Niedersachsens künftiger Innenminister Boris Pistorius:Man nannte ihn Kamikaze

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"Lassen Sie sich einbürgern, damit unsere Gesellschaft noch vielfältiger wird", schrieb Pistorius als OB von Osnarbrück an alle Ausländer der Stadt. (Foto: dpa)

Hardliner oder Bürgerrechtler? Innenminister lassen sich stets zwischen diesen Polen verorten. Boris Pistorius, Niedersachsens neuer Minister für Inneres, liegt genau dazwischen. Er will Humanität in der Flüchtlingspolitik - und die Polizei dem Bürger näher bringen.

Von Heribert Prantl

Es gibt zwei Grundtypen von Innenministern: Der eine ist der Typus, der bei jeder Gelegenheit schärfere Gesetze, mehr Überwachung und mehr Gefängnis fordert. Otto Schily (SPD), Bundesinnenminister der Regierung Schröder, war die Idealbesetzung in dieser Rolle. Der andere, viel seltenere Typus des Innenministers ist der des Bürgerrechtlers: Einer also, der genau so medienbewusst wie der Typ eins, zu beweisen versucht, dass man Freiheitsrechte hochhalten und zugleich für Sicherheit sorgen kann: Gerhart Baum - als FDP-Minister der Regierung Helmut Schmidt vor mehr als 30 Jahren - war so einer.

Landesinnenminister kann man stets auf dieser Schily-Baum-Skala einordnen. Um nun Boris Pistorius (SPD), den künftigen Innenminister von Niedersachsen und bisherigen Oberbürgermeister von Osnabrück, richtig zu positionieren, muss man den bisherigen Innenminister in Hannover kennen.

Alles anders machen als die Vorgängerregierung

Ein Hauptanliegen der Rot-Grünen bei den Koalitionsverhandlungen war es, in der Innenpolitik des Landes alles anders zu machen, als es dieser Innenminister Uwe Schünemann getan hat. Der war ein Hardliner, wie er im Buche steht; nicht nur Befürworter vorbeugender Telefon- und E-Mail-Überwachung, sondern auch von geheimen Computer- und Wohnungsdurchsuchungen, Bürgerwehren und eines Pflichtdienstes junger Männer bei einem Heimatschutz. Schünemann betrieb eine sehr harte Flüchtlings-Abschiebepolitik.

Bundesweit bekannt wurde er, als er auf der Abschiebung einer Iranerin bestand, obwohl sie in Iran von Steinigung bedroht war; sie hatte sich scheiden lassen und war zum Christentum übergetreten. Die Berliner taz schrieb jetzt zum Abschied Schünemanns: "Tschüss, Kotzbrocken!"

Die Erwartungen an den Nachfolger sind also besondere. Er wird nicht lange Zeit haben, sich einzuarbeiten. Mit seiner Vereidigung in der nächsten Woche übernimmt er den Vorsitz der Innenministerkonferenz. Pistorius hat schon angekündigt, was er sofort ändern wird: Humanität soll in die Flüchtlingspolitik einziehen. Und er will (wie schon als Oberbürgermeister ), eine offensive Einbürgerungs- und Integrationspolitik einleiten.

Als OB hatte er an 9400 Osnabrücker, die keinen deutschen Pass haben, aber die Kriterien erfüllen, Briefe geschrieben. "Lassen Sie sich einbürgern, damit unsere Gesellschaft noch vielfältiger wird." Da hat er sich an den gebürtigen Osnabrücker Erich-Maria Remarque und dessen Motto angelehnt: "Mein Thema ist der Mensch dieses Jahrhunderts, die Frage der Humanität." Mit Stolz überreichte Pistorius alle zwei Jahre im historischen Friedenssaal den Remarque-Friedenspreis.

Phänotypisch ist der 52-jährige Familienvater und Jurist, der in Münster und im französischen Angers studiert hat, ein massiver Mann - einer von beeindruckender Leutseligkeit, Wortwitz und Bodenständigkeit. Er hat den resoluten Ruf, dorthin zu gehen, wo die Probleme herkommen. Er wohnt im Osnabrücker Arbeiterviertel Schinkel, dort, wo er auch aufgewachsen ist, wo er als Bub für seine Mutter (eine SPD-Politikerin) Plakate geklebt und in der B-Jugend für den "Schinkel 04" Fußball gespielt hat; man nannte ihn "Kamikaze".

Reform des Verfassungsschutzes

Er hat am Gymnasium Russisch gelernt; und weil er mit den Falken, der SPD-Jugend, in der Sowjetunion war, hat seinerzeit der MAD versucht, ihn anzuwerben; er habe entrüstet abgelehnt. 1991 wurde Pistorius Referent beim SPD-Innenminister Gerhard Glogowski; als der, mittlerweile Ministerpräsident, wegen seiner Nähe zur zahlungswilligen Wirtschaft stürzte, war Pistorius schon zur Bezirksregierung zurückgekehrt.

Eine Anklage gegen ihn wegen Untreue, die womöglich wahlkampfgetrieben war (es ging nicht um persönliche Bereicherung, sondern um Zulagen für Beamte) hat das Gericht wegen der Dürftigkeit der Vorwürfe nicht zugelassen. Und so geht Pistorius nun erfrischt und mit Ungestüm ins Amt: Die Polizei will er zu einer Bürgerpolizei machen; den Verfassungsschutz nicht abschaffen, aber reformieren. Es sieht so aus, als wolle er sich auf der Schily-Baum-Skala die Mitte suchen.

© SZ vom 14.02.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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