Nordkorea:Alle brauchen Kim Jong Un

Kim Jong Un

Kim Jong Un bei einem Auftritt auf einem Parteikongress im Februar.

(Foto: dpa)

Seit fünf Wochen hat sich Nordkoreas Diktator nicht mehr blicken lassen. Nun rätselt die Welt, was aus ihm geworden ist. Informationen aus Nordkorea fehlen. Sicher ist: Keiner der Mächtigen kann ein Interesse daran haben, dass Kim verschwunden bleibt.

Von Christoph Neidhart

Kim Jong Un fühlt sich nicht wohl. Den Feiern zum 69. Jahrestag der nordkoreanischen Arbeiterpartei ist er ferngeblieben, obwohl die Teilnahme an den Feierlichkeiten zu Ehren seines Großvaters und Vaters für ihn eigentlich Pflicht wäre. In seinem Namen wurden am Freitag an ihrem Mausoleum Blumen niedergelegt.

Schon im September fehlte Kim bei zwei wichtigen Staatsanlässen. Seit fünf Wochen haben die nordkoreanischen Medien kein aktuelles Bild mehr von ihm gezeigt, gleichwohl preisen sie ihn regelmäßig. Das sind die Fakten, die man kennt. Alle.

Ist er krank?

Was sonst gemeldet wird, ist Spekulation. Ist Kim krank? Sicherlich hat er in den vergangenen Monaten deutlich zugenommen, zudem ging er auf manchen TV-Bildern sonderbar staksig. Andrerseits witzelte und rauchte er noch im Juli bei einer Baustellen-Inspektion am Flughafen von Pjöngjang. In Südkorea kursieren Berichte, er leide an Gicht. Eine Zeitung behauptet, er hätte sich an beiden Fußgelenken operieren lassen müssen. Letzteres ist nicht plausibel: Die Propaganda redet ständig davon, wie sehr er sich für sein Volk aufopfere. Wäre ein Kim an Krücken oder im Rollstuhl nicht dafür der beste Beleg?

Offenbar weiß auch die südkoreanische Regierung nicht mehr. Ihm scheine, Kim regiere normal, sagte Lim Byeong Cheol, der Wiedervereinigungsminister des Südens am Freitag. Vorigen Samstag hatte er Hwang Pyong So empfangen, Kims Stellverteter im Nationalen Verteidigungsrat. Sicherlich sprachen die beiden auch über Kims Abwesenheit. Hwang dürfte Lim genauer über das Unwohlsein des 31-Jährigen informiert haben. Wichtiges wird er allerdings nicht verraten haben: Die Regierung in Seoul hat so viele undichte Stellen, dass es sonst bereits neue Gerüchte gäbe.

Gab es einen Putsch?

Ist Kims Unwohlsein politisch bedingt, ist gegen ihn geputscht worden? Kaum. In den vergangenen Wochen wurden keinerlei ungewöhnliche Truppenbewegungen beobachtet, Nordkorea scheint relativ entspannt. Vor allem aber wäre Hwang nicht kurz vor oder kurz nach einem Putsch nach Südkorea geflogen, um sich die Schlussfeier der Asienspiele anzuschauen.

Anders als zuweilen zu lesen ist, hat niemand ein Interesse an einem Putsch gegen Kim. Niemand außer die arme, hungernde Landbevölkerung des Nordens und die Opfer des Regimes. Doch sie verfügen über keinerlei Mittel, sich gegen ihn aufzulehnen. In der Zeit nach dem Machtwechsel vom Vater zum Sohn musste sich das Kräfte-Gleichgewicht der Interessengruppen in Pjöngjang neu einpendeln. Das ist geschehen. Keine der sich ständig belauernden Gruppen - einerseits die Armee, andrerseits die Partei mit der Staatssicherheit - wäre stark genug, ihre Rivalen auszubooten. Und die dritte, die Geschäftselite, schon gar nicht. Die nordkoreanische Nomenklatur hat sich auf Kim Jong Un als Staatschef eingerichtet.

Ebenfalls auf ihn eingerichtet haben sich Seoul, Peking und Washington. Sie wollen vor allem ein stabiles Nordkorea. Und eines, in dem sie ihre möglichen Ansprechpartner kennen.

Wie nennt man das Gegenteil eines Putsches? Kim Jong Un ist vermutlich kein Diktator aus Leidenschaft, nicht einmal einer aus Überzeugung. Er hat seine Macht nicht erkämpft, sondern ist in diese Rolle hineingerutscht, weil seine Brüder dazu nicht taugten; und weil er in der kurzen Zeit der Krankheit seines Vaters die naheliegende Wahl war. Eigentlich interessieren ihn Basketball, überhaupt Sport, Pop-Musik und Vergnügungsparks viel mehr.

Kim muss regieren - selbst wenn er tot wäre

Der Überläufer Jang Jin Sung in Seoul meint, seit der Hinrichtung seines Onkel Jang Song Taek sei Kim bloß eine Marionette des Organisationsbüros der Partei. Dieses Büro regiere Nordkorea wirklich, es nutze den Sohn und Enkel der Kim-Dynastie nur zur eignen Legitimation. Geleitet wird das Büro von Hwang Pyong So; ebendiesem Hwang, der im Nationalen Verteidigungsrat Kims Vize ist und vorige Woche Seoul besuchte. Ist Kim Jong Un der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Fraktionen der nordkoreanischen Elite geeinigt haben, dann muss er an der Macht bleiben, zumindest pro forma, selbst wenn er krank wäre, gar nicht wollte. Ja, selbst wenn er nicht mehr am Leben wäre. Keiner hätte daran mehr Interesse als Hwang.

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