Nordafrika:"Wir sind doch nicht verantwortlich"

Die Europäer wünschen sich Auffanglager von Marokko bis Ägypten. Dort halten die Regierungen aber von dieser Idee gar nichts. Außerdem sind Flüchtlinge dort zahllosen Gefahren ausgesetzt.

Von Markus C. Schulte von Drach, Tomas Avenarius

Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union möchten die Zahl der Flüchtlinge und Migranten senken, indem sie im Norden Afrikas Auffanglager errichten lassen. Das wirkt auf den ersten Blick vernünftig, trifft aber vorerst auf Ablehnung bei den örtlichen Regierungen. Menschenrechtsorganisationen weisen außerdem darauf hin, dass von den infrage kommenden Ländern kein einziges ein Rechtsstaat und die Menschenrechtslage dort bedenklich bis katastrophal sei. Der Vorteil aus EU-Sicht liegt gleichwohl auf der Hand: Die Flüchtlinge wären nicht länger in Europa, würden bereits vor ihrer Reise über das Mittelmeer registriert, ihr Anspruch auf Asyl oder Flüchtlingsschutz noch in Afrika geprüft. Wer mit Abschiebung rechnen muss, verzichtet vielleicht auf die gefährliche, teure Überfahrt.

Was auf dem EU-Gipfel außerdem noch beschlossen wurde, ist der Versuch, "Ausschiffungslager" in Afrika einzurichten für Flüchtlinge, die im Mittelmeer aufgegriffen oder gerettet werden. Die EU könnte im Gegenzug Schutzbedürftige aus ebendiesen Lagern aufnehmen.

So stellt sich die Frage, welche nordafrikanischen Staaten infrage kämen. Im Gespräch sind Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten. Beispiel Libyen: Im Land tobt ein immer wieder aufflammender Bürgerkrieg, derzeit herrscht lediglich Waffenstillstand zwischen der international anerkannten Regierung und der "Libyschen Nationalarmee", die den Osten des Landes beherrscht. Die Lage für Flüchtlingen ist katastrophal. Der Menschenschmuggel liegt in den Händen einer Milizenmafia, die mit staatlichen Stellen zusammenarbeitet. Migranten werden gefoltert, vergewaltigt, versklavt. Tausende wurden bereits getötet, weit mehr sitzen in Lagern und Gefängnissen fest.

Offiziell winkt Libyen ohnehin ab. Vize-Premier Ahmed Maiteeg sagte jüngst: "Wir sind gegen jedwede Flüchtlingslager in Libyen." Sein Land ist als Drehscheibe nach Europa für Bootsflüchtlinge jedoch ein Schlüsselstaat. Derzeit hat das UN-Hilfswerk UNHCR dort fast 53 000 Menschen als Asylsuchende registriert, das ist aber nur der kleinere Teil der Migranten im Land. Seit 2017 transportiert das UNHCR auch schon, unterstützt von der EU, Flüchtlinge aus Libyen ins südlich gelegene Niger, von wo aus sie im Rahmen von "Resettlement"-Programmen nach Europa vermittelt werden oder in ihre Heimat zurückkehren sollen. Die Zahl ist mit bislang weniger als 1200 aber klein. Auch die "Gathering and Departure Facility" (GDF), die das UNHCR mit dem Innenministerium im Juli eröffnen will, wird nur Raum für jeweils bis zu 1000 besonders gefährdete Flüchtlinge bieten, die in andere Länder vermittelt werden sollen.

Algerien, berüchtigt für seine Menschenrechtslage, lehnt Auffanglager ebenfalls ab. Ministerpräsident Ahmed Ouyahia will aufgegriffene Flüchtlinge direkt in ihre Heimat zurückzuschicken. Dass Algerien die Genfer Flüchtlingskonventionen unterzeichnet hat, ändert nichts: Human Rights Watch (HRW) hat dokumentiert, dass Tausende Flüchtlinge eingesammelt, an die Grenze zu Niger und Mali gefahren und in Richtung Grenze getrieben werden. Etliche Menschen sind Medienberichten zufolge schon in der Wüste verdurstet. Hinzu kommt die Verfolgung von Regimekritikern, Homosexuellen und Apostaten. Frauen und Mädchen sind von sexueller Gewalt bedroht.

Nicht besser sieht es in Ägypten aus. Die Regierung in Kairo sagt bisher Nein zu Auffanglagern. Diese seien nicht notwendig, argumentiert sie, denn auch die offiziell fünf Millionen Flüchtlinge aus Syrien, Palästina und anderen arabischen Ländern könnten sich im Land frei bewegen und wohnen. Dies verschleiert, dass die Regierung sich um Flüchtlinge schlicht nicht kümmert. Ägypten wäre ohnehin problematisch: Das Land steht unter einer Art Militär- und Polizeiherrschaft mit demokratischem Anstrich, der Anti-Terror-Krieg auf dem Sinai ist ein halber Bürgerkrieg, die Menschenrechtslage hat sich in den vergangenen Jahren rasch verschlechtert.

Auch Tunesien lehnt Lager ab. Sein Land trage "nicht die Verantwortung für den Strom illegaler Flüchtlinge an den Küsten Südeuropas", sagt Außenminister Khemaies Jhinaoui. "Damit würde das Problem nur vom Meer auf unseren Boden verlagert." Tunesien wolle versuchen, Migration "zu erleichtern, zu ordnen und zu organisieren". Menschenrechtsaktivisten sehen auch dieses Land kritisch. Das Königreich Marokko sagt zu Auffanglagern bisher ebenfalls Nein. Marokko, dessen Menschenrechtslage ebenfalls mit großen Vorbehalten zu sehen ist, lässt sich aber bereits von der Regierung in Madrid dafür bezahlen, Flüchtlinge daran zu hindern, nach Spanien zu gelangen - etwa über die spanischen Exklaven Melilla und Ceuta oder über die Straße von Gibraltar. Inzwischen ist die Zahl der Flüchtlinge deutlich zurückgegangen.

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