Nordkorea nach dem Tod von Kim Jong II:Operation Machterhalt

Die neue Führung wird alles daran setzen, dass Nordkorea so bleibt, wie es ist. Wahrscheinlich wird das gelingen. Weil das Militär keine Veränderungen will - und das Volk sich die gar nicht vorstellen kann.

Walter Klitz

Eigentlich sollte der 100. Geburtstag des "Ewigen Präsidenten" Kim Il Sung im kommenden Jahr die Massen von den Errungenschaften der sozialistischen Revolution überzeugen. Ziel war eine Demonstration der Macht. Jetzt, da Nordkorea im Besitz einer zerstörerischen Waffe sei, könne man den Großmächten auf Augenhöhe begegnen, sich nach Jahren der Entbehrung auf den Weg ins sozialistische Paradies machen und eine aufstrebende Nation aufbauen.

Militärparade in Pjöngjang

Das Militär - hier eine Militärparade in Pjöngjang - dürfte wesentlicher Nutznießer der verbesserten chinesisch-nordkoreanischen Wirtschaftsbeziehungen sein - und sich daher kaum gegen die Machtübernahme wenden.

(Foto: dpa)

Nun, durch den plötzlichen, aber nicht ganz unerwarteten Tod des "geliebten Führers" Kim Jong Il sieht sich das Projekt 2012 vor anderen Herausforderungen. Ging es vorher um die Mobilisierung der Massen, die für das System überlebensnotwendig ist, steht nun die Absicherung der Macht im Vordergrund. Ob dies gelingt, wird vor allem von zwei Faktoren abhängen: Gelingt es dem Parteiapparat, die Massen glaubhaft von der Richtigkeit eines dynastischen Sozialismus zu überzeugen (und das, obwohl die Ideologie es gebietet, sich gegen feudale Tendenzen zur Wehr zu setzen)?

Und wird vor allem das Militär dem auserkorenen Nachfolger Kim Jong Un den notwendigen Respekt entgegenbringen? Es ist unklar, inwieweit es dem engsten Familienkreis, der nahezu an allen gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und militärischen Schalthebeln sitzt, gelungen ist, den politischen Lehrling im System abzusichern.

Wer sich mit der Lage in Nordkorea befasst, kommt nicht umhin, sich mit den gesellschaftlichen, historischen und politischen Hintergründen des Landes auseinanderzusetzen. Der größte Fehler wäre dabei, den Maßstab unserer auf freiheitlichen Prinzipien beruhenden Gesellschaftsordnung anzulegen. Nach sozialistischer Lesart kann sich das Individuum grundsätzlich nicht moralisch verhalten. Moral kann nur im Kollektiv entstehen. Sogar die Trauer um den Verlust des "Großen Führers" wird so zum kollektiven Ereignis. Wer sich außerhalb der politischen Norm bewegt, macht sich verdächtig. Das heutige Nordkorea ähnelt in vielerlei Hinsicht dem China der Kulturrevolution, in der Forderung nach der selbstlosen Unterwerfung unter das Kollektiv und der absoluten, unfehlbaren Autorität der politischen Führung.

Keine Gefahr aus der Bevölkerung

Eines meiner Schlüsselerlebnisse bei meinen mehr als zwanzig Besuchen Nordkoreas in den vergangenen fünf Jahren war der Besuch der landwirtschaftlichen Kooperative Riehyun. Auf einer Tafel im Eingangsbereich wird Kim Jong Il mit den Worten zitiert, dass die "Menschen-Neugestaltungs-Kampagne" seines Vaters Kim Il Sung landesweit verbreitet werden müsse. Es geht darum, einen neuen, systemkonformen Menschen zu schaffen. So ist es nicht verwunderlich, dass das gesamte Bildungssystem darauf ausgerichtet ist, Kinder an die Grundlagen des Sozialismus heranzuführen und ihr politisches, ideologisches und moralisches Bewusstsein nach den Bedürfnissen der Partei zu schärfen.

Die weitestgehende Gleichschaltung der Gesellschaft lässt darauf schließen, dass in absehbarer Zeit aus der Bevölkerung keine Gefahr für das Regime erwachsen wird, zumal seit der Jahreswende von 2008 auf 2009 die Reihen wieder fester geschlossen wurden.

Das kommende Jahr wird zeigen, ob es dem jungen General Kim Jong Un gelingt, seine Machtbasis zu verbreitern. Ohne Zweifel hat man sich in Pjöngjang eine längere Transformationsphase gewünscht, weil der junge Mann sich den in der konfuzianischen Tradition so wichtigen Respekt erst noch verdienen muss - und das braucht Zeit.

Allerdings traf der nun eingetretene Ernstfall die Führung nicht unvorbereitet. Der Nachfolger wurde unter die Fittiche seit langer Zeit der engeren Familie loyal ergebener Weggefährten genommen und auf seine neuen Aufgaben vorbereitet. Seit der Delegiertenversammlung der Partei im September 2009 ist er Mitglied der mächtigen zentralen Militärkommission der Partei, die das Militär kontrolliert. Es gab personelle Veränderungen und Nachbesetzungen in Schlüsselpositionen der Partei, des Militärs, der Administration und weiterer systemrelevanter Organisationen bis hinunter auf Provinzebene - um sicherzustellen, dass das Militär in erster Linie das Militär der Partei bleibt, es auch weiterhin eine zentrale Rolle bei der Umsetzung der Politik spielt und die Stabilität des Systems gewährleistet.

Priorität: Systemerhalt

Bereits 2008 wurde das Ministerium für Innere Sicherheit, das Polizeiministerium also, aus der Kabinettszuständigkeit gelöst und neben dem Ministerium der Volksstreitkräfte und dem Ministerium für Staatssicherheit in die Zuständigkeit der Nationalen Verteidigungskommission überführt.

1995 führte der gerade an die Macht gekommene Kim Jong Il die sogenannte Military First Policy ein; sie sollte helfen, die gerade errungene Macht zu konsolidieren. Das Militär zuerst - seitdem genießen die Streitkräfte eine Reihe von Privilegien. Sie kontrollieren weite Bereiche der Schwerindustrie und finanzieren sich selbst. Das Militär dürfte wesentlicher Nutznießer der verbesserten chinesisch-nordkoreanischen Wirtschaftsbeziehungen sein, vor allem beim Export von Bodenschätzen wie seltene Erden, Molybdän, Titan, die für die chinesische Hightechindustrie von Bedeutung sind. Der Handel zwischen den beiden Bruderstaaten stieg im vergangenen Jahr um 35 Prozent.

Chinesische Direktinvestitionen bringen nordkoreanische Unternehmen auf den neuesten Stand der Technik. Die Leitung auf den vielen Baustellen in Pjöngjang haben chinesische Bauingenieure übernommen. Fast eine Million Nordkoreaner haben die Vorzüge neuer Kommunikationstechnologie für sich entdeckt. Es ist daher höchst unwahrscheinlich, dass das Militär sich aktiv gegen die Machtübernahme wenden wird. Es ist sich seiner Abhängigkeit von der Partei bewusst und weiß, dass die geringste Veränderung des politischen Systems sich zu seinem Nachteil auswirken wird.

Wie wird sich Nordkorea also in den nächsten Jahren entwickeln? Wirtschaftlich wird es sich auf eine technische Modernisierung vor allem im Bereich personalintensiver Wirtschaftsbetriebe mit Hilfe Chinas und auch Russlands konzentrieren, um sich nicht in eine einseitige Abhängigkeit zu begeben. Priorität allen Handels bleibt aber der politische Systemerhalt. Ein weiterer Schritt ist von der nächsten Tagung der Obersten Volksversammlung im ersten Halbjahr 2012 zu erwarten, sollte der junge General zum Vorsitzenden des Nationalen Verteidigungskomitees gewählt werden. In der Übergangsphase wird das Land jedenfalls noch mehr mit sich selbst beschäftigen, als es das ohnehin schon tut.

Walter Klitz, 60, leitet das Projekt Korea der Friedrich-Naumann-Stiftung. Er gehört zu den wenigen Ausländern, die regelmäßig Zutritt zu dem abgeschotteten Land haben.

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