Weil und Althusmann:Niedersachsen erlebt einen rauen Wahlkampf

SPD-Ministerpräsident Weil und CDU-Herausforderer Althusmann greifen sich scharf an - und profitieren jeweils davon. Die Koalitionssuche dürfte dagegen schwierig werden.

Von Peter Burghardt, Gifhorn

Wer Niedersachsen kennen und regieren will, muss zweierlei beachten. Erstens: Dies ist ein ziemlich großes Bundesland, das zweitgrößte nach Bayern. Es reicht von einem Mittelgebirge bis zu den Ostfriesischen Inseln, vom Harz bis an die Nordsee. Dazwischen liegen ein paar größere und viele kleine Städte sowie eine Menge Wiesen und Wälder, in denen sich sogar Wölfe vermehren. "Niedersachsen ist ein Flächenland", sagt der Ministerpräsident Stephan Weil von der SPD. Er ist als Wahlkämpfer entsprechend kreuz und quer unterwegs. Zweitens: In Niedersachsen ist es häufig sehr windig.

"Ja, sturmfest muss man sein", sagt der SPD-Ministerpräsident. Es war ein rauer Wahlkampf

Am stürmischsten Tag eines stürmischen Jahres steht Weil in einem Café von Gifhorn, östliches Niedersachsen. Die Landtagswahl am 15. Oktober steht bevor. Eigentlich hatte das kleine Bürgergespräch draußen in der Fußgängerzone stattfinden sollen, aber dann fegte dieser Orkan Xavier durch die Straßen, so flüchtete man nach drinnen. "WEIL mir Ihre Sicherheit am Herzen liegt", schrieben seine Begleiter rasch auf ein Hinweisschild. Alle möglichen Wortspiele mit Weils Nachnamen finden sich auf den SPD-Plakaten der Region, zum Beispiel so: "Weil wir mehr Kitas brauchen."

"Ja, sturmfest muss man sein", sagt Stephan Weil und lacht, als er Themen wie Studienplätze und Landärztequote erörtert hat und vom Kaffeeklatsch mit Streuselkuchen zum nächsten Termin weiterzieht. Am Abend zuvor war er in einem Kleinflugzeug von Emden nach Cuxhaven durch die Böen geschaukelt, um dort mit Martin Schulz aufzutreten, dem schutzbedürftigen SPD-Vorsitzenden. Er berichtete, man habe in der Maschine "ein paar Rote mit grünen Nasen" sehen können. Es war offenbar recht wacklig. Aber nun vermerkt Weil heiter gestimmt, dass sich der Wind gedreht hat. Zu seinen Gunsten. In einem unverhofften Moment.

Erst war die CDU in den Umfragen wochenlang voraus. Dann, nach dem Debakel bei der Bundestagswahl, ging es für Weils Sozialdemokraten plötzlich wieder aufwärts. Zuletzt wurden der SPD 33 Prozent der Stimmen zugetraut und der CDU 32, in anderen Erhebungen lagen sie gleichauf. Ein Wahlsieg wäre der erste Erfolg der SPD in der Amtszeit von Schulz. Vor allem wäre es ein Triumph für ihn, Stephan Weil.

Knapp wird es wohl trotzdem. Wie üblich in Niedersachsen, wo mal Rot das Kommando führt und mal Schwarz. Hier eher konservative Landwirte, dort tendenziell progressive Wähler, das macht die Gegend zu einem umkämpften Beritt. Reichen wird es wohl weder für Rot-Grün noch für Schwarz-Gelb. Nicht nur Niedersachsen ist gespannt, in welche Konstellation das Duell zwischen dem Titelverteidiger Weil und seinem CDU-Herausforderer Bernd Althusmann münden wird.

Die verblüffende Trendwende kann auch Stephan Weil nicht recht erklären, wenn man ihn danach fragt. Er schaut vergnügt durch seine randlose Brille und sagt: "Vielleicht machen wir das eine oder andere richtig." Sein Rivale Althusmann sei nervös. "Die dachten, sie hätten gewonnen. Haben sie nicht." Das Szenario ist besonders bemerkenswert, wenn man die politischen Stürme der jüngeren Vergangenheit bedenkt. Der Niedergang des Kabinetts Weil schien bereits 2015 mit dem VW-Skandal zu beginnen. Niedersachsen hält wesentliche Anteile an Volkswagen, der Regierungschef sitzt im Aufsichtsrat. Gegner werfen Weil vor, nicht rechtzeitig über die Dieselaffäre informiert zu haben, obendrein habe ihm VW die Regierungserklärung redigiert.

Man hielt ihn für zu schwach, auch kostet die Affäre Niedersachsens Kommunen eine Menge Geld. Vorwürfe von CDU und FDP jedoch gingen ins Leere, weil die Verquickung von Politik und Konzern in Niedersachsen schon früher System hatte und sogar Gesetz ist, Stichwort: VW-Gesetz. Ernster für Weil wurde es, als im August 2017 dann die Grünen-Abgeordnete Elke Twesten zur CDU überlief. Da verlor Rot-Grün seine hauchdünne Mehrheit von nur einem Sitz. Deshalb wird hier bereits so kurz nach der Bundestagswahl gewählt statt wie geplant im Januar 2018.

"Eine gewisse Grundgelassenheit" habe er aus Namibia mitgebracht, berichtet Althusmann

Natürlich war das ein Thema, als sich die Kontrahenten am Dienstagabend vor den Kameras des NDR gegenüberstanden. Twestens Wechsel verstoße gegen demokratische Spielregeln und empöre die Menschen, wetterte Weil. "Wie ein Mühlstein" hänge der Fall an Althusmann und der CDU. Die Abgeordnete habe selbst entschieden, konterte Althusmann und attackierte Weil, als die Sprache auf Volkswagen kam, die Haus- und Weltmarke.

Der Ministerpräsident habe die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen und Millionen-Abfindungen unterschrieben, er sei der Realität entrückt. Weil: "Sie überblicken nicht, worüber Sie reden." Althusmann: "Sie haben sich am Ring durch die Manege führen lassen." Es ging außerdem um Streitfragen wie Bildung und Sicherheit. Zuschauer ahnten, wie verschieden die Rivalen Weil und Althusmann sind und wie wenig sie sich mögen.

Der Streit könnte AfD und Linke klein halten

Stephan Weil, 58, ist Jurist und war Bürgermeister von Hannover, ehe er 2013 mit hauchdünner Regierungsmehrheit Ministerpräsident wurde. Er liest gerne, mag Ironie lieber als laute Reden. Derzeit tourt Weil fast täglich durch Gaststätten und Gemeindesäle, Motto: "Auf ein Wort mit Stephan Weil." - "Und zwar auf Augenhöhe", sagt er. "Weil ich der festen Überzeugung bin: unsere politische Kultur müssen wir ändern. Dass Politiker über die Köpfe der Leute wegreden, hat keine Perspektive." Nur zwei Mal wirbt er vor diesem 15. Oktober mit Martin Schulz. Beim gemeinsamen Auftritt kürzlich in Cuxhaven kam es einem vor, als hoffe Schulz mehr auf Weil als Weil auf Schulz. Ein Wahlsieger Weil würde Schulz stützen; er selber dabei in die erste Reihe der SPD aufrücken.

CDU-Widerpart Bernd Althusmann, 50, ist Offizier, Diplompädagoge und Betriebswirt. Schon durch seine wuchtigere Statur wirkt er recht gesetzt. Dem Publikum muss sich dieser Mann anders als Weil dennoch erst bekannt machen, obwohl er zwischen 2010 bis 2013 Kultusminister war. Ausgerechnet in diese Zeit fielen Vorwürfe, er habe sich bei seiner Doktorarbeit großzügig anderswo bedient.

Die Koalitionsbildung wird nach der Wahl am Sonntag alles andere als einfach

Danach ging Althusmann für die Adenauer-Stiftung nach Namibia, im Sommer 2016 kam er zurück. "Eine gewisse Grundgelassenheit" habe er aus Afrika mitgebracht, berichtet er nach einer Podiumsrunde mit Wolfgang Schäuble im ebenfalls windumtosten Winsen. Mit Angela Merkel geht der Heimkehrer in diesem Wahlkampfspurt gleich fünfmal auf die Bühne, "die Kanzlerin ist die führende Politikerin Europas, für mich bleibt die Kanzlerin ein Pfund". Bei Weil dagegen fällt ihm spöttisch ein, "der findet Schulz ja ganz toll, er hat auch Gabriel mit abgesägt".

Da verfliegt die afrikanische Gelassenheit rasch. Weils SPD? "Auf dicke Hose zu machen kann halt auch mal schiefgehen", stänkert Althusmann. "Die tun ja so, als ob ihnen das Land Niedersachsen gehört - die hatten eine Stimme Mehrheit."

Der Streit der beiden wichtigsten Kandidaten könnte AfD und Linke vergleichsweise kleinhalten. Und man ahnt, wie kompliziert die Suche nach einem Bündnis in Niedersachsen wird. "Rot-Rot-Grün droht!", sagt Althusmann, wobei diese Konstellation schon mangels Mehrheit kaum infrage kommt. Eine Mehrheit hätten voraussichtlich nur Jamaika, Ampel oder große Koalition. Mit dem Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne) wiederum ist die CDU derart entzweit, dass Jamaika schwierig werden dürfte. SPD, Grüne und FDP? Auch schwierig. Doch große Koalition?

Das Ende der Groko im Bund ist für Althusmann eine Erklärung für den Aufschwung der SPD in Niedersachsen. "Möglicherweise hat das manchen gefallen." Unwahrscheinlich also, dass Weil und Althusmann dieses sturmerprobte Bundesland bald gemeinsam regieren.

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