Oslo: Bürgerrechtler ausgezeichnet:Friedensnobelpreis für Liu Xiaobo - Peking empört

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Das Nobel-Komitee hat sich dem Druck aus China nicht gebeugt: Trotz Warnungen zeichnet es den chinesischen Dissidenten Liu Xiaobo mit dem Friedensnobelpreis aus. Pekings Reaktion lässt nicht lange auf sich warten.

Der chinesische Dissident Liu Xiaobo erhält dieses Jahr den Friedensnobelpreis. Das hat das norwegische Nobelpreis-Komitee in Oslo mitgeteilt. Damit geht die Auszeichnung erstmals nach China.

Ein undatiertes Handout zeigt den inhaftierten chinesischen Dissidenten und Bürgerrechtler Liu Xiaobo. (Foto: dpa)

Liu werde geehrt für seinen "langen und gewaltlosen Kampf für fundamentale Menschenrechte in China", wo "die Freiheitsrechte weiter eindeutig eingeschränkt" seien, erklärte das Komitee. Durch seine Inhaftierung sei Liu zum Symbol des Engagements für Menschenrechte und Freiheit geworden.

Der 54-Jährige gilt als wichtigster Kritiker des kommunistischen Regimes in der Volksrepublik. Der Schriftsteller und Bürgerrechtler galt als einer der Favoriten für den Preis. Er sitzt im Gefängnis, weil er die sogenannte Charta 08 mitgeschrieben und verbreitet hat - ein Aufruf von mehr als 300 chinesischen Intellektuellen zu umfassenden politischen Reformen in China. Im Dezember 2009 war er wegen "Untergrabung der Staatsgewalt" zu elf Jahren Haft verurteilt worden.

Das Nobelpreis-Komitee verwies in seiner Begründung für die Ehrung Lius auf Chinas rasanten wirtschaftlichen Aufstieg, der aber von einer besseren Achtung der Menschenrechte begleitet werden müsse. "Das Nobelpreis-Komitee ist seit langem der Ansicht, dass es eine Verbindung zwischen Menschenrechten und Frieden gibt. Diese Rechte sind eine Voraussetzung für die 'Bruderschaft zwischen den Nationen', von denen Alfred Nobel in seinem Testament geschrieben hat", hieß es.

Die chinesische Regierung hatte das Komitee davor gewarnt, den Preis an Liu zu vergeben. Nobel-Präsident Thorbjoern Jagland bestätigte, dass Diplomaten der Regierung in Peking Druck auf das Osloer Komitee ausgeübt hätten, den Preis nicht an Liu oder einen anderen chinesischen Dissidenten zu vergeben. Peking hatte mit einer Verschlechterung der Beziehungen zu Norwegen gedroht. Aber "wir sind völlig unabhängig in unseren Entscheidungen", stellte Jagland klar."Wir wollen den Preis nicht nur an Menschenrechtler in kleineren und vielleicht nicht so einflussreichen Ländern vergeben."

Das Komitee habe bislang weder Liu noch seine Frau anrufen können, um ihnen die Entscheidung mitteilen zu können, fügte er hinzu. "Wir werden die chinesischen Behörden bitten, die Nachricht Liu zu überbringen."

Chinesische Intellektuelle werten die Entscheidung des Komitees als Ermutigung für die demokratischen Kräfte in China. "Es ist eine Ermutigung für die Demokratiebewegung", sagte der langjährige Rechtsaktivist Yao Lifa. "Die internationale Gemeinschaft zeigt, dass sie sich um jene sorgt, die in China in der Demokratiebewegung mitarbeiten und die Menschenrechte voranbringen wollen."

"Er hat es verdient"

Der Regimekritiker Bao Tong zeigte sich wenig überrascht über die Auszeichnung. "Natürlich hat er ihn verdient", sagte der frühere enge Mitarbeiter des 1989 gestürzten, reformerischen Parteichefs Zhao Ziyang. "Es zeigt, dass die Bemühungen der chinesischen Bürger, ihre eigenen Rechte geltend zu machen, das Verständnis, die Aufmerksamkeit und Ermutigung durch die internationale Gemeinschaft gewonnen haben."

"Er hat es verdient", sagte auch der Bürgerrechtler Teng Biao. "In den vergangenen 20 Jahren hat Liu Xiaobo friedlich für Demokratie und Menschenrechte gekämpft." Die Auszeichnung ehre symbolisch den gesamten Demokratisierungsprozess in China. "Es wird den Ruf in der Zivilgesellschaft nach politischer Reform ermutigen." Die chinesische Regierung werde eine "Einmischung in innere Angelegenheiten" sehen. "Sie werden die Kontrolle der heimischen Dissidenten der Zivilgesellschaft noch verstärken", sagte der Rechtsexperte.

Die Frau des Bürgerrechtlers, Liu Xia, erklärte in ihrer Wohnung am Telefon: "Ich bin glücklich, aber ich kann nicht herauskommen." Der Apartmentkomplex in Peking, in dem sie wohnt, sei von der Polizei abgeriegelten. "Ich stecke hier fest - mit der Polizei." Kurz vor der Verleihung hatte sie berichtet, Liu Xiaobos geistige Verfassung sei recht gut, doch leide er in der Haft immer wieder unter Magenproblemen. "Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er den Nobelpreis gewinnen würde", sagte Liu Xia. "Deswegen ist es umso schwerer, mir vorzustellen, wie sich alles entwickeln wird, nachdem er ihn bekommen hat."

Auch Journalisten wurde von Chinas Staatssicherheit der Kontakt zu Liu Xia verwehrt, wie Augenzeugen berichteten. Die chinesischen Behörden hatten auch die Live-Satellitenübertragung des amerikanischen Nachrichtensenders CNN von der Preisverleihung in China blockiert. Augenzeugen berichteten, dass sich auch Dutzende prodemokratische Unterstützer vor dem Haus versammelt hätten, um ihre Sympathie für den Friedensnobelpreisträger zu bekunden. Außerdem seien rund hundert Journalisten gekommen.

Peking reagiert empört auf Auszeichnung eines "Kriminellen"

Die chinesische Regierung reagierte wie erwartet empört auf die Entscheidung. Mit der Auszeichnung an den "Kriminellen" Liu Xiaobo verstoße das Nobelpreiskomitee gegen seine eigenen Prinzipien, erklärte die Staatsführung in Peking. "Liu Xiaobo ist von der Justiz der Verletzung des chinesischen Gesetzes für schuldig befunden und zu einer Haftstrafe verurteilt worden", hieß es in der Erklärung weiter.

"Der Friedensnobelpreis sollte jenen verliehen werden, die sich für ethnische Harmonie, internationale Freundschaft und Abrüstung einsetzen und Friedengespräche führen. Dies waren Nobels Wünsche", erklärte das Außenministerium. Die Entscheidung für Liu werde den Beziehungen zwischen Norwegen und China schaden.

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bezeichnete die Auszeichnung als "starke Botschaft der Unterstützung für all jene in der Welt, die gelegentlich unter großen persönlichen Opfern für Freiheit und Menschenrechte kämpfen." Ähnlich äußerte sich Außenminister Guido Westerwelle. Er gehe nicht davon aus, dass die Entscheidung des Nobelpreiskomitees Auswirkungen auf die diplomatischen Beziehungen zu China haben werde, sagte der FDP-Chef in Berlin. Es handele sich schließlich nicht um einen diplomatischen Vorgang zwischen zwei Staaten oder der Europäischen Union und einem anderen Land.

Die Bundesregierung forderte unterdessen von China die FreilassungLiu Xiaobos. Sie "wünscht sich, dass er aus der Haft freikommt und den Preis selber in Empfang nehmen kann", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. Die deutsche Regierung habe sich in der Vergangenheit mehrfach für seine Freilassung eingesetzt und werde dies auch weiterhin tun.

Für den Preis waren in diesem Jahr 237 Personen oder Organisationen nominiert worden - mehr als jemals zuvor. Unter den Nominierten war auch Altkanzler Helmut Kohl. Im vergangenen Jahr war Barack Obama für seine herausragenden Bemühungen für die internationale Diplomatie und die Verständigung zwischen den Menschen ausgezeichnet worden.

Im Unterschied zu den anderen Nobelpreisen wird der Friedenspreis von einem Ausschuss zuerkannt, den das norwegische Parlament in Oslo beruft. Dessen fünf Mitglieder wählen den Preisträger aus einer Liste von Kandidaten. Vorschläge können neben den Komiteemitgliedern auch frühere Preisträger, Mitglieder von Regierungen und Parlamenten, Angehörige internationaler Organisationen sowie Universitätsprofessoren für Politik, Geschichte und Philosophie einreichen. Bei der Verleihung soll keine Rücksicht auf die Nationalität genommen werden.

Nach den Worten des Stifters Alfred Nobel soll der Friedensnobelpreis an die Person vergeben werden, die "am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere sowie das Abhalten oder die Förderung von Friedenskongressen hingewirkt" hat.

Den ersten Friedensnobelpreis erhielten 1901 der Gründer des Roten Kreuzes, Henri Dunant, und der Gründer der französischen Friedensgesellschaft, Frédéric Passy. Als erste Frau bekam die Schriftstellerin und Friedensaktivistin Bertha von Suttner den Preis im Jahr 1905.

Die Auszeichnung wird seit 1901 jedes Jahr am 10. Dezember, dem Todestag Alfred Nobels, in Oslo verliehen. Sie ist mit 10 Millionen schwedischen Kronen dotiert.

© sueddeutsche.de/AFP/dapd/dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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