NPD in Mecklenburg-Vorpommern:Erfolgreiche rechtsextreme Kümmerer

Neo-Nazis Gather For Summer Fest

"Unsere Heimat - Unser Auftrag" - so lautet der Spruch auf diesem Jutebeutel der NPD in Mecklenburg-Vorpommern. Gesehen auf einem Sommerfest 2011.

(Foto: Getty Images)

Egal ob Kinderfeste oder Hetze gegen Asylbewerber - nirgendwo ist die rechtsextreme NPD aktiver als in Mecklenburg-Vorpommern. Sie versuchen ganze Ortschaften zu kontrollieren. Wie sich die Rechtsextremen in den Nordosten hineingefressen haben.

Von Antonie Rietzschel, Schwerin

Ein Junge im gestreiften T-Shirt springt auf einem Trampolin. Ein Mädchen in grünen Leggins sitzt vor einer Hüpfburg. Ein Clown, rote Perücke, gelbes Kostüm, läuft über eine grüne Wiese. Dazwischen die Flagge mit NPD-Logo. "Todesstrafe für Kinderschänder", steht auf einem T-Shirt. Oliver Cruzcampo klickt sich von Bild zu Bild. Die Aufnahmen stammen von einem Kinderfest Anfang September in Stralsund. Organisiert hat es die rechtsextreme NPD. Selbst der Name des Clowns ist hier kein Zufall. "Maex" lautet gleichzeitig die Abkürzung für eine Sondereinheit der Polizei, namens "Mobile Aufklärung Extremismus".

Cruzcampo ist Fotojournalist. Gemeinsam mit einem Kollegen dokumentiert er seit fast zehn Jahren rechtsextreme Aktivitäten in Mecklenburg-Vorpommern für die Internetseite Endstation Rechts. Egal ob Kinderfest oder Hetze gegen Flüchtlinge, nirgendwo, sagt der 35-Jährige, sei die NPD so aktiv wie hier im Norden.

Am Samstag trifft sich die NPD im baden-württembergischen Weinheim zum Bundesparteitag. Die Delegierten müssen über die neue Führung diskutieren, aber auch über das Ausscheiden aus dem sächsischen Landtag und das miserable Abschneiden der Partei in Thüringen und Brandenburg. Mecklenburg-Vorpommerns Landesvorsitzender Stefan Köster kann dem Treffen entspannt entgegensehen. Die Partei sitzt noch bis mindestens 2016 im Schweriner Landtag. Dass sie dann dasselbe Schicksal ereilt wie in Sachsen, ist möglich - aber derzeit keineswegs sicher. Das Wählerpotenzial liegt seit 2011 konstant bei drei bis vier Prozent, aktuelle Umfragen sehen die Partei sogar bei fünf Prozent.

Kümmerer-Strategie ist aufgegangen

Besonders erfolgeich ist die NPD in Mecklenburg-Vorpommern auf lokaler Ebene: Bei der Kommunalwahl im Mai konnte sie die Anzahl ihrer Mandate auf Stadt- und Gemeindeebene größtenteils halten und sogar zulegen. Im Gegensatz zu anderen Landesverbänden. "Ihre Kümmerer-Strategie ist hier besonders gut aufgegangen", sagt Oliver Cruzcampo. Dort wo sich andere Parteien zurückgezogen haben, füllen sie die Lücken. Allein die Kinderfeste hätten eine jahrelange Tradition. Eine Woche vor Stralsund wurde in Ferdinandshof gefeiert, einer Gemeinde im Osten Mecklenburg-Vorpommerns, mit 200 Besuchern. "Natürlich gehen da vor allem die Rechtsextremen selbst hin", sagt Cruzcampo. Aber es gebe immer noch Familien, die nur vorbeischauen wollen und erst vor Ort mit der Ideologie in Berührung kommen.

Die NPD hat sich tief in das Land hineingefressen. Geholfen haben ihr dabei die guten Kontakte zu Neonazi-Organisationen. Auch das unterscheidet sie von der früheren NPD-Hochburg Sachsen. Kameradschafter unterstützen Parteiveranstaltungen nicht nur zur Wahlkampfzeit. Sie stellen beispielsweise den Ordnungsdienst auf NPD-Demonstrationen. In der Landtagsfraktion sind Kameradschafter als Mitarbeiter angestellt. So bildet sich ein weit verzweigtes Netzwerk, das sich in alle Himmelsrichtungen erstreckt. In Anklam hält der NPD-Landtagsabgeordnete Michael Andrejewski seit Jahren seine Hartz-IV-Beratungen ab.

Rechtsextreme als Nachbarn

Kader der Partei versuchen ganze Ortschaften zu beherrschen. In Jamel bei Wismar ist ein richtiges Nazidorf entstanden. Die Mehrheit der 40 Einwohner ist rechtsextrem. Direkt am Ortseingang steht ein Neubau. Dunkelbraune Backsteine bilden gut sichtbar eine Rune, die zu Nazi-Zeiten von der Lebensborngemeinschaft benutzt wurde. Ein paar Meter weiter wohnt Sven Krüger, ehemaliges Mitglied des NPD-Landesvorstands. Bis vor einem halben Jahr saß er noch im Knast, unter anderem wegen illegalen Waffenbesitzes. Ein Wegweiser vor seinem Grundstück zeigt die Entfernung zu Hitlers Geburtsort. Ein paar Schritte entfernt leuchtet an einer Mauer ein Graffiti mit der Aufschrift "Dorfgemeinschaft Jamel. Frei-Sozial-National".

NPD in Mecklenburg-Vorpommern: Gruß an die Besucher von Jamel.

Gruß an die Besucher von Jamel.

(Foto: Antonie Rietzschel)

Nahezu märchenhaft wirkt dagegen der Hof von Birgit, 56, und Horst Lohmeyer, 58. Hinter einer Mauer aus Büschen und Bäumen steht das alte Backsteingebäude, an dem Rosen emporklettern. Drinnen aalen sich gleich mehrere Katzen auf dem Fußboden. Sie fühlen sich wohl, genau wie ihre Besitzer. "Wir genießen die Landschaft", sagt Horst Lohmeyer. Vor elf Jahren ist das Ehepaar hergezogen. Vertreiben lassen, wollen sie sich nicht. Auch wenn es die Rechtsextremen immer wieder versuchen. Ihr Nachbar, ein NPD-Kreisvorsitzender, empfahl ihnen mehrmals, den Hof zu verkaufen. "Solange Sie es noch können", zitiert ihn Birgit Lohmeyer.

Immer wieder Sticheleien

Unbekannte schlitzten im vergangenen Jahr einen Autoreifen auf. Der Briefkasten verschwand nachdem das Ehepaar mehrmals Nazi-Aufkleber heruntergepult hatte. Auf dem Grundstück wurden Bäume angesägt. "Manchmal kommen deren Hunde auf unser Grundstück und jagen die Katzen. Kinder aus dem Dorf holen sie dann mit der Entschuldigung, sie seien angeblich ausgebüchst." Die Kinder. Ungefähr elf oder zwölf Jahre alt seien die jetzt, meint Birgit Lohmeyer. Sie tun ihr leid. "Die wachsen doch hier wie in einer Sekte auf."

NPD in Mecklenburg-Vorpommern: Das Ehepaar Lohmeyer vor ihrem Hof.

Das Ehepaar Lohmeyer vor ihrem Hof.

(Foto: Antonie Rietzschel)

Früher hat sich die Schriftstellerin noch mit dem Nachwuchs über den Gartenzaun unterhalten. Damit ist es vorbei. Denn die Kinder machen jetzt mit bei den Sticheleien gegen das Ehepaar. "Als was hat dich der Kleine vom Krüger kürzlich beschimpft?", fragt Birgit Lohmeyer ihren Mann. "'Ficker' oder so was", sagt der schulterzuckend."

Die Drohungen und Beschimpfungen sind ihnen gleich. Die Lohmeyers revanchieren sich auf ihre Art. Seit acht Jahren veranstaltet das Ehepaar auf der großen Wiese hinter ihrem Haus ein Festival gegen rechts. In diesem Jahr waren 650 Besucher aus ganz Deutschland da. Alphaville spielte "Forever Young". Für eine rechtsextreme Gegenveranstaltung auf Krügers Grundstück kamen gerade mal 25 Teilnehmer zusammen.

Pastörs und Köster finanzieren Thing-Haus möglicherweise mit

Ob die Rechtsextremen jemals von hier verschwinden? Birgit Lohmeyer lacht auf. "Dieses Dorf ist verbrannt." Sie und ihr Mann hätten sich damit abgefunden, ihr Leben mit den Rechtsextremen verbringen zu müssen. Ihr einziger Wunsch ist, dass die NPD verboten wird. "Wir unterstützen unsere Feinde mit unseren Steuergeldern. Das geht nicht", sagt Birgit Lohmeyer. Es ist das erste Mal, dass sie laut wird.

Nur wenige Kilometer von Jamel entfernt, befindet sich in einem Gewerbegebiet von Grevesmühlen das "Thing-Haus". Hinter dem Palisadenzaun steht ein Wachturm. Zwei riesige Hunde kläffen jeden an, der sich dem Grundstück nähert. Die alte Betonfabrik gehört Sven Krüger und war in der Vergangenheit Veranstaltungsort für mehrere Neonazi-Konzerte. Im "Thing-Haus" befinden sich aber auch die Bürgerbüros der Landtagsabgeordneten Köster und Pastörs. Als Mieter finanzieren sie das Haus mit. Durch ein Parteiverbot würden die Gelder wegfallen.

Doch ob und wann ein NPD-Verbot kommt, ist immer noch unklar. Ein entsprechender Antrag der Bundesländer wird vom Bundesverfassungsgericht geprüft. In Mecklenburg-Vorpommern hat sich die Partei bereits darauf eingestellt, immer wieder war von einem Plan B die Rede. Rechtsextremismusexperten haben eine Vermutung wie der aussehen könnte: Tarnlisten.

Faustgroße Steine durchschlagen die Fenster

Bei der Kommunalwahl im Mai tauchte in Ueckermünde, kurz vor der polnischen Grenze, plötzlich die Wählervereinigung "Wir von hier" auf. Sie schaffte den Einzug mit drei Kandidaten, darunter Marko Müller. Er ist der Bruder des NPD-Landtagsabgeordneten Tino Müller und Mitarbeiter in der Schweriner Fraktion.

Da muss sogar der Landesvorsitzende der Partei zugeben, dass man der Gruppe zumindest ideologisch nahestehe. "Ansonsten würde ich lügen", so Stefan Köster. Er sitzt im Büro von Udo Pastörs im Schweriner Schloss. Neben ihm hat es sich der Fraktionschef im roten Ledersessel gemütlich gemacht. Der scheidende NPD-Bundesvorsitzende Pastörs spricht von einem "Testballon". Wenn der Staat versuche ein Gleis zu verbieten, müsse man den Zug auf ein anderes setzen, sagt er.

Pastörs spricht leise, überlegt. Im Landtag von Schwerin oder bundesweit auf Demonstrationen brüllt er sich in Rage. Doch das passt nicht hierher. Nicht in dieses Arbeitszimmer mit dem riesigen hölzernen Arbeitstisch und gerahmten Fotos von Frauenskulpturen, klassische Schönheiten. Auf einem kleinen Schrank stehen Bilder von Pastörs' Familie.

Zu den anderen Wählervereinigungen könne er nicht viel sagen, sagt der Landesvorsitzende Köster. Grundsätzlich nehme man Kontakt zu allen Gleichgesinnten im Land auf.

Auch der Wählergemeinschaft "Schöneres Strasburg" werden Verbindungen in die rechtsextreme Szene nachgesagt. In Torgelow, ebenfalls eine Kleinstadt im Osten Vorpommerns, ist bei den Kommunalwahlen die "Alternative für Torgelow" mit zwei Kandidaten eingezogen. Einer von ihnen ist Dan Schünemann, er marschierte auch auf einer Anti-Asyl-Demo der NPD mit. Am Telefon kontert er knapp, das habe nichts zu bedeuten. Ein Treffen lehnt er ab.

Als "Drecksau" beschimpft

Patrick Dahlemann erhält Heinemann-Preis

Patrick Dahlemann steht im Mai vor der zerstörten Fensterfront.

(Foto: Jens Büttner/dpa )

Dan Schünemanns hartnäckigster Widersacher ist Patrick Dahlemann, SPD-Landtagsabgeordneter und Stadtrat in Torgelow, einem Ort mit nicht mal 10 000 Einwohnern. Er wurde bundesweit bekannt, nachdem er eine NPD-Kundgebung aufmischte. Der NPD-Funktionär Stefan Köster bot dem SPD-Mann das Mikro an. Er hielt daraufhin eine mutige Rede.

Patrick Dahlemanns Bürgerbüro im Zentrum von Torgelow zu übersehen, ist unmöglich. Die Glasfassade ist größer als das Schaufenster des Kaufhauses ein paar Ecken weiter. Das knallige Rot des SPD-Logos leuchtet bis zur nächsten Kreuzung. In Jamel sind es Rechtsextreme, die ihren Besitzanspruch an jeder Ecke deutlich machen. Hier ist es Patrick Dahlemann, der sagt. "Das ist meine Stadt. Ich bin hier aufgewachsen."

Sein wichtigstes Thema ist der Kampf gegen Rechtextremismus. "Wenn man aus der braunsten Gegend kommt, kann man das Thema kaum ignorieren", sagt der 26-Jährige. In seinem Wahlkreis bekam die NPD zur Landtagswahl 2011 die zweitmeisten Stimmen. Wenn Dahlemann spät noch arbeitet, stehen draußen manchmal Gestalten und beschimpfen ihn als "Drecksau". Im Mai dieses Jahr durchschlugen drei faustgroße Steine die doppelverglasten Fenster. "Ich habe jetzt einen guten Draht zu meinem Glaser", sagt Dahlemann.

Keine Möglichkeit, als Kümmerer aufzutreten

Dan Schüneman nennt er einen "Wolf im Schafspelz". Am Abend der Kommunalwahl habe er ihn aufgefordert, sich offen vom Rechtsextremismus distanzieren. "Bis jetzt hat er es nicht getan." Stattdessen laufe er herum und versuche Stimmung gegen ihn zu machen und: Schünemann hat Anzeige gegen Dahlemann erstattet, weil er ihn angeblich einen Neonazi genannt haben soll.

"Ich bin einer der beliebtesten Bürger dieser Stadt. Dass er sich mit mir anlegt, werden ihm viele Menschen übel nehmen", sagt Dahlemann. Es sind die Worte eines Mannes, der sich überlegen fühlt. Gleichzeitig nimmt der SPD-Stadtrat Schünemann ernst, will ihm keinen Spielraum lassen, um sich als Kümmerer aufzuspielen. Es ist nicht lange her, da gab es im Asylbewerberheim eine Messerstecherei. Die Anwohner wollten wissen, was da los war. "Wir haben sofort eine Bürgersprechstunde vor Ort organisiert und die Sorgen der Leute abgearbeitet", sagt Dahlemann. Mit einem Dan Schünemann, so der Abgeordnete, kann die Demokratie umgehen. "Doch wenn sich diese Tarnlisten untereinander absprechen, ist das eine gefährliche Entwicklung."

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