NPD im Schweriner Landtag:Schloss ohne Schlüssel

SPD und CDU sind ratlos, sie konnten den Einzug der Rechtsextremen ins Landesparlament nicht verhindern. Nur die NPD scheut sich nicht, in Mecklenburg-Vorpommern laute Töne anzuschlagen.

Ralf Wiegand und Arne Boecker

Es gibt nur diesen einen Weg. Die Brücke aus Stein führt auf eine Insel im Schweriner See, und auf dieser Insel steht ein Schloss mit luftigen Türmchen und schweren Toren, mit weiten Kuppeln und hohen Mauern, wunderschön verwunschen. "Ein Märchenschloss", schwärmt die Schweriner Stadtmarketing Gesellschaft über das Schweriner Schloss. Nirgendwo in Deutschland residiert ein Parlament romantischer als hier der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, eine Attraktion, immer gerne hergezeigt. Aber jetzt hätten sie gerne eine Zugbrücke und Fässer voll mit heißem Fett. Vielleicht würden dann die Braunen draußen bleiben.

NPD im Schweriner Landtag: Spontaner Protest gegen die NPD am Schweriner Schloss.

Spontaner Protest gegen die NPD am Schweriner Schloss.

(Foto: Foto: dpa)

Zum ersten Mal in der Geschichte des jungen Bundeslandes sind die Männer mit den alten Ideen ins Parlament von Mecklenburg-Vorpommern eingezogen. Irgendwo zwischen 6,5 und 7 Prozent würden sie landen, das sagen die Hochrechnungen, aber das wusste man schon vorher. Der Widerstand konnte sich formieren. Gewerkschafter von Verdi sind aus Rostock gekommen, Grüne schwenken Transparente für Toleranz und Weltoffenheit, Jusos warnen vor der "Endstation rechts".

Und dann hängt da noch dieses fünf, sechs Meter hohe Banner an der Siegessäule vor dem Schloss. Es zeigt ein Kreuz, ein christliches Kreuz. "Unser Kreuz, keine Haken" steht darüber.

Die Faszination des Bösen ist viel interessanter

Es war alles wie immer, wenn irgendwo eine rechtsextreme Partei in ein Parlament einzieht. Das ist die gute Nachricht: Es wollen sich nach wie vor sehr viele Menschen nicht daran gewöhnen, manche scheinen sich zu schämen, andere retten sich ins Absurde. Die "Front Deutscher Äpfel" marschiert kurz vor sechs am Abend auf der Wiese vor der Schlossinsel auf, ein Raunen geht durch die Gruppe von Punks, die auf den Stufen der Siegessäule in den Abend dämmert.

Die Apfelfrontler tragen schwarze Anzüge, rot-weiße Armbinden, sie schwenken rot-weiße Fahnen, die Aussehen wie die Fahnen der NPD, nur dass Neonazis keinen Apfel in ihrem Wappen haben. Dann ruft der Typ am Megafon: "Was gibt deutscher Jugend Kraft?" Die anderen: "Apfelsaft! Apfelsaft!" Die Punks applaudieren. Die Polizisten lächeln. Es ist nur schwarzer Humor, ätzende Kritik daran, dass "weder die so genannte Zivilgesellschaft noch der politisch-administrative Bereich das Ruder herumreißen", die Rechten verhindern konnten. So steht es auf dem Flugblatt.

Schwerin ist keine Weltstadt. An einem Wahlabend läuft alles auf dem Schlossplatz zusammen. Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD) hockt mit seinen Getreuen in der Staatskanzlei, er bleibt dort lange, weil die Zahlen nicht verraten, wer künftig den Schlüssel zum Schloss haben wird.

Gegenüber, im Mecklenburgischen Staatstheater, reichen die Christdemokraten Sekt, Wasser, Kaffee und Schnittchen im Foyer. Ein Bratwurstbudenbesitzer hat den wichtigen Eingang zur Schlossbrücke besetzt. Hier müssen sie gleich alle vorbei, auch die Rechtsextremisten. Schon den ganzen Tag jagen Gerüchte durch die Stadt. Wo könnten sie sich versammeln?

Es ist wie die Faszination des Bösen, die so viel interessanter ist, als eine Diskussion über große oder rot-rote Koalitionen. Überall in Mecklenburg-Vorpommern betreten nach 18 Uhr NPD-Mitglieder die Wahllokale. Auf dem Großen Dreesch, Schwerins Plattenbauviertel, will der Neonazi Michael Grewe bei der Auszählung zuschauen.

Der eigentliche Wahlsieger heißt FDP

"Wenn wir das nicht täten, könnte es zu massiven Wahlfälschungen kommen", raunt er. Grewe hat sich so angezogen, dass sein Weltbild nicht sofort ins Auge fällt: graue Hose, langärmeliges T-Shirt ohne Aufdruck. Im Wahllokal "Stadthaus", dem Sitz der Verwaltung, taucht der Neonazi Thomas Wulff auf. Später treffen sich die NPD-Leute in einem Bierlokal am Faulen See; "halböffentlich" heißt es nebulös.

Ganz öffentlich hatte SPD-Chef Till Backhaus den Morgen des Wahlsonntags noch bei seiner Klientel verbracht. Auf einer Landwirtschaftsausstellung im mecklenburgischen Mühlengeez eröffnete er ein Wett-Spinnen. Sowas kann er, unter Bauern fühlt er sich wohl.

Die Landwirtschaft zählt zu den wenigen Branchen im Nordosten, die funktionieren. In Mühlengeez bekam jeder Teilnehmer 80 Gramm Wolle vom Rauhwolligen Pommernschaf und musste daraus auf dem Spinnrad einen möglichst langen Faden gewinnen. Es ist ja nicht so, dass sie sich nichts einfallen lassen würden, die "Etablierten".

Aber die SPD, für die es seit 1990 im Nordosten nur steil nach oben ging, stürzt trotzdem jäh ab. In der Wahl bei den Erwachsenen und bei der Jugend. Bei der Juniorwahl, einer Internet-Abstimmung unter 4500 Schülern ab der siebten Klasse, kommen die Sozialdemokraten gerade mal auf 24 Prozent.

Die NPD schafft bei den Kids, 14 bis 16 Jahre alt, mehr als elf Prozent. Noch so eine Zahl, die Angst macht. Die NPD wird mit ihren fünf Sitzen im Landtag nicht die Gesellschaft verändern, vielleicht nicht mal ein Gesetz. Da hat sogar die FDP mehr Macht, sie ist der eigentliche Wahlsieger. Die Liberalen haben fast zehn Prozent der Stimmen bekommen, warum, weiß niemand so genau.

Angelika Gramkow, Fraktionsvorsitzende der Linkspartei/PDS sagt, durch die Aufregung um die NPD sei "die Stimmung ganz schön durcheinander gekommen". Die FDP ist ja kein ostdeutsches Phänomen wie die Rechtsextremen, die auch in Sachsen im Parlament sitzen. Die FDP wird mehr Opposition machen können als die NPD, die im Parament keine Partner finden wird. Das haben alle demokratischen Parteien versprochen.

Aber Interesse findet sie an diesem Abend, mehr als andere. Im dritten Stock des Schlosses, wo die Journalisten zwischen Wahlstudios und Arbeitsräumen wie auf Ameisenpfaden umher trippeln, steht Stefan Köster. Ihm rinnt der Schweiß in Strömen von der Stirn, die Scheinwerfer heizen ihm ein, mehr als die Fragen.

Köster, 33, ist NPD-Landesvorsitzender und wird ein Mandat im Landtag bekommen. Er weiß, was man jetzt von ihm erwartet. Er liefert Drohungen, Deutschtümelei, Ausländerfeindlichkeit. Dann sagt er, er kenne keine Neonazis , nur Neonröhren. Die Front Deutscher Äpfel muss so etwas geahnt haben. Sie schreibt: "Wir werden in der nächsten Legislatur mit der Karnevalstruppe der NPD rechnen müssen."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: