Nordkoreas designierter Machthaber:Kim ist tot, es lebe Kim

Kim Jong Un wird in Nordkorea bereits als "Großer Nachfolger" bezeichnet: Er soll nach dem Tod seines Vaters Kim Jong Il die Macht in dem kommunistischen Land übernehmen. Über Erben des Diktators gibt es nur wenige verlässliche Informationen - und viele Gerüchte. Eine Annäherung.

Markus C. Schulte von Drach

Nicht einmal sein Geburtsjahr steht fest: Offizieller Geburtstag von Kim Jong Un ist der 8. Januar 1984. Südkoreanischen Quellen zufolge aber ist er bereits 1983 zur Welt gekommen. Ähnlich unsicher sind so ziemlich alle Informationen, die über den designierten nordkoreanischen Staatschef zu finden sind.

Wollte man sich bei einem Porträt also auf die bestätigten Fakten beschränken, so wäre dieser Text sehr, sehr kurz.

Immerhin: Die wenigen offiziellen Informationen, die in den vergangenen zwei bis drei Jahren über Kim Jong Un verbreitet wurden, deuten darauf hin, dass sein Vater ihn tatsächlich als Nachfolger vorgesehen und in die entsprechenden Positionen gebracht hatte.

Über das Leben Kim Jong Uns vor dem Jahr 2009 kursieren nur Berichte von Augenzeugen, deren Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit schwer einzuschätzen sind. Sicher ist, dass er der zweite Sohn von Kim Jong Il mit dessen dritter Frau Ko Young Hee ist, einer früheren Primadonna.

Angeblich besuchte Kim Jong Un in den neunziger Jahren internationale Schulen in der Schweiz, lernte Englisch, Deutsch und Französisch. Manche Quellen berichten, dass er mit Diplomatenkindern - auch aus den USA - befreundet war und sich für das Skifahren, für Basketball, Hollywoodfilme und Popmusik interessiert hat. Andere Berichte besagen, er habe sich von der westlichen Lebensweise ferngehalten und die Ferien immer zu Hause verbracht. Nach seiner Rückkehr - irgendwann nach dem Jahre 2000 - begann er offenbar ein Studium an der Kim-Il-Sung-Militäruniversität in der Hauptstadt Pjöngjang.

Ein Koch berichtet von Führungsqualitäten

Ab 2003 tauchten in Südkorea und Japan die erste Medienberichte über Kim Jong Un auf. Als der frühere Leibkoch des Staatspräsidenten, ein Japaner, nach seiner Flucht in seine Heimat ein Buch über sein Leben in Nordkorea veröffentlichte, erfuhr die Welt einige Einzelheiten aus dem Hause des Diktators. So berichtete der Autor, dass der dritte Sohn seinem Vater äußerlich ähnlich war und bereits Führungsqualitäten besaß. Im Gegensatz zu seinem älteren Bruder Kim Jong Chol, der seinem Vater dem früheren Koch zufolge zu "mädchenhaft" war.

Mit Bildern ließ sich dies alles nicht belegen, denn bis auf ein einziges Foto von Kim Jong Un im Alter von elf Jahren gab es lange Zeit keine Aufnahmen.

Die Geheimdienste in Südkorea und den USA entwickelten auf der Grundlage der spärlichen Informationen die Vorstellung von einem übergewichtigen jungen Mann mittlerer Größe, der wie sein Vater unter hohem Blutdruck und Diabetes leidet. Und der gute Chancen haben sollte, einmal in die Fußstapfen seines Vaters zu treten.

Konkurrenz durch dessen ältesten Sohn aus erster Ehe brauchte Kim Jong Un nicht zu befürchten. Kim Jong Nam war 2001 bei dem Versuch aufgeflogen, mit einem gefälschten Pass nach Japan zu reisen. Dort hatte er angeblich das Tokyo Disneyland besuchen wollen. Seine politische Karriere war beendet, bevor sie überhaupt begonnen hatte.

Statt also seinen Erstgeborenen zu fördern, nahm Kim Jong Il nun seine Söhne aus dritter Ehe mit auf die Inspektionsreisen zu militärischen Einrichtungen im Land. 2007 tauchten dann die ersten Gerüchte auf, Kim Jong Un habe eine Position in der Partei der Arbeit Koreas (PdAK) inne, oder aber in der Volksarmee, doch offiziell wurde nichts davon bestätigt.

Diktator oder Strohmann?

Nachdem Kim Jong Il 2008 einen Schlaganfall erlitten hatte, begannen südkoreanische Medien zu spekulieren, welche Chancen sein Drittgeborener als Nachfolger haben könnte. Anfang 2009 berichtete die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap, der Staatschef Nordkoreas habe seinen jüngsten Sohn zum Nachfolger auserkoren. Im April des Jahres berichtete die Agentur dann, Kim Jong Un habe eine Position in der Nationalen Verteidigungskommission übernommen - dem wichtigsten Gremium der Regierung.

Nordkoreas designierter Machthaber: In der Pose des Politikers: Kim Jong Un 2011 beim Besuch einer Fabrik in Pjöngjang.

In der Pose des Politikers: Kim Jong Un 2011 beim Besuch einer Fabrik in Pjöngjang.

(Foto: AFP)

Doch so ganz allein konnte selbst der Diktator nicht entscheiden, wer sein Nachfolger sein soll. Wie das Magazin Foreign Policy 2009 berichtete, hatte der Schwager des Staatschefs, Jang Song Taek, ursprünglich den Erstgeborenen Kim Jong Nam unterstützt.

Jang, ein wichtiger Mann im Sicherheitsapparat des Landes, war der Zeitung zufolge in der Regierung so mächtig geworden, dass er nun befürchtete, einer politischen Säuberung zum Opfer zu fallen. Statt seine Macht selbst auszubauen, signalisierte er 2009 dem "Geliebten Führer", er werde Kim Jong Un unterstützen - und konnte im Gegenzug dafür eigene Leute in wichtige Positionen bringen.

Ein mögliches Szenario nach dem Tod des Staatschefs, das die politischen Analysten daraus entwickelten, war: Kim Jong Un könnte das Regime nach außen repräsentieren, während die Riege um Jang im Hintergrund die Kontrolle ausüben würde.

Doch im Jahre 2010 tauchte Kim Jong Un dann auch öffentlich im Umfeld seines Vaters auf. So begleitete er - angeblich - den Staatschef im August 2010 bei einem Besuch in China zu einem - angeblichen - Treffen mit Chinas Präsidenten Hu Jintao. Im September 2010 wurde Kim Jong Un von seinem Vater zum Vier-Sterne-General befördert - sein Name tauchte nun erstmals in nordkoreanischen Medien auf - und während der folgenden Versammlung der regierenden Arbeiterpartei PdAK wurde er in deren Führungsriege aufgenommen. Er erhielt einen Posten im Zentralkomitee und wurde stellvertretender Vorsitzender der zentralen Militärkommission.

Seine Anwesenheit bei der Militärparade in Pjöngjang im Oktober 2010 wurde danach als Hinweis darauf interpretiert, dass ihn auch die Armeeführung akzeptiert hat. Selbst die internationale Presse durfte schließlich den gemeinsamen Auftritt von Vater und Sohn auf den Feierlichkeiten zum 65. Jahrestag der Partei am 10. Oktober dokumentieren. Ein erneuter - angeblicher - China-Besuch von Vater und Sohn im Mai 2011 sollte beim einzigen Verbündeten des Landes gute Stimmung für den Nachfolger in spe machen. Mit Erfolg, wie die nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA berichtete: Peking gratulierte dem Sohn zu seinem Aufstieg in der Partei.

Zehn Millionen Porträts stehen bereit

Für Stimmung für Kim Jong Un im eigenen Land sorgte dann offenbar Propaganda, die der Vater noch zu Lebzeiten initiiert hatte. Sein Geburtstag - der offizielle Termin - wurde zum Feiertag erklärt. Regierungsangestellte wurden offenbar angewiesen, den Sohn zu unterstützen. Gedichte und mindestens ein Lied feiern die Eigenschaften als möglicher Staatsführer. Die BBC berichtet, dass bereits zehn Millionen Porträts von Kim Jong Un zur Verteilung bereitstehen, die die Behörden neben die Bilder seines Vaters und Großvaters hängen sollen.

Und in den öffentlichen Verlautbarungen wird Kim Jong Un nun als "Großer Nachfolger" bezeichnet.

Experten halten es dennoch für möglich, dass einige in der Führungsriege den Sohn des Diktators für zu unerfahren halten. Das gilt auch, obwohl es Kim Jong Un gewesen sein soll, der 2010 einen Torpedoangriff auf ein südkoreanisches Kriegsschiff plante. Bei dem Angriff, den Pjöngjang nie zugab, wurde die Korvette Cheonan versenkt, 46 Marinesoldaten kamen dabei ums Leben.

Fachleute wollen nicht ausschließen, dass Kim Jong Un nur offiziell die Macht übernimmt - im Hintergrund jedoch die Strippenzieher um Kim Jong Ils Schwager Jang Song Taek, das Land regieren werden. In Dokumenten, die im vergangenen Jahr von Wikileaks veröffentlicht wurden, hatten südkoreanische Experten die US-Regierung allerdings gewarnt, Jang könnte den Sohn des "Geliebten Führers" möglicherweise selbst herausfordern.

Glaubt man dem Erstgeborenen Kim Jong Nam, so war sein Vater selbst nicht wirklich überzeugt von der Idee, die Macht in der Familie zu behalten. Wie er der japanischen Zeitung Tokyo Shimbun im Januar erklärte, ließe sich die Weitergabe der Macht an einen Erben nicht mit dem Sozialismus vereinbaren, "und mein Vater war auch dagegen". Die Wahl auf den eigenen Sohn sei nur gefallen, um die Stabilität aufrechtzuerhalten.

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