Niedersachsen:Ministerpräsident Weil entgleitet seine Macht

  • Ministerpräsident Weil ist ohnehin gebeutelt, weil die Abgeordnete Elke Twesten von den Grünen zur CDU wechselte und damit die Ein-Stimmen-Mehrheit seiner rot-grünen Regierungskoalition zerstörte.
  • Nun setzte es einen zusätzlichen Hieb: Medien berichteten, Weil habe sich im Oktober 2015 seine Regierungserklärung zum Abgasskandal von VW frisieren lassen.
  • Nach SZ-Informationen unterwarf sich der gesamte Aufsichtsrat inklusive Weil damals einer Clearingstelle, über die der Konzern öffentliche Aussagen auf falsche oder gerichtlich anfechtbare Inhalte prüfen wollte.

Von Thomas Hahn und Klaus Ott

An seinen guten Tagen strahlt der Ministerpräsident Stephan Weil eine väterliche Ruhe aus, die er wie eine wärmende Decke über das Land Niedersachsen breitet. Seine Reden können dann schon mal ein bisschen profillos wirken, was den Eindruck verstärkt, dass Harmonie ein hohes Gut für ihn ist. Aber diese Tage sind nicht gut für Stephan Weil. Ihm entgleitet seine Macht. Die väterliche Ruhe bewahrt er nur mit Mühe.

Zumindest war das am Freitag der Eindruck, als er sich zum ersten Mal öffentlich zu dem Umstand äußerte, dass die Abgeordnete Elke Twesten von den Grünen zur CDU wechselt und damit die Ein-Stimmen-Mehrheit seiner rot-grünen Regierungskoalition zerstört. "Unsäglich" sei das und "schädlich für unsere Demokratie". Man sah ihm an, dass der Zorn in ihm loderte. Der sonst so ausgleichende Weil sprach von einer "Intrige".

Man kann Stephan Weil kaum verdenken, dass er gerade glaubt, ein Verbund geheimer Kräfte habe sich gegen ihn verschworen. Die Entscheidung der Hinterbänklerin Elke Twesten wirkt tatsächlich wie ein politischer Amoklauf, so plötzlich wie sie die gesamte politische Gemengelage im niedersächsischen Landtag umhaute.

Es war, als habe Stephan Weil alles im Griff

Und am Sonntag setzte es einen zusätzlichen Hieb. Bild am Sonntag berichtete, Weil habe sich im Oktober 2015 seine Regierungserklärung zum Abgasskandal von VW frisieren lassen. Nach SZ-Informationen unterwarf sich der gesamte Aufsichtsrat inklusive Weil damals einer Clearingstelle, über die der Konzern öffentliche Aussagen auf falsche oder gerichtlich anfechtbare Inhalte prüfen wollte. Der Aufsichtsrat hätte sich demnach entmündigen lassen. Ein Unding.

Stephan Weil versucht, die Zügel irgendwie in der Hand zu behalten. Aber die Lage wird immer schwieriger. Den Bild-Bericht von der geschönten Rede bezeichnete seine Sprecherin Anke Pörksen in einer ausführlichen Richtigstellung "grob verzerrend und irreführend". Aber da drehte sich die Negativ-Spirale längst. Cem Özdemir, Bundesvorsitzender der Grünen, kritisierte in der Welt: "Wenn Ministerpräsident Weil eine Regierungserklärung von Volkswagen abnicken lässt, ist das Fundament unserer Marktwirtschaft bedroht."

Ausgerechnet Özdemir, wo Weil die Grünen doch jetzt so dringend an seiner Seite braucht, um den Verdacht der Twesten-Intrige hart zu kriegen. Viereinhalb Jahre lang hat er fast reibungslos mit den Grünen regiert. Sein Gespür für das richtige Zugeständnis kam gut an beim Koalitionspartner, fast schwärmerisch sprechen sie dort von den rot-grünen Verständigungsprozessen im parlamentarischen Prozess. Die Einstimmenmehrheit hielt. Es war, als habe Stephan Weil alles im Griff.

Und jetzt stehen seine SPD und die Grünen zusammen im letzten Gefecht, tief getroffen von einer Kollegin, die lange zum eingespielten Koalitionsteam gehörte. Angriff wählt Weil als Strategie und will die CDU bei der Moral packen als standhafter Regierungschef, der die demokratischen Werte verteidigt. Tut man das? Eine vom Wähler bestimmte Mehrheit umzuwerfen, indem man eine Abtrünnige aufnimmt? Stephan Weil sagt: "Man wird in den nächsten Tagen der Frage nachgehen, wer hat mit wem worüber gesprochen."

Entschlossen und kampfeslustig will Weil wirken

Die Grünen sehen das genauso. Elke Twesten antwortete im Deutschlandfunk: "Es gab keine Versprechungen vonseiten der CDU oder gar Ablösesummen, von denen in sozialen Netzwerken groteskerweise die Rede ist." Und der CDU-Spitzenkandidat Bernd Althusmann erklärte: "Rot-Grün ist an sich selbst gescheitert."

Nichts soll den Eindruck erwecken, als wüsste die Weil-Regierung nicht weiter. Eilig ist sie in die Planungen eingestiegen, die ihrem Mehrheitsverlust folgen müssen. Die Koalitionsfraktionen haben getagt und vorbesprochen, dass sie am 16. August die Selbstauflösung des Parlaments beantragen werden. Selbstmitleidige Reden und Schuldzuweisungen soll es dabei nicht gegeben haben. "In so einem Moment setzt man sich pragmatisch mit der Situation auseinander und guckt, wie man im gegebenen Zeitrahmen die formalen Notwendigkeiten abarbeitet", sagt die grüne Fraktionschefin Anja Piel.

Entschlossen und kampfeslustig will Weil wirken. "Ich bin heute Abend noch motivierter, als ich es gestern zur gleichen Zeit gewesen wäre", sagte er am Freitagabend im NDR. Trotzdem: die Wunde ist tief, ein Gefühl von Ohnmacht muss ihn umwehen nach der Twesten-Wende. Elke Twesten war teilweise auf Terminen mit ihm, es gibt Fotos, auf denen er und sie wie die leibhaftige Einigkeit wirken. Und die Grünen können ihm den Sinneswandel der geschiedenen Parteifreundin nicht erklären.

Dass Twesten sauer war, weil sie im Kreisverband Rotenburg/Wümme bei der Aufstellungsversammlung für die Landtagswahl mit 10 zu 17 Stimmen gegen die Lokalpolitikerin Birgit Brennecke verlor, war bekannt. Aber nichts deutete darauf hin, dass sie die Einstimmen-Mehrheit kippen würde. Anfang der Woche saß sie noch in der Kreistagsfraktion. Bei Abstimmungen im Landtag war sie "kein Risikofaktor", wie Anja Piel sagt: "Wir hatten keine inhaltlichen Debatten, bei denen man die Ahnung hätte bekommen können, sie finde die Linie der Grünen so doof, dass sie sich nicht mehr bei uns beheimatet fühlt."

Weil kämpft um seine Ruhe

Erst um elf Uhr am Freitag erreichte das grüne Fraktionsbüro vom Sekretariat des parlamentarischen CDU-Geschäftsführers Jens Nacke die Nachricht vom Austritt Elke Twestens. Sie hatte vorher weder eine Aussprache in der Fraktion noch im Parteivorstand erbeten. "Frau Twesten hat uns vor vollendete Tatsachen gestellt", sagt Anja Piel. Sie versteht das alles nicht.

Nun kommt für Weil also auch noch die VW-Sache dazu. Er versucht sie mit dem Verweis auf sein Pflichtbewusstsein für Niedersachsens mächtigen Arbeitgeber zu bändigen. Weil wird im VW-Aufsichtsrat als "vielleicht nicht der allermutigste" beschrieben, aber auch als "bestimmt nicht opportunistisch". Er hat entscheidend dazu beigetragen, dass der langjährige VW-Chef Martin Winterkorn im September 2015 gehen musste. Die vermeintlich geschönte Rede klingt nicht zwingend nach falscher Loyalität.

Und am Sonntag tritt er wegen des Bild-Berichts noch mal vor die Presse. Er lächelt verspannt und schimpft. "Bodenlos" nennt er die Vorwürfe, der Vorgang sei lange bekannt. Er sieht "einen Zusammenhang mit dem laufenden Wahlkampf". Er sagt: "Das bedaure ich außerordentlich." Er kämpft um seine Ruhe. So richtig gelingen will ihm das nicht.

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