Nordkorea nach Kim Jong Il:Im Namen des Vaters

Der Diktator ist tot, es lebe die Diktatur: Mit einem pompösen Trauerzug nimmt Nordkorea Abschied vom gestorbenen Machthaber Kim Jong Il - und die Welt fragt sich, wie es in dem abgeschotteten Land nun weitergeht. Wird sich Kim Jong Un, der Sohn des Despoten, durchsetzen? Und ist die Atommacht nun noch gefährlicher?

Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Nach zehn Tagen angeordneter Trauer inszeniert das Regime in Nordkorea den Höhepunkt des Abschieds von Kim Jong Il: Zehntausende säumten die Straßen der Hauptstadt Pjöngjang, um dem langjährigen Machthaber die letzte Ehre zu erweisen. Das Staatsfernsehen zeigte Bilder, wie der mit weißen Blumen und einer Parteifahne geschmückte Sarg des gestorbenen Diktators in einem Autokorso durch Pjöngjang gefahren wurde.

Am Donnerstag geht die Trauerzeit mit einer landesweiten Gedenkfeier zu Ende. Doch nach wie vor ist nicht klar, wie nach dem Tod des Despoten in Nordkorea weitergeht - und was das für die Welt bedeutet. Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Wer wird Nordkorea künftig führen?

Nachfolger von Kim Jong Il wird sein jüngster Sohn Kim Jong Un. Der gestorbene Diktator hatte seinen noch nicht einmal 30 Jahre alten Sohn im vergangenen Jahr zum Vier-Sterne-General sowie zum Vizevorsitzenden der Militärkommission der Arbeiterpartei gemacht - und damit praktisch öffentlich zu seinem Nachfolger ernannt. Eine gut vorbereitete Machtübernahme hat sein plötzlicher Tod aber verhindert.

Bisher trug Kim Jong Un die offiziellen Beinamen "Großer Nachfolger" und "Großer Kamerad". Anfang dieser Woche bezeichnete ihn die Staatspresse zunächst als "Oberbefehlshaber" der Armee sowie als Chef des Zentralkomitees der Arbeiterpartei und damit faktisch als Parteichef. Somit hat Kim Jong Un die Kontrolle über die 1,2 Millionen Mann starken Streitkräfte und den wichtigsten zivilen Posten im Ein-Parteien-System. In der größten Zeitung des Landes hieß es, Nordkorea habe dem Sohn des verstorbenen Staatschefs unter "Blut und Tränen" geschworene Gefolgschaft zugesichert. Bei der Trauerfeier lief Kim Jong Un direkt neben dem Leichenwagen - ein Indiz dafür, dass er seine Position weiter gefestigt hat.

Trotzdem stellt sich die Frage, ob Kim Jong Un das mächtige Militär hinter sich sammeln kann. Südkoreanische Medien berichten, er habe noch vor Bekanntgabe des Todes seines Vaters seinen ersten Befehl an die Streitkräfte des kommunistischen Landes erteilt - nämlich in die Stützpunkte zurückzukehren - und dies als Beispiel seiner Kontrolle über das Militär genannt.

Wer ist Kim Jong Un?

Viel weiß man nicht über Nordkoreas neuen Machthaber. Der knapp 30-Jährige - sein Geburtsjahr soll 1983 oder 1984 sein - stammt aus der dritten Ehe seines Vaters. Angeblich hat Kim Jong Un eine Schule in der Schweiz besucht und dort auch Fremdsprachen gelernt, seitdem aber nicht viele Ausländer getroffen. Er soll unter Bluthochdruck und Diabetes leiden. Lange gab es kaum Fotos von ihm - oder Bilder, die ihm nicht eindeutig zugeordnet werden konnten. Erst vergangenen September wurde er zum ersten Mal im staatlichen Fernsehen gezeigt.

Was politisch von Kim Jong Un zu erwarten ist und unter welchen Einflüssen er steht, lässt sich nicht sagen. Ob er den Respekt der Elite und den vollen Rückhalt im Militär genießt, bezweifeln viele. Vertreter der US-Regierung halten ihn laut New York Times für zu unerfahren, um in die Fußstapfen seines Vaters zu treten.

Eines scheint jedoch sicher: Die Leiden der Nordkoreaner wird Kim Jong Un kaum beenden. Diplomaten rechnen damit, dass er - sofern er sich die Macht sichern kann - die Schreckensherrschaft seines Vaters fortführen wird.

Wer regiert neben dem Nachwuchsdespoten?

Neben Kim Jong Un werden auch seine Tante Kim Kyong Hui und deren Mann Jang Song Thaek eine wichtige Rolle bei dem Machtübergang spielen - wie groß diese sein wird, ist noch unklar. Das Staatsfernsehen hatte Jang Song Thaek am vergangenen Sonntag an der Seite von Kim Jong Un am Glassarg des aufgebahrten Ex-Diktators in Pjöngjang gezeigt. Der 65-Jährige trug erstmals öffentlich eine Militäruniform - und das Rangabzeichen eines Generals. Bei der Beerdigung von Kim Jong Il ging er direkt hinter Kim Jong Un.

Jang Song Thaek hatte in den mächtigen Kreisen Pjöngjangs Karriere gemacht, war aber Anfang 2004 zurückgedrängt worden - eine Warnung seines regierenden Schwagers, dass er seinen Einfluss nicht zu sehr ausdehnen dürfe. Zwei Jahre später wurde Jang wieder mit ins Boot geholt. Der 65-Jährige leitet die Verwaltungsabteilung der Partei und hat nach Angaben des südkoreanischen Sejong-Forschungszentrums die Aufsicht über Geheimdienst und weitere einflussreiche Institutionen, die dem Militär nahe stehen. Seit Juni 2009 ist er zudem stellvertretender Vorsitzender der mächtigen Nationalen Verteidigungskommission.

Außerdem soll Kim Kyong Hui, die jüngere Schwester des verstorbenen Diktators, den Einfluss der Familie in der Politik stärken. Sie hat sich seit 2009 einen Namen in den Machtzirkeln Nordkoreas gemacht. Die 65-Jährige ist Chefin einer wichtigen Industrieabteilung im Zentralkomitee der Regierungspartei und Generalin der Streitkräfte. Sie wurde im vergangenen Jahr ins Politbüro ernannt. Ihr wird ein aufbrausendes Temperament nachgesagt. Außerdem soll sie nicht bei allzu guter Gesundheit sein.

Wird die Atommacht Nordkorea nun noch gefährlicher?

Nordkorea behauptet, bereits zwei Mal Atomwaffen getestet zu haben. Überprüfen lässt es sich nicht: Das Land blockt seit Jahren jegliche diplomatische Bemühung ab, die Nuklearanlagen von internationalen Beobachtern untersuchen zu lassen Trotzdem stuft die Internationale Atomenergie-Behörde (IAEA) das isolierte Land seit zwei Jahren als Atomwaffenstaat ein.

Seit Mitte 2011 war wieder Bewegung in die Sechs-Parteien-Gespräche mit China, Russland, den USA, Japan und Südkorea gekommen, es gab direkte Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und Nordkorea. Dass die kommunistische Führung unter Kim Jong Un nun zu Kurskorrekturen bereit wäre, gilt als höchst ungewiss. Das Atomprogramm ist für Nordkorea ein wichtiges Druckmittel, mit dem es Lebensmittel, Geld und internationale Beachtung erpresst. Es ist denkbar, dass das international weitgehend isolierte Land diese Politik beibehält.

Einem US-Experten zufolge kann das Land wohl früher als bisher erwartet eine Atomrakete einsatzfähig machen. Es werde wahrscheinlich nur noch ein bis zwei Jahre dauern, bis der kommunistische Staat einen nuklearen Raketensprengkopf einsatzbereit habe, schreibt der ehemalige Top-Experte eines überparteilichen Forschungsdienstes des US-Kongresses, Larry Niksch, in einem jüngst veröffentlichten Papier. Bislang galt eine Zeitspanne von fünf Jahren als realistisch.

Wie reagieren Nordkoreas Nachbarn?

Nach dem plötzlichen Tod von Kim Jong Il ging es Nordkoreas Nachbarn zunächst einmal um eines: Stabilität. In der vergangenen zwei Woche versuchten sie, das zerbrechliche Patt, das die koreanische Halbinsel seit Jahren dominiert, aufrecht zu erhalten. Südkorea verzichtet etwa dieses Jahr darauf, einen 30 Meter hohen künstlichen Weihnachtsbaum auf einem Hügel nahe der Grenze zu beleuchten - eine Aktion, die Nordkorea als "psychologische Kriegsführung" kritisiert hatte. Langfristig strebt die südkoreanische Regierung eine Wiedervereinigung an. So drückte sie auch nicht dem Regime, sondern ausschließlich dem trauernden Volk ihr Beileid aus und erlaubte nur zwei privaten Kondolenzdelegationen die Reise zur Beerdigung in Pjöngjang.

China, Nordkoreas wichtigster Verbündeter, sicherte Nordkorea nach dem Tod Kim Jong Ils seine Zusammenarbeit zu, um "Frieden und Stabilität" zu garantieren. Gleichzeitig gewährt das Land Kim Jong Nam, dem ältesten Sohn von Kim Jong Il, seinen "Schutz". Dieser hatte in der Vergangenheit die dynastisch geprägte Nachfolge an der Staatsspitze kritisiert und sich offenbar mit seinem Vater überworfen, nachdem er 2001 erfolglos versucht hatte, mit gefälschten Papieren nach Japan zu reisen. Der 40-Jährige lebt überwiegend in der von China kontrollierten Halbinsel Macau. In der vergangenen Woche trafen sich außerdem die Vize-Außenminister von China und Südkorea, um eine engere Kommunikation zwischen beiden Ländern zu vereinbaren.

Auch Japan, das als ehemalige Kolonialmacht als Feind von Nordkorea gilt und in Reichweite deren Raketen liegt, bemüht sich nach dem Tod Kim Jong Ils um eine engere Zusammenarbeit mit China. Beiden Länder müssten nun intensiv Informationen austauschen, forderte Ministerpräsident Yoshihiko Noda Anfang der Woche bei einem Besuch in Peking.

Mit Material von dpa, AFP und Reuters.

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