NPD distanziert sich von Terror:Tarnmanöver der Gewaltbereiten

Seit den Morden der Zwickauer Terrorzelle distanziert sich die NPD wieder von Gewalt, doch ihre Ideologie und ihre Geschichte sprechen eine andere Sprache: Gewalt ist in der Partei allgegenwärtig. Den parlamentarischen Weg etwa findet deren Präsidium "widerwärtig", aber unumgänglich für den Erfolg. Doch genügt das, um in einem rechtsstaatlichen Verfahren ein Parteiverbot zu begründen?

Toralf Staud

In der Dezember-Ausgabe des NPD-Zentralorgans Deutsche Stimme gab der kürzlich gewählte Parteichef Holger Apfel ein Interview. "Die NPD hat seit jeher Terrorismus und Gewalt aus innerer Überzeugung abgelehnt", betonte er da. Über die Taten der rechtsextremen Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund äußerte Apfel "Ablehnung" und "Abscheu"; sie seien von einer "Abartigkeit, die einen fassungslos macht", hatte er schon bei anderer Gelegenheit gesagt.

NPD droht Finanzskandal

Fahne mit dem Logo der NPD: Hinter der demokratischen Camouflage der Partei steckten immer Kriegsrhetorik und militärische Ästhetik.

(Foto: dpa)

Die NPD hat Angst. Seit die Serienmorde und Bombenanschläge der Jenaer Terroristen und deren Verbindungen zu Parteikadern bekannt wurden, schwebt ein neues Verbotsverfahren über der Partei. Doch das Verhältnis der NPD zu Gewalt und Gewalttätern ist komplizierter, als es auf den ersten Blick scheint. Zwar sind zahlreiche Parteikader wegen schwerer Gewaltdelikte vorbestraft. Immer wieder jedoch hat sich die NPD in wortreichen Erklärungen von Gewalt distanziert, gelegentlich sogar Straftäter ausgeschlossen. Was die Partei gefährlich macht, ist etwas anderes: Rhetorik und Ästhetik der NPD strotzen vor Aggressivität, und aus ihrer Ideologie folgt Gewalt geradezu zwangsläufig. Dass junge, militante Anhänger die Theorie dann auch in die Tat umsetzen, ist eine natürliche Folge. Aber genügt das, um in einem rechtsstaatlichen Verfahren ein Parteiverbot begründen zu können?

Klar ist: In keiner anderen Partei gibt es so viele Gewalttäter und Gewaltbereite wie in der NPD. Der ehemalige Thüringer Parteivize Ralf Wohlleben ist da nur ein Beispiel. Er sitzt seit Wochen in Untersuchungshaft, weil er dem NSU-Terrortrio eine Waffe verschafft haben soll. Vor mehr als zehn Jahren wurde er schon einmal wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Gemeinsam mit einem Kameraden aus dem Umfeld der Terrorzelle hatte er versucht, zwei Frauen Adressen nichtrechter Jugendlicher abzupressen.

Mitglieder aus gewaltaffinen Milieus

Schon in den Verbotsanträgen gegen die NPD aus dem Jahr 2001 finden sich lange Listen: Siebenmal innerhalb weniger Jahre wurden demnach Parteimitglieder wegen Brandstiftung verurteilt, 19-mal wegen Landfriedensbruch, 28-mal wegen Körperverletzung, 54-mal wegen schwerer Körperverletzung. In Nordrhein-Westfalen etwa hatten im Juli 2000 elf Vermummte, darunter fünf NPD-Mitglieder, eine Gedenkveranstaltung im ehemaligen KZ Kemna überfallen. In Mecklenburg-Vorpommern wurde 1995 ein NPD-Landesvize verurteilt, weil er Jugendliche zu einem Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim angestiftet hatte.

Nach dem Scheitern des Verbots riss die Kette nicht ab. 2004 gingen mehrere NPD-Kader am Rand einer Wahlkampfveranstaltung in Schleswig-Holstein auf Gegendemonstranten los. Polizisten stoppten den Angriff mit Warnschüssen. Selbst im Bundesvorstand saßen und sitzen verurteilte Gewalttäter: zum Beispiel Thorsten Heise (er versuchte, einen libanesischen Asylbewerber zu überfahren), Manfred Börm (beteiligt am Überfall auf einen Nato-Truppenübungsplatz) oder Bundesorganisationsleiter Patrick Wieschke (er stiftete einen Sprengstoffanschlag auf einen türkischen Imbiss an).

Wieschke steht nun auch bei den Terrorermittlungen im Verdacht: Er soll Beate Zschäpe, dem überlebenden Mitglied der NSU-Zelle, noch kurz vor ihrer Festnahme Unterschlupf gewährt haben. Diese Woche nahmen die Terrorermittler dann mit Carsten S. einen weiteren ehemaligen Thüringer NPD-Funktionär fest. Er soll einst bei der Waffenbeschaffung geholfen haben.

Einzelne Taten genügen für ein Parteiverbot nicht

Gewalt ist allgegenwärtig in der NPD, und häufig geht es gar nicht um Politik. Viele Mitglieder kommen aus gewaltaffinen Milieus. In der Partei gibt es Schläger und Rocker. Ein Ex-Landeschef machte nach der Karriere in der Partei eine als Schutzgelderpresser. Konflikte mit Fäusten zu lösen, auch unter Kameraden, ist normal. Generell befürworten Rechtsextreme "die Anwendung von Gewalt als ein legitimes Mittel zur Durchsetzung von Zielen" viel stärker als der Bevölkerungsdurchschnitt, stellten die Leipziger Sozialpsychologen Oliver Decker und Elmar Brähler 2006 in einer Studie fest.

Für ein Parteiverbot aber genügen einzelne Taten nicht. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes müsste der NPD als Organisation eine "aggressiv-kämpferische Haltung" nachgewiesen werden. Diesen Vorwurf sucht die Partei mit ihren Distanzierungserklärungen zu kontern. "Die NPD hat das Gewaltmonopol des Staates zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt und lehnt Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung ab", heißt es beispielsweise in einer Schulungsbroschüre, in der die Parteispitze ihren Kadern Sprachregelungen für bestimmte Fragen empfiehlt. Gewalt sei "politisch kontraproduktiv und ein Ausdruck geistiger Schwäche und fehlender Argumente".

Der kalkulierte Einsatz von Militanz

So klar wie die Worte, sind die Taten der NPD aber nicht. Schon mehrfach in der Parteigeschichte entschied sie sich für den kalkulierten Einsatz von Militanz. Nach der Niederlage bei der Bundestagswahl 1969 zum Beispiel versuchte die NPD-Spitze, mit einer "Aktion Widerstand" Niedergang und Mitgliederschwund zu stoppen. Während man sich vor der Wahl bürgerlich und friedfertig gegeben hatte, wurde nun rabiat gegen die Ostpolitik der sozialliberalen Bundesregierung protestiert. NPD-Mitglieder warfen Scheiben der sowjetischen Botschaft in Bonn ein, auf Demonstrationen wurden DDR-Fahnen zerrissen und "Brandt an die Wand" skandiert.

Schnell liefen die Aktivitäten aus dem Ruder. Im Juni 1970 flog ein Geheimbund namens "Europäische Befreiungsfront" auf, der von Mitgliedern des NPD-Ordnerdienstes gegründet worden war und unter anderem Entführungen geplant hatte. Bei Parteimitgliedern wurden Maschinenpistolen und andere illegale Waffen gefunden. Im April 1971 drang der ex-NPDler Karsten Eggert in die Villa Hammerschmidt mit der Absicht ein, Bundespräsident Gustav Heinemann umzubringen. Daraufhin versicherte der damalige NPD-Chef Adolf von Thadden in der Parteizeitung, man werde politische Auseinandersetzungen nur auf rechtsstaatlichem und parlamentarischem Wege führen. Ergänzend beschloss der NPD-Bundesparteitag im November 1971 ein förmliches Gewaltverbot.

Ein solches Schaukeln zwischen Annäherung und Distanzierung zieht sich seit Jahrzehnten wie ein roter Faden durch die Parteigeschichte. Während der Welle rechtsextremistischer Pogrome Anfang der neunziger Jahre grenzte sich die NPD mit einem Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber neonazistischen Gruppen ab. Mitte der neunziger Jahre dann öffnete der damals neu gewählte Parteichef Udo Voigt die NPD für genau diese Organisationen, um seine sieche Altherrenpartei vor dem Aussterben zu bewahren. Reihenweise kamen so Neonazis und vorbestrafte Gewalttäter in die Partei und in hohe Ämter. Als diese allzu aggressiv auftraten und 2001 das erste Verbotsverfahren gegen die NPD eingeleitet wurde, pfiff der Bundesvorstand die besonders radikale Strömung "Revolutionäre Plattform" zurück und drängte deren Führungskader aus der Partei.

Kaum war der Verbotsversuch gescheitert, folgte wieder eine Öffnung zu militanten Neonazis. Die Partei und ihr Umfeld dürften sich "nicht im Trennenden der Vergangenheit verzetteln", hieß es 2004 in einem Präsidiumsbeschluss, vielmehr seien "alle Aktionsformen als Bereicherung im Kampf für unser Volk zu betrachten". Von der in der Szene verbreiteten Gewalt distanzierte sich die Partei mit keinem Wort. Im Gegenteil: Künftig solle die Devise aller Aktivisten sein, sich jeweils "auf den eigenen Weg zu konzentrieren, ohne andere Konzeptionen zu diskreditieren".

Neues Image der sozialen "Kümmererpartei"

Das Zurückrudern setzte ein, als später bei NPD-Demonstrationen immer öfter schwarze Blöcke von Autonomen Nationalisten auftauchten und gezielt Gegendemonstranten, Journalisten und Polizisten angriffen. "Solche Aktionsformen halte ich für völlig inakzeptabel", sagte der damalige Parteichef Udo Voigt. Seine Begründung, vorgetragen beim Bundesparteitag 2008, spricht Bände, denn sie schränkt die Gewaltabsage ein und begründet sie taktisch: "Niemals" dürften sich Ausschreitungen "gegen Polizisten" richten. Denn die täten nur ihre Pflicht und sympathisierten mit der NPD, so Voigt. "Wenn nun aber gegen solche Beamte aus unseren Reihen Gewalt ausgeübt wird, so wird dieser demnächst bereit sein, verstärkt gegen Nationalisten vorzugehen."

Holger Apfel, der Voigt im November vergangenen Jahres abgelöst hat und der NPD ein moderates Image als soziale "Kümmererpartei" verpassen will, war in den neunziger Jahren einer der Hauptverantwortlichen für den Radikalisierungskurs. Er war damals Vorsitzender des Jugendverbandes JN, und sogar noch früher als die Mutterpartei kooperierte er mit der militanten Kameradschaftsszene.

Unter seiner Führung wurden jährliche Demonstrationen für den Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess zu Großveranstaltungen. Auf alten Fotos eines Aufmarsches 1996 in Worms ist er ebenso zu sehen wie Kader des Thüringer Heimatschutzes - mittendrin Beate Zschäpe und ein Mann, der aussieht wie Uwe Mundlos. Apfel betont, er habe die späteren Terroristen nicht persönlich gekannt, was vermutlich sogar stimmt. Man könne ihn doch nicht für alle Taten aller Leute verantwortlich machen, die irgendwann mal mit ihm demonstriert haben. Zschäpe, Mundlos und ihren Komplizen Uwe Böhnhardt bezeichnet er als "irre" und unpolitisches "Kriminellen-Trio".

Emotionalisierung und Mobilisierung der Anhänger

Dabei blendet er aus, dass Gewalt im NPD-Programm geradezu angelegt ist. Dessen völkische Ideologie ist ausgrenzend. Einheit und Reinheit der eigenen Nation werden als oberstes Ziel definiert. Wer dabei stört, gilt als Volksschädling: Juden, Migranten, nichtrechte Jugendliche, Politiker der demokratischen Parteien. Einwanderer gelten grundsätzlich als Kriminelle und Krankheitsüberträger. Geschickt deutet die NPD Täter zu Opfern um. "Wenn Übergriffe auf Fremde in Deutschland stattfinden", erklärte einmal Bundeschef Udo Voigt, dann sei das "ganz gewiss eine leidvolle Geschichte, die aber die etablierten Parteien zu verantworten haben, die hemmungslos weiterhin Zuströme von Ausländern ins Land lassen".

Als "Angstmobilisierungsideologie" bezeichnen die Soziologen Rainer Erb und Michael Kohlstruck die NPD-Programmatik. Sie setze nicht auf Erkenntnis oder Überzeugung, sondern Emotionalisierung und Mobilisierung von Anhängern. "Die Fremdgruppe wird als Gefahr für die Eigengruppe konstruiert, so dass Attacken als 'Notwehr' oder 'Selbstverteidigung' gerechtfertigt werden. In diesem Zusammenhang ist das Wort bereits die Vorbereitung zur Tat." Wenn dann "polizeiliche oder soziale Kontrollen" fehlen, werde die Theorie in die Praxis umgesetzt.

Kriegsrhetorik und militärische Ästhetik

Zugespitzt wird die an sich bereits gefährliche Ideologie durch aufputschende Rhetorik und eine Ästhetisierung von Gewalt. Der politische Gegner wird bei der NPD oft als "Abschaum" und "Geschmeiß" bezeichnet, man selbst stehe im "Krieg". Von "Riesenkampf" und "Freiheitskrieg" ist auf Flugblättern und Veranstaltungen immer wieder die Rede, und Funktionäre schwelgen in Gewaltphantasien. Kein Gegner werde der Partei nach der Machtergreifung entkommen, sagte beispielsweise der damalige Geschäftsführer des bayerischen Landesverbandes Sascha Roßmüller 1998 bei einer Rede auf einer NPD-Veranstalung in Kulmbach, "dafür werden wir schon sorgen. Alle Flughäfen und Wege, die aus dem Land führen, werden dichtgemacht. Anschließend wartet der Strang".

Passend zur Kriegsrhetorik pflegt die NPD eine militärische Ästhetik: Man liebt Uniformen und Fackelmärsche. Parteitage begannen lange Zeit mit Fanfaren und einer Flaggenparade. NPD-Aktivisten sollen sich als "politische Soldaten" verstehen, als "großes Vorbild für Kameradschaft, Tapferkeit und Opferbereitschaft" gelten Wehrmacht, SA und Waffen-SS. Gewalt wird verharmlost, verherrlicht. Der meistverkaufte Artikel im parteieigenen DS-Versand ist derzeit eine CD des Rechtsrockers Michael "Lunikoff" Regener, auf der Hass und Krieg gepriesen werden.

Wenn völkische Ideologie, Notwehr-Rhetorik und Aggressivitätskult schließlich auf jugendliche Militanz treffen, ist das Resultat fast zwangsläufig reale Gewalt. Dass sich die NSU-Terrorzelle als verlängerter Arm rechtsextremistischer Hassprediger verstand, belegt ihre Bekenner-DVD: "Taten statt Worte", reklamieren sie da. In der Anhängerschaft der NPD werden deren Distanzierungen und Unvereinbarkeitsbeschlüsse ohnehin meist als doppelbödige, augenzwinkernde Erklärungen verstanden.

Dass sie auch so gemeint sind, zeigt ein Antrag des NPD-Präsidiums an den letzten Bundesparteitag: "Die NPD hat sich für den parlamentarischen Weg entschieden, einerlei wie aussichtsreich, aussichtslos oder widerwärtig er auch sein mag", erklärte die Parteispitze da ihren Anhängern, warum sie sich manchmal opportunistisch zeigt. "Die NPD hat sich für einen politischen Weg entschieden, der anderen Gesetzen folgt und andere Rücksichtnahmen erfordert als die Aktivitäten z. B. loser Folklore- und Freizeitbünde." Eine Partei müsse zu "den denkbar zweckmäßigsten und erfolgversprechendsten Mitteln" greifen, so das überraschend offenherzige Bekenntnis zur Camouflage. "Alles andere ist inkonsequent, dilettantisch und/oder vorsätzliche Sabotage."

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