Noten-Affäre von CDU-Politiker Laschet:Der Skandal verlangt seine Opfer

Pk Armin Laschet

Armin Laschet (CDU) will sich nicht erklären.

(Foto: dpa)
  • Armin Laschet, CDU-Chef von Nordrhein-Westfalen, hat als Uni-Dozent Klausuren seiner Studenten verschlampt und wird deshalb angegriffen.
  • Laschet verteidigt sich unglücklich: "Ich könnte Ihnen das erklären, aber ich mache es nicht."
  • Dabei stiegen seine Chancen gerade, Hannelore Kraft (SPD) an der Spitze des Landes zu beerben.
  • An diesem Samstag verhandelt die NRW-CDU um ihre künftige Ausrichtung, unter anderem beim Thema Islam.

Von Bernd Dörries, Düsseldorf

Jeder, der diese Terrasse betritt, macht irgendwann denselben Spruch. Sagt Armin Laschet, als man den Spruch macht. Er lächelt gequält. Von seinem Büro im Düsseldorfer Landtag schaut man auf die Terrasse und den Rhein hinauf. Die Schiffe steuern direkt auf einen zu, es sieht so aus, als könnte es knapp werden, dann biegen Rhein und Schiff nach rechts ab. Es gibt nicht viele schönere Büros in Deutschland. Man könne doch hier den ganzen Tag sitzen, den Kähnen nachschauen, das sagen alle Besucher. Armin Laschet schaut nicht auf die Schiffe, er schaut lieber nach links auf die Staatskanzlei. Dort gebe es auch einen schönen Blick, sagt er, aus dem Büro der Ministerpräsidentin guckt man über den Landtag hinweg ins Land hinein.

Dieses Land möchte er 2017 als Ministerpräsident regieren, und in den vergangenen Monaten sah es gar nicht so schlecht aus für ihn. In den Umfragen hatte Rot-Grün keine eigene Mehrheit mehr, die CDU stand geschlossen hinter ihrem Vorsitzenden, was sie recht selten getan hat in den vergangenen Jahren. Es sind Situationen, von denen man sagt: Da kann sich der oder die nur selbst im Weg stehen. Und Armin Laschet hat die Chance ergriffen. Skandal, schreit der politische Gegner von der SPD. Aber ist es das wirklich?

36 Prozent

würde die CDU in Nordrhein-Westfalen nach einer Wählerumfrage bekommen. Sie läge zur Halbzeit der Legislaturperiode damit vor der SPD, die 35 Prozent erhalten würde. Die Grünen würden zehn Prozent wählen - womit die rot- grüne Koalition um ihre Mehrheit bangen müsste. Linke, FDP und AfD erzielen in der Wählergunst jeweils fünf Prozent, die Piraten würden aus dem Landtag ausscheiden.

Seit 16 Jahren unterrichtet Armin Laschet an der RWTH Aachen, seiner Heimatstadt, in Politikwissenschaft. Er veranstaltete Ausflüge nach Brüssel oder Berlin, plauderte über seine Zeit als Minister und Europaabgeordneter und brachte das Kunststück fertig, diese Ausflüge in seine Welt auch noch irgendwie schriftlich abzufragen und zu benoten. Das klappte jahrelang recht gut, nur im vergangenen Jahr nicht, da lief alles etwas anders als sonst. Im Sommer 2014 brach Laschet mit seinen Studenten zu einem fünftägigen Blockseminar "Europa in der Berliner Politik" auf, das für Master-Studenten einer Elite-Uni einen eher vagen Lehrinhalt vermuten lässt. Im Frühjahr 2015 warteten die Studenten immer noch auf ihre Benotung, als sich plötzlich die Hochschulleitung bei ihnen meldete: Die schlechte Nachricht sei, dass Laschet die Klausuren verloren habe. Die gute, dass er sie davor schon korrigiert und sich Notizen gemacht habe. Da Laschet aber 35 Noten vergab, obwohl nur 21 Studenten an der Klausur teilgenommen hatten, entstand der Verdacht, Laschet habe die Noten ausgewürfelt - was der CDU-Landesvorsitzende und Fraktionschef im Übrigen bestreitet, seit fast zwei Wochen nun.

Warum gab es also mehr Noten als Teilnehmer? "Ich könnte Ihnen das erklären, aber ich mache es nicht", hat Armin Laschet am Donnerstagmorgen im Landtag gesagt. Und er sagt es jetzt auf der Terrasse noch einmal. Er hat nun ziemlich schlechte Laune. Und schlechte Laune begründet meist keine gute Verteidigungsstrategie. "Es sind die typischen Reflexe eines Berufspolitikers, der glaubt, Journalisten und Öffentlichkeit für dumm verkaufen zu können", kommentiert seine Heimatzeitung. Es sind aber vielleicht auch die üblichen Reflexe der Berufsöffentlichkeit, von Journalisten und politischen Gegnern. Der Skandal verlangt seine Opfer. Es ist wie in so vielen Affären, die durch eine unglückliche Verteidigung und neue Ungereimtheiten befeuert werden - man verliert den Blick darauf, was eigentlich das ursprüngliche Vergehen war. Laschet hat möglicherweise eine ziemliche Torheit begangen, aber letztlich vor allem sich selbst geschadet. Und vielleicht ein paar Studenten, die nun eine Klausur wiederholen müssen. Er hat sich nicht bereichert, weil seine Tätigkeit ein Ehrenamt war. Die Uni hatte seinem Vorgehen, Noten anhand von Notizen zu vergeben, sogar zugestimmt. "Nach derzeitigem Sach- und Kenntnisstand kann nicht bestätigt werden, dass Herr Laschet die ihm als lehrbeauftragtem Prüfer obliegende Sorgfalt voll umfänglich hat walten lassen", teilte Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) am Freitagvormittag mit. Das klingt nicht nach dem großen Skandal, von dem seit Wochen die Rede ist. Schulze ist in Nordrhein-Westfalen übrigens vor allem deshalb bekannt, weil sie 2012 behauptet hatte, aus dem Forschungsreaktor Jülich seien 2285 radioaktive Brennelementekugeln verschwunden. Das Land war auf der Suche, nur völlig umsonst, weil die Kugeln nie verschwunden waren. Natürlich gab es auch damals einen Riesenaufruhr.

Es geht in der Causa Laschet also auch um die Frage, ob man überhaupt noch Fehler machen darf in der Politik. Gerade die Landespolitik, so hat es den Anschein, ist für viele nur noch dann interessant, wenn sich mal wieder jemand zum Trottel gemacht hat. Ansonsten geht es oft um den Landesentwicklungsplan oder das neue Jagdgesetz, um Dinge eben, die allenfalls für eine Teilöffentlichkeit interessant sind. "Wir dürfen über die Schnelllebigkeit der Tagespolitik das Grundsätzliche nicht vergessen", sagt Laschet. Er hat es nicht zuletzt seiner Partei deshalb zur Aufgabe gemacht, sich um die ganz großen Fragen zu kümmern - auch wenn sie sonst niemand gestellt hat. Zwei Jahre lang diskutierte die CDU über ihr neues Grundsatzprogramm, das auf dem Landesparteitag zur Abstimmung steht. Dabei geht es zum Beispiel darum, wie sich die CDU zum Islam stellt: "Islam ist ein Teil der Gesellschaft", "Muslime sind Teil der Gesellschaft". Zwischen solchen Formulierengen müssen sich die Delegierten entscheiden. Entscheidender ist, dass Laschet es in den vergangenen zwei Jahren ganz gut geschafft hat, die CDU in Nordrhein-Westfalen wieder aufzupäppeln, nach der Wahlniederlage unter Spitzenkandidat Norbert Röttgen. Laschet hat sich recht grundsätzlich rangemacht an die CDU im Westen, die zwar noch 2005 eine Landtagswahl gewonnen hatte, aber in den vergangenen Jahren immer dachte, sie befinde sich in der Herzkammer der Sozialdemokratie wie in einer Art Diaspora.

Letztlich sind die Christdemokraten über viele Jahre der Geschichtsschreibung von oben auf dem Leim gegangen, die Johannes Rau mit seiner Kampagne "Wir in Nordrhein-Westfalen" seit Mitte der Achtzigerjahre betrieb: Wir, das war die SPD, die anderen, das war die CDU. Viele in der CDU haben vergessen, dass man auch Jahrzehnte lang den Ministerpräsidenten stellte. Dass die Gründungen vieler Hochschulen wie in Bochum nicht nur Verdienst der SPD waren, wie es die Sozialdemokratie bis heute preist, sondern von der CDU geplant. So hat er es den eigenen Leuten immer wieder erzählen lassen. "Die CDU ist eine Partei, die dieses Land mitgeprägt hat. Das musste man auch den eigenen Leuten immer wieder erst vermitteln", sagt Laschet. Den eigenen Leuten muss Laschet nun auch vermitteln, dass es das nun erst einmal war mit den Tölpeleien. Dass da nichts mehr kommt. Die CDU in Nordrhein-Westfalen besitzt erstaunliche Selbstzerstörungskräfte, die damals auch schon Jürgen Rüttgers gespürt hat. Nun tauchen wieder die ersten anonymen Indiskretionen aus den eigenen Reihen auf, von Parteimitgliedern, die sich zu wünschen scheinen, dass noch viel Wasser an Laschets Terrasse vorbeifließt, bevor die Partei im Westen wieder eine Chance hat. Armin Laschet sagt, in einem Jahr rede niemand mehr über die Klausuren. Und die Haltungsnoten, die er damals bekam.

Update: Am Samstag zeigte Armin Laschet auf dem Programm-Parteitag der CDU in Essen doch noch etwas Reue. Er ging auf seine Äußerung ein, er könnte erklären, warum es mehr Noten als Klausuren gegeben habe, mache das aber nicht. Wörtlich sagte er vor den etwa 600 Delegierten: "Das war - zugegeben - keine besonders geistreiche Formulierung." (dpa)

Korrektur: In einer früheren Version dieses Textes wurden der SPD in der erwähnten Wählerumfrage nur 25 Prozent der Stimmen zugestanden, tatsächlich sind es 35 Prozent. Wir haben den Fehler inzwischen korrigiert.

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