Notstand:Aus der Schaum

Europa droht ein trockener Sommer - der Prosecco wird knapp. Bereits im Juni könnten die Regale leer bleiben, und jene Läden, die dennoch Prosecco anbieten, werden ihn viel teurer verkaufen.

Von Oliver Meiler

In der Weinbranche und ihrer geneigten Gefolgschaft geht eine Sorge um, eine Angst gar. Liest man sich in die Berichte der Fachmagazine ein, stößt man auf Begriffe, die man für gewöhnlich mit anderen Dramen auf dem Gebiet der Ernährung verbindet: "Notstand" etwa, "globaler Mangel" auch, "Risikosommer". Wer denkt da nicht an Reis, Weizen, Wasser?

Nun, die Sorge gilt dem Prosecco, dem Schaumwein aus Italien, vornehmlich angebaut und gekeltert in den Hügeln zwischen Conegliano, Asolo und Valdobbiadene in der Provinz Treviso bei Venedig. Es droht der Welt nämlich ein trockener Sommer, zumindest einer ohne italienisches Prickeln und Perlen. Die für dieses Jahr produzierten Mengen reichen wohl nur bis zur Jahreshälfte. Bereits im Juni könnten die Regale leer bleiben, und jene Läden, die dennoch Prosecco anbieten, werden in viel teurer verkaufen. So, ohne jede Rücksicht auf die saisonalen Wünsche einer urlaubs- und unterhaltungsbedürftigen Gesellschaft, läuft nun mal die Marktwirtschaft. Noch ist nicht zweifelsfrei geklärt, wie es zum Notstand kommen konnte. Es gibt mehrere Thesen. Und es gibt auch böse Vermutungen.

Doch zunächst einige Zahlen zum Phänomen. Der Prosecco ist in den vergangenen fünf Jahren zum weltweit beliebtesten Schaumwein gereift: 306 Millionen Flaschen wurden 2014 verkauft, zwei Drittel davon im Ausland. In Stückzahlen übertraf er erstmals den edleren und teureren Champagner.

Einen wahren Boom erlebt der Prosecco in Großbritannien, wo die Nachfrage zuletzt um 60 Prozent auf 55 Millionen Flaschen anstieg. 13 Millionen Flaschen weniger im Jahr bestellt Deutschland, der zweitgrößte Exportmarkt. Auf der Insel, so erzählt man sich in Italien etwas ungläubig, kostet ein Glas Prosecco in der Bar oder im Pub vier Pfund, etwa sechs Euro. Der strohgelbliche Aperitif ist dort ganz besonders in Mode, versetzt mit einem Schuss Statussymbol. Auch in Amerika wuchs der Absatz im vorigen Jahr um 34 Prozent. Man kann also sagen, dass die Produzenten im Veneto wussten, wie gefragt ihr Produkt sein würde. Warum legten sie dann keine größeren Reserven an?

Die einfache Antwort lautet: Das Wetter war schlecht, es zerstörte einen Teil der Ernte. Darunter würden, heißt es in Italien, in erster Linie die 8000 Kellereien leiden, die vom Geschäft mit Prosecco leben. Doch unter den Abnehmern im Ausland lässt man das meteorologische Argument nur halbwegs gelten. Da glaubt man, dass sich das Konsortium der Hersteller verrechnet hat, als es die Anbauflächen und Mengen bestimmte. Und dann gibt es noch den Verdacht, dass Großhändler ihre tatsächlichen Bestände geheim halten, um den Preis in die Höhe zu treiben. Es wäre ein profanes Treiben, ein Spiel mit den kleinen Sommerfreuden.

Die Briten haben Alternativen zum Prosecco, wie die Zeitung The Independent berichtet. Die Weißweine aus Sussex, Surrey und Kent werden offenbar immer besser, gewinnen internationale Preise. Eine verkehrte Welt ist das. Die Experten übrigens sind der Meinung, dass der Klimawandel und die Erderwärmung die Qualität der britischen Weine in den nächsten Jahrzehnten stark fördern werden. Und vielleicht wäre das ja ein wirklich guter Grund für Besorgnis.

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