Nordafrika:Anker am Nil

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Kanzlerin Angela Merkel legt in der koptischen Kathedrale in Kairo eine Blume nieder. 2016 wurde die Kirche Ziel eines Selbstmordanschlags. (Foto: Soeren Stache/dpa)

Bei ihrem Besuch in Ägypten und Tunesien geht es Bundeskanzlerin Angela Merkel vor allem darum, die Stabilität der Länder zu fördern - aus gutem Grund.

Von Stefan Braun, Kairo/Tunis

Angela Merkel weiß, dass sie das jetzt einfach aushalten muss. Also sitzt die Kanzlerin im Präsidentenpalast zu Kairo und gibt sich begeistert. Begeistert von der Technik, immerhin darf sie gleich eine TV-Live-Schaltung miterleben. Und noch mehr begeistert darüber, dass sie Zeugin wird, wie an drei Orten in Ägypten erste Stufen eines neuen Kraftwerkprojekts eröffnet werden. Das Land soll bald mit viel Strom versorgt werden. Das ist die Hoffnung der Erbauer, des Siemens-Konzerns und seiner ägyptischen Auftraggeber.

Neben der Kanzlerin sitzt Präsident Abdel Fattah al-Sisi, und der ist ganz euphorisch. Sein Land braucht Erfolge im Kampf gegen die Wirtschaftskrise. Und Sisi hat sie auch bitter nötig, damit ihm die sozialen Probleme nicht gefährlich werden. Von einem "Megaprojekt" schwärmt er. Ja, selbstverständlich.

Und Merkel? Sie sitzt da und lächelt, ob-wohl sie Zweifel hat, ob solche Großprojekte dem Land überhaupt auf die Beine helfen. Dabei will die Kanzlerin aus Berlin nichts sehnlicher als genau das. Sie ist nicht hergekommen, um Ägyptens Größe zu bestaunen. Sie will verhindern, dass das Land abstürzt. Als "Stabilitätsanker" in der Region hat sie es vor der Reise be-zeichnet. Was irgendwie stimmt, wenn man bedenkt, wie verheerend die Welt drumherum aussieht. Libyen, Jemen, Syrien - der Nahe Osten versinkt in Krieg und Konflikten; immer mehr Staaten sind auf dem Weg der Selbstzerstörung.

Verglichen damit wirkt Ägypten tatsächlich einigermaßen stabil. Doch die Schwächen sind unübersehbar. Wirtschaftlich und politisch. Deshalb ist Merkel zehn Jahre nach ihrem letzten Besuch wieder an den Nil gekommen. Sie will unbedingt vermeiden, dass das Land in einen ähnlichen Strudel gerät wie seine Nachbarn. Was würde passieren, wenn auch dieses Land wackelt? Was, wenn plötzlich Millionen Menschen aus Ägypten nach Europa aufbrechen würden? Das will sich in Berlin niemand ausmalen. Deshalb der Besuch: Er soll Katastrophen verhindern helfen.

Also ist auf dieser Reise viel von Stabilisierung die Rede. Um das nicht zur Floskel verkommen zu lassen, hat die Kanzlerin Konkretes im Gepäck, einen zusätzlichen Kredit von 250 Millionen Euro vor allem. Er soll 2018 fließen und einen Kredit gleicher Höhe ergänzen, der für 2017 gewährt wurde. Mit beiden will Berlin die harschen Bedingungen abfedern, die sich aus den Auflagen eines IWF-Programms ergeben. Die Lebensmittelpreise steigen rasch; die Importe verteuern sich heftig. Merkel spricht von "harten Herausforderungen", mit denen die Ägypter derzeit zu kämpfen hätten.

Damit freilich meint sie nicht nur die soziale Lage. Wirklich stabil hält sie das Land erst, wenn die Zivilgesellschaft nicht mehr brutal unterdrückt wird. So offen spricht sie das nicht aus. Aber sie betont gegenüber Sisi und seinen Leuten, dass mehr Öffnung, mehr Vielfalt, mehr Zivilgesellschaft Not tut, soll die Lage besser werden. Von der Chance einer "größeren Widerstandsfähigkeit" spricht sie - und trifft am Abend in der Residenz fünf Menschenrechtler, die, wie es später heißt, "eindrucksvoll ein anderes Bild von Ägypten" zeichnen.

Umso froher ist Merkel, dass wenigstens der Streit um die Arbeit der deutschen politischen Stiftungen gelöst wurde. Ein Zusatzprotokoll zum Kulturabkommen zwischen Berlin und Kairo soll künftig die rechtliche Grundlage für ihre Arbeit bilden. "Schwer auf der Seele" sei Berlin das gelegen, berichtet Merkel, weil die Stiftungen einen großen Beitrag für eine lebendige Zivilgesellschaft geleistet hätten.

Das freilich ist nur ein Grund fürs leise Aufatmen. Merkel hat die Einigung auch gebraucht, weil es ohne sie unmöglich ge-wesen wäre, mit Kairo an anderer Stelle eng zu kooperieren. Ein Zehn-Punkte-Programm zum Kampf gegen den Terror und gegen neue Flüchtlingsströme will sie mit Kairo aushandeln. Unterstützung beim Grenzschutz, Hilfen für Flüchtlinge in Ägypten, Absprachen über Rückführungen - all das erinnert an den Deal mit der Türkei und darf doch nicht wie eine Kopie wirken. Zu umstritten ist das Vorbild; zu belastet wäre eine Wiederholung.

Eine Absage hat sie überdies allen erteilt, die wie ihr eigener Bundesinnenminister Flüchtlingslager in Ägypten oder seinen Nachbarstaaten ins Spiel gebracht haben. Nicht machbar, nicht zielführend - so klingt das auf der Reise. Merkel will die sensiblen Partner nicht provozieren.

In der Kirche sind Blutspuren der Attentatsopfer hinter Plexiglas konserviert

Das gilt auch für Tunesien, das zweite Ziel ihrer Reise. Auch dieses Land liegt im nordafrikanischen Krisengürtel. Aber hier regiert kein harsches Regime von Ex-Militärs, sondern ein ebenso mutiges wie wackeliges demokratisches Bündnis. Merkel würdigt dies durch eine Rede im Parlament, das sie für das offenste in der ganzen Region hält.

Ein bisschen passt das Schwärmerische auch sonst zur Stimmung. Denn nach wochenlangen Verhandlungen kann Merkel hier in einer ersten Etappe Vollzug vermelden. In der Nacht zuvor konnte ein Abkommen über den Umgang mit Gefährdern und mit Rückkehrern vereinbart werden. Im Gegenzug wird Deutschland in diesem Jahr 250 Millionen als Hilfe für ländliche Gebiete, kleine Unternehmen und Jugendförderprogramme überweisen. Präsident Beji Caid Essebsi lobt anschließend den "neuen Schwung" zwischen beiden Ländern. Außerdem verspricht er, mit den Algeriern und den Ägyptern einen neuen An-lauf zu nehmen für einen Frieden im Albtraumland Libyen.

Vor der Tür scheint die Sonne; der Früh-ling zeigt sich in Tunis, es passt zur beinahe fröhlichen Stimmung. Anders ist das 20 Stunden zuvor in Kairo gewesen, an einem Seiteneingang der Peter-und-Paul-Kirche. Keine drei Monate ist es her, dass hier ein Selbstmordattentäter 29 koptische Christen in den Tod riss. An einer Wand sind Blutspuren der Opfer hinter Plexiglas konserviert worden. Merkel legt davor eine weiße Rose nieder. Kein einziges Wort fällt.

© SZ vom 04.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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