Nord- und Ostsee:Delikatessen für die Forscher

In diesen Tagen beginnt die Miesmuschel-Ernte. Warum die Weichtiere für viel mehr als nur zum Verzehr taugen.

Von Tina Baier

Miesmuscheln schmecken, wie das Meer riecht: salzig, ein bisschen nach Algen und irgendwie mineralisch. Doch bis die Meerestiere in Weißweinsud gegart oder klassisch als Moules Frites serviert werden können, ist es ein weiter Weg. Von Mitte April bis Ende Juni gilt in Deutschland sogar ein Fangverbot, damit die Muscheln unbehelligt vom Menschen ihren Nachwuchs zeugen können. Doch spätestens Anfang Juli beginnt dann die Fangsaison. Auf Sylt sind die ersten Muschelfischer gerade ausgelaufen.

Wobei der Begriff "fischen" in diesem Zusammenhang etwas missverständlich ist. Eigentlich betreiben die Muschelfänger in der Nordsee - aus der ein Großteil der deutschen Miesmuscheln stammt - eine Art Landwirtschaft unter Wasser: Sie fangen junge Muscheln im flachen Wasser und säen sie in speziellen, tiefer gelegenen Parzellen aus. Dort wachsen die Tiere an und bilden eine Art Teppich auf dem Meeresgrund. Daher der Beiname "Mies", dem mittelhochdeutschen Wort für "Moos", das Flächen auf ähnliche Weise überwuchert. Nach ein bis drei Jahren ernten die Muschelbauern, indem sie die Tiere mit schweren Schleppnetzen vom Boden kratzen. "Umweltfreundlicher als diese Methode, bei der der ganze Meeresboden aufgewühlt wird, ist die Langleinenkultur, die gerade in der Ostsee erprobt wird", sagt Frank Melzner, Meeresbiologe am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Dabei wachsen die Muscheln an Leinen, die von einem Floß oder einer Boje herab ins Wasser hängen.

Darüber, welche Miesmuscheln besser schmecken - die aus der Nordsee oder die aus der Ostsee - gibt es unterschiedliche Meinungen. Unstrittig ist, dass der Salzgehalt des Wassers, der in der Ostsee mit 1,5 Prozent nur etwa halb so hoch ist wie in der Nordsee, einen Einfluss auf die Zusammensetzung der Muschelproteine hat und damit vermutlich auch auf den Geschmack.

Doch Miesmuscheln sind nicht nur eine Delikatesse, sondern auch interessante Forschungsobjekte. Um sich festhaften zu können, produzieren sie einen Superkleber, der unter Wasser felsenfest hält, bei ständigem Wechsel von Nässe und Trockenheit nicht das Geringste von seiner Klebekraft einbüßt und deshalb die Industrie interessiert. "Außerdem sind Miesmuscheln ausgezeichnete Indikatoren für die Qualität eines Gewässers", sagt Melzner. Jedes Tier filtert etwa fünf Liter Wasser pro Minute und frisst die darin enthaltenen Algen. Wenn das Wasser giftige Substanzen, zum Beispiel Schwermetalle, enthält, reichern sich diese mit der Zeit im Muschelfleisch an und lassen sich später nachweisen.

Anders als Wasserproben, die nur Auskunft über die Qualität im Moment der Entnahme geben, zeichnen Muscheln den Zustand eines Gewässers über einen längeren Zeitraum auf. Seit einiger Zeit werden Miesmuscheln auch in der Kolberger Heide eingesetzt, einem Gebiet in der Nordsee, in dem 30 Tonnen Munition aus dem Zweiten Weltkrieg vor sich hin rotten. Geomar-Forscher wollen mit Hilfe der Tiere herausfinden, ob und wie viele Giftstoffe wie TNT aus den Waffen ins Wasser gelangen und sich im Muschelfleisch anreichern. Schon jetzt ist klar: Essen sollte man Muscheln aus diesen Experimenten auf keinen Fall.

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