiel. Die wissen alles, reden aber meist nicht aktiv mit.

Doch inzwischen glaubt nicht mehr jeder den Zusicherungen der Verfassungsschützer: Im August wurde bekannt, dass V-Leute auch beim Vertrieb von CDs der radikalen Skinheadband Landser und der Band White Aryan Rebells mitmachten - Musikkapellen, die den Bundestag als "Rattennest" bezeichnen und zum Mord an Staatsanwälten und Polizisten aufrufen. Die V-Leute stehen demnächst vor Gericht.

Das hat mit dem NPD-Verfahren nichts zu tun - aber es wirft ein Licht auf die Zusicherung, die Verbindungsleute würden sich an die Regeln halten: keine Gewalt, keine größeren Straftaten, keine zu aktive Rolle. Alles, was über einen szenetypischen Hitlergruß hinausgeht, gilt als problematisch.In diese Glaubwürdigkeitslücke des Verfassungsschutzes versucht der Prozessbevollmächtigte der NPD zu stoßen, der frühere RAF-Anwalt Horst Mahler.

Pläne für das deutsche Volk

Er will den Geheimdiensten nachweisen, dass sie die NPD unterwandert haben, dass Gewalttaten, die als Argumente für das Verbot der Partei dienen, nicht der NPD zuzurechnen sind. Genüsslich zählt Mahler in der Parteizentrale der NPD in Berlin-Köpenick die einzelnen V-Leute auf: Tino Brandt, der in Thüringen Vizechef der Partei war, Udo Holtmann, der es in Nordrhein-Westfalen sogar zum Vorsitzenden des Landesverbandes gebracht hatte, und so weiter. "Zwei Landesverbände waren fest in der Hand der Dienste", sagt Mahler. Im Sommer galt die V-Mann-Problematik als so gravierend, dass viele davon ausgingen, dass der Prozess platzen würde. Mittlerweile gibt es andere Zeichen.

Vielleicht steigt das Gericht in der Anhörung auch in die Schriftsätze der NPD ein. Dort erklärt Mahler, die NPD solle verboten werden, "um den Widerstand gegen die Liquidierung des Deutschen Volkes auszumerzen". Der Hass auf Juden, so schreibt er an anderer Stelle, sei etwas "ganz Normales". Er und seine Kollegen vom "Deutschen Kolleg" haben sogar bereits einen "Plan für den Aufstand des Deutschen Volkes", bis hin zur Eidesformel für Polizisten, natürlich nur volksdeutsche. Ausländische werden aus dem Dienst entfernt. Beamte, die den Eid verweigern, sind "für längstens 12 Monate zu internieren".

Ein tiefer Blick in Gesinnung und Absicht der NPD - gewonnen ganz ohne V-Männer.

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