Atomkonflikt:Nur Diplomatie kann Nordkorea stoppen

Kim Jong Un

US-Präsident Trump muss mit Nordkoreas Machthaber Kim sprechen. Anders wird er ihn nicht stoppen können.

(Foto: dpa)

Militärische Drohungen aus Washington werden das Kim-Regime von seinen Atomplänen nicht abbringen. Beide Seiten müssen verhandeln. Sonst droht die Hölle.

Kommentar von Kai Strittmatter, Peking

"Sie haben uns", sagte vor seinem Abschied aus dem Weißen Haus Stephen Bannon, Berater von US-Präsident Donald Trump. Es war einer der raren Momente, in denen ein Mann der Macht eine Wahrheit aussprach, die sonst keiner auszusprechen wagte. "They got us." Die Nordkoreaner. Das Regime der Kims. Jahrzehntelang haben sie die Welt an der Nase herumgeführt. Und jetzt haben sie ihre Atomwaffen - und wahrscheinlich bald auch Raketen, die diese Waffen bis auf amerikanisches Territorium tragen können.

Dieser entscheidende Fortschritt im Atomwaffenprogramm Nordkoreas kommt, während die USA von einem Mann regiert werden, der strategisches Denken ersetzt durch Bauchreaktionen. Auf der einen Seite Kim Jong-un, der Diktator mit der Bombe, auf der anderen Trump, der erste US-Präsident, der sich rhetorisch hinab begibt auf die Ebene der hysterischen nordkoreanischen Propaganda, der in Worten schon einmal Feuer mit Feuer vergilt. Man kann es der Welt nicht verdenken, wenn sie den Atem anhält.

Mit der Sorge, dass "wir ähnlich wie im Ersten Weltkrieg schlafwandlerisch in einen Krieg hineinmarschieren", ist Deutschlands Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) nicht allein. Es wäre im äußersten Fall ein Krieg mit Atomwaffen. Verrückt. Verrückt? Für wahrscheinlich hält im Moment einen solchen Krieg noch kaum einer. Aber zum ersten Mal seit Ende des Kalten Krieges wird die Möglichkeit eines Atomkrieges wieder in Betracht gezogen.

Es führt kein Weg daran vorbei, mit dem Regime in Pjöngjang zu verhandeln.

Der Fall Nordkorea muss der Welt doppelt Sorgen bereiten. Zum einen ist genau das eingetreten, von dem nicht wenige jahrelang behaupteten, es könne nicht eintreten: Ein verarmter, isolierter Staat, eine mit Wirtschaftssanktionen und militärischen Drohungen belegte Diktatur hat gegen den Willen der Supermacht USA Atomwaffen entwickelt. Was nützt der Atomwaffensperrvertrag? Wenn Nordkorea es schafft, wer sollte es dann nicht schaffen können? Die viel drängendere Herausforderung aber lautet: Wie lässt sich jetzt eine Eskalation verhindern?

Der Schlüssel zur Lösung, verkündet Trump, seien die Chinesen. China ist der letzte Alliierte Nordkoreas, China liefert dem Land einen Großteil seiner Lebensmittel und Energie. China hat zuletzt zwar UN-Sanktionen gegen Nordkorea ernsthafter umgesetzt als in der Vergangenheit, denn Peking ist sauer auf Kim und dessen Provokationen. Doch Peking könnte noch weit mehr tun. Es könnte den Druck auf die von Kim mit Brot und Spielen beschenkte Elite in Pjöngjang erhöhen, indem es den Hahn weiter zudreht. Schärfstes Mittel wäre die Drosselung oder gar Einstellung der Öl- und Treibstofflieferungen.

Tatsächlich mehren sich in Chinas akademischen Zirkeln die Stimmen, die fragen, warum die KP-Führung nicht sehe, dass ein atomar bewaffnetes Nordkorea Chinas eigenen Interessen massiv schadet. Weil als Reaktion im nächsten Schritt wohl Südkorea und - für China viel alarmierender - auch Japan nach Atomwaffen greifen würden.

Einen Regimewechsel wird China nicht zulassen

Die Welt hat also gute Gründe, China zu mehr Druck zu drängen, gerade nach der Rakete, die Nordkorea nun über Japan hinweggeschossen hat. Dennoch ist die Sache nicht so einfach. Denn so groß die Abneigung zwischen Peking und Pjöngjang auch ist, eines wird China nie zulassen: den Sturz des Regimes dort. Peking fürchtet das Chaos, vor allem aber am Ende US-Truppen an der eigenen Grenze.

In der Theorie der Optimisten sähe eine für Peking noch akzeptable Lösung so aus: Man drosselt die Lieferungen ins Nachbarland, die Elite dort leidet und übt Druck auf den Zirkel um Kim aus, sich auf Verhandlungen über ein Einfrieren oder Zurückfahren des Atomprogramms einzulassen. Und weil die Lage so brenzlig ist und die Gefahr so groß, muss man diesen Versuch wagen. Gleichzeitig muss man damit rechnen, dass er scheitert. Weil, wie die einen sagen, Nordkoreas Eliten auf Gedeih und Verderb mit dem Regime verbunden sind. Oder weil, wie Chinas Staatsmedien schreiben, "der Barfüßige keine Angst hat vor dem, der Schuhe trägt": Nordkorea hat nichts zu verlieren.

Dem Atomprogramm der Führung konnte selbst die Hungersnot der 1990er-Jahre nichts anhaben. Und nicht zuletzt haben die Nordkoreaner gut aufgepasst: Libyen und der Irak sind Länder, die einst ihre Atomwaffenprogramme aufgaben. Im Irak fielen US-Truppen ein, und in Libyen machte eine westliche Allianz der Herrschaft Muammar al-Gaddafis ein Ende.

Das Regime in Nordkorea wird seine Sprengköpfe und Raketen kaum mehr hergeben. Sie sind ihm eine Lebensversicherung. Bei all dem Getöse der Propaganda dort darf man dies nicht vergessen: Kim ist nicht verrückt. Er ist auch nicht selbstmörderisch. In Pjöngjang sitzt kein Osama bin Laden und kein IS. Kim mag grausam, zynisch, skrupellos sein, durchgeknallt ist er nicht. Er ist wohl ein rationaler Akteur, der kühl kalkulierend auf für ihn "widrige Umstände" reagiert, wie CIA-Direktor Mike Pompeo kürzlich urteilte.

Alles, was die Führung um Kim tut, dient dem Überleben des Regimes. Ein Angriff auf US-Territorium, das wissen sie in Pjöngjang, bedeutete ihren Untergang. Deshalb wird Nordkorea nicht angreifen. Es ist wichtig, dass sie das erkennen in Washington, und Schluss machen mit dem Gerede von chirurgischen Erstschlägen. Denn diese sind keine Option: Südkoreas Hauptstadt Seoul mit ihren zehn Millionen Einwohnern liegt in Reichweite der nordkoreanischen Artillerie und ihrer Chemie- und Biowaffen. Nordkoreas Gegenschlag würde Seoul in ein Inferno verwandeln. Bannon hat recht: "Es gibt hier keine militärische Lösung. Sie haben uns."

Am Ende bleibt wohl die Wahl zwischen Losschlagen und Reden. Trump sträubt sich auf Twitter gegen das Reden: "Reden ist nicht die Antwort!" Sein Verteidigungsminister ist da offener: "Die diplomatischen Lösungen gehen uns nie aus." Man kann nur hoffen, dass sich die Diplomatie durchsetzt. Natürlich ist es zutiefst unbefriedigend, Schurkendiktatoren ihre Provokationen mit Anerkennung zu vergelten. Aber wenn die Alternative die Hölle wäre, dann wäre es dennoch fürs Erste das Gebotene.

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