NPD:Spitzel im Überangebot

Keine extremistische Organisation ist von V-Leuten so unterwandert wie die NPD.

Hans Leyendecker

(SZ vom 28.1.2002) - Im Sommer vorigen Jahres deponierte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Heinz Fromm, ein merkwürdiges Papier in seinem Geheimsafe: Ein weißes Blatt mit ein paar Dutzend Strichen. Auf Verlangen Fromms hatten die Chefs der Landesämter für Verfassungsschutz auf dem Blatt notiert, wie viele V-Leute ihr jeweiliges Amt in den NPD-Landesvorständen oder im Bundesvorstand platziert hat.

Die Bitte des BfV-Chefs, auch die Namen der "Vertrauenspersonen" aufzuschreiben, hatten die Kollegen zuvor empört abgelehnt: Auch wenn Nachrichtendienstler unter sich sind, gilt der Quellenschutz. So konnte es passieren, dass in Nordrhein-Westfalen in den neunziger Jahren der NPD-Landesvorsitzende und dessen Stellvertreter bei verschiedenen Ämtern ihr Material ablieferten.

Der Landeschef Udo Holtmann stand beim BfV im Sold, sein Stellvertreter Wolfgang Frenz diente dem nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz. Frenz wurde 1995 "abgeschaltet", weil seine antisemitischen Ausfälle zu heftig geworden waren. Die Quelle Holtmann sprudelte weiter.

Was geschah, verstehen selbst Experten kaum

Weil Frenz Anstalten machte, sich nach seinem Rauswurf in NRW beim BfV als Spitzel zu bewerben, informierten 1996 die Düsseldorfer die Kölner Kollegen über dessen geheimdienstliche Vergangenheit. Zumindest in diesen beiden Fällen muss das BfV, das dem Bundesinnenministerium untersteht, den Durchblick gehabt haben. Dennoch finden sich Aussagen von Frenz aus dem Jahr 1998 und Parolen von Holtmann als Beweismaterial in dem Verbotsantrag gegen die NDP.

Was da geschah, können selbst Experten kaum noch nachvollziehen. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, spricht von einer "Realsatire mit völlig grotesken Zügen". Jedermann in der Geheimdienst-Szene weiß, dass keine extremistische Organisation so von Spitzeln des Verfassungsschutzes unterwandert ist wie die NPD.

Es handelt sich dabei allerdings nicht um eingeschleuste Agenten, sondern um rechte Überzeugungstäter, die aus unterschiedlichen Motiven ein Doppelspiel betreiben. Die Landesämter sind sogar so gut mit Spitzeln aus der NPD-Szene versorgt, dass sie - wie in Düsseldorf und in München - einige V-Leute aufgefordert haben, zu anderen rechtsextremistischen Organisationen zu wechseln.

Auch dem Ex-Richter Wiefelspütz war klar, dass das "NPD-Verbotsverfahren mit Erkenntnissen gespickt ist, die auf V-Leute zurückzuführen sind". Dies hat Wiefelspütz im Januar 2001 in einem SZ-Interview erklärt. Am gestrigen Sonntag sagte der SPD-Rechtsexperte der SZ, er sei "allerdings nie auf den Gedanken gekommen", dass die Materialsammlung, die der Bund für die Verbotsanträge von Regierung, Bundestag und Bundesrat zur Verfügung gestellt habe, noch Pamphlete von ehemaligen V-Leuten wie Frenz enthalte. "Ich wusste nicht, dass Frenz oder Holtmann Spitzel waren."

Spitzel auch aus unionsregierten Ländern

Nach Meinung von Wiefelspütz wäre es "kein großes Problem" gewesen, auf das Material der V-Leute zu verzichten. "Was die NPD öffentlich sagt, reicht für einen Verbotsantrag." Dabei war das Spitzel-Dilemma Thema auf vielen Sitzungen. Das Bundesinnenministerium will die Marschroute vorgegeben haben, kein Material von aktiven Quellen für Verbotsbegründungen zu verwenden.

Das wird vom Chef des Düsseldorfer Verfassungsschutzes, Hartwig Möller, bestätigt; Bayerns Innenminister Günther Beckstein hingegen kann sich an eine solche Abmachung nicht erinnern. Zumindest im Falle Holtmann hat sich der Bund nicht an seine angebliche Vorgabe gehalten.

Vieles deutet überdies darauf hin, dass ein Teil des Beweismaterials gegen die NPD von Spitzeln aus unionsregierten Ländern stammt. Auf einer Amtsleitertagung der Verfassungsschützer in Königswinter an diesem Wochenende zeigten sich die Vertreter von CDU und CSU ziemlich schmallippig. Vermutlich gibt es weitere U-Boote in der NPD, auf deren Äußerungen sich der Verbotsantrag stützt.

Da ist fast die Frage spannender, welcher führende NPD-Mann sich dem Verfassungsschutz verweigerte. In der Szene erzählt man sich, dass ein alter Weggefährte von Frenz und Holtmann allen Lockungen widerstanden habe. Er stammt aus Bielefeld, war NRW-Landesgeschäftsführer und als Spezialist für Totenehrungen in ganz Deutschland im Einsatz. Sein Name: Gerhard Quelle.

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