Nordrhein-Westfalen:Inder statt Opposition

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Die CDU hofft, bei den bevorstehenden OB-Wahlen in NRW endlich wieder auch in Großstädten gewinnen zu können.

Von BERND DÖRRIES, Düsseldorf

Damals war das wie eine verbotene Stadt. Auf alten Stadtplänen sieht man noch die weißen Flecken, die dort lagen, wo Thyssen-Krupp Stahl und Eisen kochte. Die Hochöfen verlöschten, aber die Mauer um die riesige Brache blieb, 230 Hektar mitten in der Essener Innenstadt. So blieb es über Jahrzehnte, in denen der Konzern und Großgrundbesitzer bestimmte, wer sich in Essen ansiedeln durfte und welch unliebsame Konkurrenz man nicht haben wollte. "Krupp hat sich damals verhalten wie die Kirche", sagt der Essener Planungsdezernent Hans-Jürgen Best (SPD).

Doch das hat sich geändert in den vergangenen Jahren: Die Thyssen-Krupp-Zentrale steht heute in einem schönen Park mit See, und auch die alte Mauer ist weg. Der Konzern will vieles loswerden, was nicht mehr zum Stammgeschäft gehört: den Jachtklub in Kiel, die Villa des alten Patriarchen Berthold Beitz und auch alle Grundstücke in der Innenstadt, die nicht mehr gebraucht werden. "Für den Ausbau der Gewerbeflächen sind die Grundstücke von höchster Bedeutung", ließ Oberbürgermeister Reinhard Paß (SPD) am Dienstag über sein Presseamt verkünden. Die städtische Behörde verschickt derzeit viele gute Nachrichten, was nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass am Sonntag ein neuer Oberbürgermeister gewählt wird. Vor allem aber geht es Essen ganz gut, besser zumindest als vor einigen Jahren noch. Über Jahrzehnte schrumpfte die Stadt, von 730 000 im Jahr 1964 auf 576 000 40 Jahre später. Lange war von gesundschrumpfen die Rede, jetzt ist die Einwohnerzahl stabil und die Politik auf der Suche nach neuen Gewerbeflächen.

Dass die Wahl von Amtsinhaber Reinhard Paß in der sozialdemokratischen Bastion Essen trotzdem unsicher ist, liegt vor allem daran, dass sich die SPD dort im vergangenen Jahr auf atemberaubende Weise selbst zerlegte. Parteichefin Britta Altenkamp sagte erst öffentlich, dass sie Paß für den falschen Kandidaten hält. Sie rief eine Urwahl aus, für die sich aber außer Paß kaum Kandidaten fanden, weshalb der amtierende OB nun ziemlich beschädigt in den Wahlkampf humpeln musste. Nach einer Umfrage des WDR liegt er nur wenige Prozentpunkte vor seinem Herausforderer Thomas Kufen von der CDU. Für die Christdemokraten wäre ein Erfolg über Essen hinaus von großer Bedeutung. Die Partei hätte gezeigt, dass sie mal wieder eine Großstadt gewinnen kann.

CDU-Landeschef Armin Laschet erinnert zudem gerne daran, dass dem Sieg bei der Landtagswahl 2010 auch einige Erfolge auf kommunaler Ebene vorausgegangen waren, vor allem im Ruhrgebiet. Dort tritt gerade die alte SPD-Riege ab, Oberhausen, Bochum und Mülheim bekommen neue Rathauschefs. Oberhausen trägt seit Jahren immer wieder den Titel der deutschen Schuldenhauptstadt, was auch Kämmerer Apostolos "Posto" Tsalastras nicht ändern konnte. Trotzdem hat der in Hilden geborene Sohn griechischer Einwanderer ganz gute Chancen, der neue Oberbürgermeister zu werden. Als er 2010 Kämmerer von Oberhausen wurde, gab es große mediale Aufmerksamkeit, die immer in der Frage mündete, ob ausgerechnet ein Grieche die klammen Finanzen sanieren könne. Weil Oberhausen unter Tsalastras aber zumindest die Neuverschuldung reduzierte, fragt kaum noch jemand nach seiner Herkunft.

Die spielte bei Ashok Sridharan am Anfang auch eine große Rolle. Der Sohn einer Deutschen und eines indischen Diplomaten tritt in Bonn für die CDU an, was eine seltene Kombination ist: christdemokratischer Bewerber mit Zuwanderungsgeschichte und Chancen in einer Großstadt. Und das in einem Bundesland, dessen Ministerpräsident Jürgen Rüttgers einst eine "Kinder statt Inder"-Kampagne für eine gute Idee gehalten hatte.

Der Kandidat hat für seine Geschichte im Wahlkampf folgende Umschreibung gefunden, die das Thema meist abschließend erledigt: "Auch wenn man mir es auf den ersten Blick nicht ansieht: Ich bin ne bönnsche Jung!" Sridharan ist derzeit Kämmerer in Königswinter und versucht, im Wahlkampf vor allem mit seiner Verwaltungserfahrung zu punkten, was wenig spannend klingt. In Bonn aber wäre ein Verwaltungsfachmann nicht fehl am Platz, das Jugendamt führt trotz mehrerer Missbrauchs- und Sorgerechtsskandale ein unreguliertes Eigenleben, im Haushalt klaffen riesige Löcher, obwohl es der Wirtschaft in Bonn gut geht und viele neue Arbeitsplätze entstehen.

Peter Ruhenstroth-Bauer, Kandidat der SPD und ehemaliger Staatssekretär im Bundesfamilienministerium, hat einen Namen, der zumindest nicht viel schwerer auszusprechen ist als der seines Kontrahenten Sridharan, mit dem er in Umfragen derzeit gleichauf liegt. Dass seine Partei nach langer Herrschaft in Bonn um die Macht fürchten muss, liegt auch daran, dass viele Bonner die Amtsführung der SPD-OBs für abgehoben und bisweilen skandalträchtig halten. Bärbel Dieckmann ließ sich einst von einem plumpen Betrüger aus Südkorea hereinlegen, der ein riesiges Kongresszentrum bauen wollte. Noch heute leidet Bonn an den finanziellen Folgen der Stümperei. Alles etwas kleiner, alles etwas bürgernäher, das versprechen die Kandidaten nun in Bonn. Aber das sagen eigentlich alle Kandidaten in Nordrhein-Westfalen.

© SZ vom 10.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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