Nordirak:Der Westen lässt die Kurden im Stich

Ausbildung von Peshmerga-Kämpfern

Hier stehen sie noch Fuß an Fuß: Deutsche Ausbilder und kurdische Peschmerga-Kämpfer im Nordirak.

(Foto: dpa)
  • Die kurdischen Peschmerga sind als effektivste Gegner des IS geschätzte Waffenbrüder des Westens.
  • Nun sind die Kurden in finanzieller Bedrängnis, die Regionalregierung in Erbil steht kurz vor der Zahlungsunfähigkeit.
  • Trotzdem gibt es bisher keine nennenswerte finanzielle Unterstützung aus Deutschland.

Analyse von Stefan Braun, Erbil/Berlin

Die Kurden sind im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) geschätzte Waffenbrüder. Ihre Peschmerga werden seit anderthalb Jahren international hoch gelobt für ihren Einsatz gegen die IS-Milizen. Nachdem diese im August 2014 Tausende Jesiden getötet, versklavt und verjagt hatten, waren es nach offizieller Lesart vor allem die Kurden, die den fliehenden Jesiden halfen.

Seither gelten sie als diejenigen, die sich im Nordirak den IS-Terroristen am entschlossensten in den Weg stellen. Mit ihren dramatischen wirtschaftlichen Problemen werden sie trotzdem ziemlich alleine gelassen.

Die Kurden sind geschätzte Waffenbrüder - und werden alleingelassen

Dass die Öleinnahmen dramatisch schrumpfen, dass Unternehmer und Gäste ausbleiben, dass Geschäfte bröckeln und Projekte beerdigt werden müssen - das alles wird registriert. Mehr Hilfe aber wird es für den Waffenbruder erst mal nicht geben. Im Gegenteil.

Seit auch Russland im syrischen Kampfgebiet Ziele angreift, ist die Situation für die Kurden noch schwerer geworden. Vor gut einer Woche hätte Moskaus Ankündigung, vom Kaspischen Meer aus auch Marschflugkörper in Syrien einzusetzen, beinahe Frank-Walter Steinmeiers Reise ins nordirakische Kurdengebiet verhindert. Erst einige Telefonate, darunter eines mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow, machten es möglich, dass der deutsche Außenminister doch noch von Bagdad in die kurdische Regionalhauptstadt Erbil reisen konnte.

Doch was für den Deutschen eine bizarre Episode war in der Krisenregion Naher Osten, ist für die Kurden viel mehr gewesen. Es zeigte ihnen, dass die Großen auf ihre Interessen wenig Rücksicht nehmen. Die kompromisslose Ankündigung Moskaus, mit Marschflugkörpern Ziele im syrischen Kampfgebiet zu attackieren, war kein Versuch, sich mit Erbil abzusprechen. Es war die Botschaft: Zieht die Köpfe ein, wenn euch euer Leben lieb ist.

Da war es schon Balsam, dass Steinmeier sie in Erbil wenigstens für ihre Kampfkraft lobte. Immerhin hatten sie Mitte November zur Rückeroberung der ehemaligen Jesiden-Hochburg Sindschar beigetragen. Nun gehört zur ganzen Wahrheit, dass diese Rückeroberung ohne die Unterstützung durch die US-Luftwaffe nicht gelungen wäre. Gut tat das Lob trotzdem, Verbündete brauchen so was.

Der Ölpreis fällt - andere Geldquellen gibt es nicht

Das ändert aber nichts daran, dass man Erbils wirtschaftliche Schwierigkeiten von der Seitenlinie betrachtet. Dabei sind sie gewaltig. Der Ölpreisverfall trifft den Irak schwer. 2015 sind kaum mehr als zehn Prozent der geplanten Einnahmen erzielt worden. Stand der Preis 2013 noch bei gut 100 US-Dollar pro Barrel Öl (159 Liter), so liegt er heute bei 40 Euro - Tendenz fallend. Den Irak und die Kurden bringt das in existenzielle Finanznöte.

Zumal weder Bagdad noch Erbil es geschafft haben, sich alternative Einnahmequellen zu erschließen. So gibt es im nordirakischen Kurdengebiet kein Steuersystem. Und die Landwirtschaft fällt wegen Missmanagements und schwindenden Grundwassers als Wirtschaftszweig auch aus, obwohl die Gegend früher als Kornkammer der Region galt.

Die Folge: Ein lange nur schwelender Streit zwischen Bagdad und Erbil um den kurdischen Anteil an den Öleinnahmen ist wieder voll ausgebrochen. Kirkuk, das Zentrum der Ölförderung, liegt im kurdischen Gebiet. Erbil nutzt die Stadt inzwischen, um Öl nicht nur über Bagdad, sondern auch eigenständig zu verkaufen.

Gleichzeitig brechen andere Einnahmen weg. Früher kamen betuchte Irakis nach Erbil, um einzukaufen oder die gute medizinische Versorgung zu nutzen. Mittlerweile fällt das wegen des Krieges und der Verarmung aus. Ähnliches gilt spätestens seit dem Einstieg der Russen in den Luftkrieg auch für viele westliche Besucher und Geschäftspartner. Wegen der schlechten Sicherheitslage und wiederholten Luftraumsperrungen kommen sie nicht mehr.

Inzwischen nähert sich die Regionalregierung der Zahlungsunfähigkeit. Die Peschmerga erhalten seit Monaten keinen echten Lohn mehr. Nach Ansicht internationaler Beobachter wächst die Gefahr, dass die Peschmerga sich andere Einnahmequellen suchen - was nichts Gutes verheißt für die Verlässlichkeit der Soldaten.

Der Westen reagiert bisher verhalten

Der Westen reagiert bislang verhalten. Berlin gibt Dutzende Millionen Euro für die Betreuung der Menschen in den Flüchtlingslagern, darunter jene in den Kurdengebieten. Aber für die Regionalregierung gibt es kaum mehr als zehn Millionen Euro für zwei Jahre. Deutsche Oppositionspolitiker, die die Verhältnisse kennen, schätzen den Bedarf auf das Dreifache.

Dass die Hilfe nicht üppiger ausfällt, liegt daran, dass die nordirakische Führung, dominiert von den Familien Talabani und Barzani, bis heute weder transparent noch wirklich demokratisch regiert. Auch in Berlin stört man sich daran. Regionalpräsident Massoud Barzanis Mandat ist im August ausgelaufen, trotzdem regiert er weiter.

Hinzu kommt, dass Erbil weiter nach politischer Unabhängigkeit strebt. Ein Schritt, vor dem Berlin warnt, weil es einen Kollaps des Irak fürchtet. Dass diese Gefahr real ist, zeigen Berichte aus den Grenzgebieten zwischen kurdischem Norden und schiitisch dominiertem Zentralirak. In den "umstrittenen Gebieten", deren Status bis heute ungeklärt ist, häufen sich Gefechte zwischen Kurden und schiitischen Milizen. Hier bahnt sich ein zweiter Konflikt an. Einer, in den sich der Westen nicht reinziehen lassen möchte. Deshalb wohl zögert er, den Kurden stärker zu helfen.

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