Nobelpreis:Quartett für Dialog und Eigenwerbung

Nobelpreis: Die Preisträger: Abdessattar Ben Moussa, Wided Bouchamaoui, Mohamed Fadhel Mahfoudh und Houcine Abassi (von links).

Die Preisträger: Abdessattar Ben Moussa, Wided Bouchamaoui, Mohamed Fadhel Mahfoudh und Houcine Abassi (von links).

(Foto: AFP)

Der Friedensnobelpreis geht im Jahr 2015 nach Tunesien - eine Begegnung mit einem der vier Preisträger: dem Gewerkschafter Houcine Abassi.

Von Detlef Esslinger

Spekuliert hatte er auf den Preis bereits im vergangenen Jahr. Es war ein Abend im August 2014, Houcine Abassi hatte Besucher aus Deutschland in ein Restaurant eingeladen; am Rand von Tunis. Angeführt wurde die Gruppe vom DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann, und als Gewerkschafter Abassi am Schluss seiner Tischrede angekommen war, sagte er: "Ich möchte für Ihre spontane Unterstützung unserer Bewerbung für den Nobelpreis danken." Mit anderen Worten, er war durchaus der Meinung, die Ehrung verdient zu haben.

Beim Friedensnobelpreis wurde auch in diesem Jahr wieder viel geraten. Es gab - jetzt kann man es ja sagen - Redaktionen, auch süddeutscher Zeitungen, die beinahe sicher waren: Angela Merkel wird's. Da wären aber Sonderseiten fällig gewesen. Als dann das Nobelkomitee die Preisträger bekanntgab, hätte schon rein phonetisch der Unterschied kaum größer sein können: Houcine Abassi, Wided Bouchamaoui, Abdessattar Ben Moussa und Mohamed Fadhel Mahmoud aus Tunesien durften den Preis am 10. Dezember in Oslo entgegennehmen. Die Vier stehen dem Gewerkschaftsbund, dem Arbeitgeberverband, der Liga für Menschenrechte und der Anwaltskammer in dem Land vor. Indem sie vor zwei Jahren ein "Quartett für den nationalen Dialog" bildeten, verhinderten sie vermutlich, dass ihre Heimat den Weg Libyens und Syriens nahm. Sie zwangen die islamistischen und die säkularen Politiker zu Verhandlungen über eine neue Verfassung, ein Übergangskabinett und zur Neuwahl von Parlament und Präsident.

2014 wäre es nicht gut gewesen, wäre der Nobelpreis nach Tunesien gegangen. Denn damals war allein Abassi, der Gewerkschafter, vorgeschlagen worden; von vier Universitäten des Landes. Doch das hätte womöglich nur Neid und Zwietracht gesät, in einer Zeit, da das nach wie vor labile Tunesien nichts weniger gebrauchen konnte als dies. Angeblich kam er bei der Abstimmung in Oslo auf Platz drei. Aber so ist es viel besser, im Prinzip zumindest. Es weiß ja ohnehin jeder in Tunesien, wessen Einsatz der höchste war. Die Arbeitgeberpräsidentin Bouchamaoui zum Beispiel kann sich ungeschützt im Land bewegen. Abassi hingegen ist nur mit Polizei-Eskorte unterwegs. Und seinen deutschen Gästen wurde in jenem August 2014 vorher ein ganz anderes Restaurant genannt als jenes, in das die Polizei sie schließlich führte. Abassi, 68, darf nichts geschehen; die Folgen eines Attentats auf ihn wären unkalkulierbar.

Die Deutschen brauchten damals nicht lange, um festzustellen, was für einen integren Mann sie besuchten. Den Glitzerbau, den der frühere Diktator Zine el-Abidine Ben Ali dem Gewerkschaftsbund verschafft hatte, ließ Abassi gar nicht erst beziehen. Er blieb lieber in dem Kolonialbau in der Altstadt. Er wollte von den Deutschen auch kein Geld; das ist ja oft das erste, wonach Besucher aus Europa gefragt werden. Er wollte ihre Erfahrungen sowie die Reputation, die ihr Besuch ihm verschaffte. So sagte er es auch jetzt, aus Anlass des Nobelpreises: "Für einige Zeit werden wir im Rampenlicht sein. Wir werden versuchen, sie zu nutzen."

Allerdings sind Friedensnobelpreisträger keine Heiligen, sondern Menschen, und in den zurückliegenden Wochen hat Abassi allzu oft gezeigt, dass "Wir" bei ihm ein Synonym für "Ich" ist, dass er Neid und Zwietracht in Kauf nimmt. Er inszenierte sich international als ein Primus inter pares in dem Quartett, und gemeinsame Auftritte vor allem mit der Arbeitgeberpräsidentin Bouchamaoui versuchte er so weit als möglich zu reduzieren - wegen eines gewöhnlichen Tarifkonflikts, den beide Seiten derzeit miteinander austragen. Als ob es keine größere Sache gäbe, die sie miteinander verbinden würde.

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