Nordkoreas Raketentest:Darf Japan zu den Waffen greifen?

  • Nachdem Nordkorea eine Rakete über Japan hinweg geschossen hat, stellt sich die Frage, ob dies als Angriff gewertet werden kann.
  • Da die Rakete in etwa 550 Kilometern höhe flog, wurde der japanische Luftraum wohl nicht verletzt, die Regeln sind jedoch nicht ganz eindeutig.
  • Selbst wenn kommende Tests den japanischen Luftraum verletzten sollten, würde das reine Durchfliegen noch keine Selbstverteidigung rechtfertigen.

Analyse von Stefan Ulrich

Die Regierung in Tokio hat den jüngsten nordkoreanischen Raketentest als "beispiellos ernste und schwere Bedrohung Japans" bezeichnet. Das klingt dramatisch und wirft die Frage auf, ob der Raketentest als Angriffshandlung gewertet werden kann, gegen die sich Japan militärisch verteidigen darf - unter Umständen mithilfe der verbündeten Vereinigten Staaten.

Nach dem Völkergewohnheitsrecht sind alle Staaten, also auch Nordkorea, verpflichtet, die territoriale Souveränität anderer Staaten zu achten. Hierzu zählt auch der Luftraum über dem Staatsgebiet. Ab welcher Höhe dieser Luftraum in den - völkerrechtsfreien - Weltraum übergeht, ist nicht exakt geregelt. Die Grenze liegt irgendwo zwischen 60 und 110 Kilometern Höhe. Die ballistische Rakete, die Nordkorea nun testete, erreichte bei ihrem Flug über Japan hinweg eine Höhe von 550 Kilometern. Damit ist der japanische Luftraum wohl nicht verletzt worden. Im Übrigen haben Staaten das Recht, unbewaffnete Raketen über hoher See zu testen, sofern sie dabei nicht den Luftverkehr oder die Schifffahrt gefährden.

Es kommt auch darauf an, ob die Rakete in Japan einzuschlagen droht

Falls nordkoreanische Raketen, etwa bei kommenden Tests, den japanischen Luftraum verletzen sollten, gibt das Tokio noch nicht automatisch ein Selbstverteidigungsrecht. Zwar ist eine solche Verletzung völkerrechtswidrig. Selbstverteidigung setzt aber nach Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen einen "bewaffneten Angriff" voraus. Darunter verstehen die Völkerrechtler eine Gewaltanwendung, die - in ihrem Ausmaß und ihrer Wirkung - massiv ist. Ein reiner Grenzzwischenfall reicht dafür nicht aus. Bei einer Testrakete, die den Luftraum verletzt, käme es zum Beispiel darauf an, ob sie auf japanischem Boden einzuschlagen droht, etwa in einer Stadt. Das reine Durchfliegen des Luftraums dürfte dagegen noch keine Selbstverteidigung rechtfertigen.

Denn Artikel 51 der Charta ist eng auszulegen, der Erhalt des Friedens ist zentrales Ziel der Vereinten Nationen.

Im Falle Japans kommen noch die Besonderheiten der Verfassung des Landes hinzu. Sie schränken die militärischen Optionen Tokios auf eine eng ausgelegte Selbstverteidigung ein. Japan könnte also eine Rakete, die sein Territorium bedroht, abschießen, dürfte daraufhin aber nicht selbst Nordkorea bombardieren. Allerdings ist Japan mit den USA durch einen Sicherheitsvertrag verbunden. Danach müssen die Vereinigten Staaten einen Angriff auf Japan so behandeln, als werde ihre eigene Sicherheit bedroht.

Was den jüngsten nordkoreanischen Raketentest anbelangt, darf Japan also nicht militärisch darauf reagieren. Dies schließt jedoch nicht aus, dass der UN-Sicherheitsrat, der noch am späten Dienstag in New York zusammentreten wollte, den Raketentest als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit einstuft. In einem solchen Fall könnte der Sicherheitsrat auch Militärschläge gegen Nordkorea anordnen. Dies ist zurzeit jedoch sehr unwahrscheinlich.

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