Niedersachsen:Niedersachsens Regierung drängte VW vergeblich zu mehr Offenheit in Abgasaffäre

  • Niedersachsens Ministerpräsident wird vor allem von der CDU vorgeworfen, er habe sich im Oktober 2015 seine Regierungserklärung zum Abgasskandal von VW frisieren lassen.
  • Interne Dokumente zeigen nun aber, wie sehr Ministerpräsident Weil und seine Regierung in Hannover mit der VW-Spitze über Kreuz sind, was den Umgang mit der Affäre anbelangt.
  • Außerdem belegen die Unterlagen, wie die Regierung den Landtag und damit auch die Opposition damals darüber informierte, dass Reden von Weil zum VW-Skandal dem Autokonzern vorab zur Prüfung geschickt wurden.

Von Klaus Ott

In der Öffentlichkeit äußert sich Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) meist eher vorsichtig über die Abgasaffäre bei Volkswagen. Schließlich ist VW der größte Arbeitgeber des Landes. Was die Landesregierung wirklich denkt über die Konzernspitze von VW und deren Umgang mit dem Betrug bei Dieselautos, wird nur hinter verschlossenen Türen gesagt. Dafür dann aber deutlich.

Bei VW werde versucht, diese Vorkommnisse zu "beschönigen", sagte Weils Sprecherin, Staatssekretärin Anke Pörksen, vor knapp einem Jahr im niedersächsischen Landtag. So ist es im Protokoll einer Sitzung des Wirtschaftsausschusses vom 15. September 2016 vermerkt. Das Papier liegt der Süddeutschen Zeitung, NDR und WDR vor.

Der VW-Teil der Sitzung war "vertraulich". Das steht - mit Ausrufezeichen - gleich am Anfang der Niederschrift. Folglich konnte Pörksen offen schildern, wie VW versuche, die Affäre herunterzuspielen. Eben zu "beschönigen". Pörksen fügte hinzu, sie würde das "offiziell nicht so kritisieren wollen. Aber letztlich ist das so."

Das Protokoll zeigt zweierlei: Wie sehr Ministerpräsident Weil und seine Regierung in Hannover mit der VW-Spitze in Wolfsburg um Vorstandschef Matthias Müller und Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch über Kreuz sind, was den Umgang mit der Affäre anbelangt. Und wie die Regierung den Landtag und damit auch die Opposition damals darüber informierte, dass Reden von Weil zum VW-Skandal dem Autokonzern vorab zur Prüfung geschickt wurden.

Die FDP hatte zuvor aber mit einer Klage beim Staatsgerichtshof Druck machen müssen, um Auskunft zu bekommen.

VW entschied sich für: Die Affäre kleinreden, Deckel drauf

Staatssekretärin Pörksen machte im Landtag klar, dass die Regierung von Müller und Pötsch mehr Offenheit erwarte. Sie verwies auf das damals absehbare Ende der Verfahren in den USA, wo VW mit manipulierten Abgaswerten die Behörden und etwa eine halbe Million Kunden hintergangen hatte. Die US-Behörden würden eine Zusammenfassung der Ermittlungsergebnisse vorlegen, ein "Statement of Facts". Dieses Papier werde aber möglicherweise nicht dazu beitragen, die Öffentlichkeit "mitzunehmen", so Weils Sprecherin.

Pörksen listete auf, was Volkswagen, "freundlich formuliert", alles erklären müsse: Wir haben etwas falsch gemacht, wir haben verstanden, wir ändern es ab. Und: "Das sind die Verantwortlichen." Dieses alles werde das Unternehmen "darstellen müssen". Es gelte, darüber zu reden, was für Volkswagen und die Landesregierung notwendig sei, um "über das Statement of Facts hinaus zu informieren". Vier Monate später, Anfang 2017, schlossen die US-Behörden ihre Verfahren ab und verfügten Strafen sowie Schadenersatzzahlungen in Höhe von mehr als 20 Milliarden Dollar. Als dann endlich auch das Statement of Facts vorlag, veröffentlichte Volkswagen darüber hinaus: nichts.

Und das, obwohl die durch Ministerpräsident Weil und Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) im VW-Aufsichtsrat vertretene Regierung sich ausdrücklich eine "bessere Kommunikation" erhofft hatte. So war das von Pörksen im Landtag formuliert worden, im geheim tagenden Wirtschaftsausschuss. Doch die VW-Spitze um Müller und Pötsch entschied sich für einen anderen Kurs: Die Affäre kleinreden, Deckel drauf, Schluss mit der Aufklärung in der Öffentlichkeit. Ganz in diesem Sinne hatte die Konzernspitze auch in Weils Redemanuskripten herumstreichen lassen, die von der Regierung zwecks Faktencheck und juristischer Prüfung regelmäßig dem Unternehmen geschickt worden waren.

"Die Angst ist dort noch sehr viel größer als bei uns"

Wenn Weil formulierte, immerhin werde in Wolfsburg jetzt "aufgeräumt", wollte VW daraus machen: Immerhin werde der Sachverhalt jetzt "untersucht". Wenn Weil die Affäre als "richtigen Rückschlag" für den Konzern bezeichnete, hätte VW das gerne geändert in: "Unerfreulich war..." Wenn Weil für die Affäre die Bezeichnung "Diesel-Gate" wählte, hätte es VW lieber belassen bei: "Diesel-Thematik". Diese Beispiele nannte Pörksen im Wirtschaftsausschuss des Landtags mit Blick auf weitere Redeentwürfe neben dem jetzt diskutierten. Sie sagte, Weils Wortwahl "Diesel-Gate" werde von VW "konsequent seit einem Jahr immer wieder korrigiert. Wir übernehmen diese Korrektur konsequent seit fast einem Jahr nicht."

Aus dem Protokoll lässt sich unschwer herauslesen, wie angespannt und belastet das Verhältnis zwischen Hannover und Wolfsburg ist. Hier die Regierung, die auf umfassende Aufklärung dringt. Die sich aber mit der 20-prozentigen Beteiligung des Landes an VW nicht durchsetzen kann. Dort die Hauptaktionäre, die Familien Porsche und Piëch, die vieles einfach nur aussitzen wollen.

Und dann noch die vielen Juristen, die VW der Affäre wegen engagiert hat. Die befürchteten, offizielle Äußerungen von Aufsichtsräten, VW habe gegen Gesetze verstoßen, könnten die Lage bei Prozessen vor Gericht verschlechtern. Auch das sagte Pörksen im Landtag; vertraulich. Die Juristen hätten "sehr großen Einfluss auf die Kommunikation" bei VW. Die Staatssekretärin fügte hinzu: "Die Angst ist dort noch sehr viel größer als bei uns."

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