Niedersachsen:"Frau Twesten, Sie haben Ihren inneren moralischen Kompass verloren"

Landtag in Hannover

Bei der Sitzung im Landtag in Hannover saß Elke Twesten zum ersten Mal bei der CDU statt bei den Grünen - und wurde hart attackiert.

(Foto: Holger Hollemann/dpa)
  • Weil die rot-grüne Regierung ihre Ein-Stimmen-Mehrheit durch den Wechsel der Abgeordneten Twesten zur CDU verloren hat, leitet der niedersächsische Landtag seine Selbstauflösung ein.
  • CDU-Fraktionsvorsitzender Björn Thümler kritisierte, die rot-grüne Regierung sei schon seit vielen Monaten erkennbar "ins Straucheln geraten".
  • Johanne Modder, SPD-Fraktionsvorsitzende, forderte von Twesten, ihr Mandat niederzulegen.

Nach dem Aus für die rot-grüne Regierung in Niedersachsen hat der Landtag in Hannover seine Selbstauflösung eingeleitet. Die Parlamentarier kamen zu einer Sondersitzung zusammen, um den gemeinsam von allen Fraktionen eingereichten Antrag zu beraten. Wegen des Wechsels der Abgeordneten Elke Twesten von den Grünen zur CDU hatte Rot-Grün seine Ein-Stimmen-Mehrheit im Parlament verloren. Die Abstimmung über die Auflösung ist erst für den 21. August vorgesehen, weil laut Verfassung eine Karenzzeit von elf Tagen gilt.

Zuvor lieferten sich die Fraktionen im Landtag eine heftige Debatte. Den Anfang machte Björn Thümler, Fraktionsvorsitzender der CDU: Die rot-grüne Regierung sei seit vielen Monaten erkennbar "ins Straucheln geraten".

Die SPD sei auch schuld an der "Klimavergiftung der letzten Tage" - vor allem Ministerpräsident Weil, der sich "wie ein Rumpelstilzchen" aufgeführt habe. Das Problem der Regierungsfraktion sei: Sie müsse endlich begreifen, dass ihre Abgeordnete aus freien Stücken die Grünen verlassen habe.

Man habe "gemeinsam viel geschafft", verteidigt sich die SPD

Johanne Modder, SPD-Fraktionsvorsitzende, wies die Anschuldigungen von sich: "Die Ein-Stimmen-Mehrheit stand seit 2013 stabil und geschlossen." Dass sich Mehrheiten verändern könnten, sei in einer Demokratie normal. Darüber solle aber der Wähler entscheiden und nicht einzelne persönlich enttäuschte Abgeordnete.

Modder wandte sich dann direkt an die Ex-Grünen-Abgeordnete: "Ich will es Ihnen, Frau Twesten, nicht ersparen, Sie persönlich anzusprechen. Ihr Wechsel ist juristisch nicht zu beanstanden. Aber nicht alles, was legal ist, ist auch legitim."

Wenn es einen Entfremdungsprozess gegeben habe, dann hätte sie im Juni gar nicht mehr versuchen dürfen, für ihre alte Partei zu kandidieren. "Sie gehören diesem Parlament an, weil die Grünen so viele Zweitstimmen erhalten haben, dass Sie über die Landesliste in den Landtag kamen. Die Wähler haben sie gewählt, damit Sie die Inhalte der Partei der Grünen vertreten."

Und dann wurde sie noch deutlicher: "Frau Twesten, Sie haben Ihren inneren moralischen Kompass verloren. Wenn Sie mit der Partei nicht zufrieden sind, dann wäre es nur konsequent gewesen, Ihr Mandat zurückzugeben."

Nach CDU und SPD sprach auch die Vertreterin von Twestens Ex-Partei zur Wechslerin. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Anja Piel sagte: "Es wirft kein gutes Licht auf jemanden, der die Partei verlässt, weil er im Wahlkreis von der Basis der Partei nicht mehr aufgestellt wird." Anschließend las sie aus einem Zeitungsartikel eine Liebeserklärung Twestens an die Grünen vor. Von vor nur zwei Monaten.

Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sprach dann auch noch die Vorwürfe an, er habe sich im Oktober 2015 seine Regierungserklärung zum Abgasskandal von VW frisieren lassen. Sie kamen just nach dem Wechsel Twestens und der damit einhergehenden Regierungskrise auf. "An Zufälle mag glauben, wer will. Ich glaube nicht daran", sagte Weil während seiner Rede im Landtag. Mittlerweile ist bekannt, dass auch die schwarz-gelbe Vorgängerregierung ihre Kommunikation mit VW abgestimmt haben soll.

Zwei-Drittel-Mehrheit nötig

Bei der Abstimmung über die Auflösung am 21. August ist eine Zustimmung von zwei Drittel der anwesenden Mitglieder nötig, mindestens jedoch die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Landtages. Die ursprünglich ohnehin für Anfang Januar terminierte Landtagswahl wird auf den 15. Oktober vorgezogen.

Mehrere Parteien müssen noch ihre Listen für die verfrühte Landtagswahl aufstellen. Die SPD will erst Anfang September über die Plätze abstimmen lassen. Grüne und FDP legen am Wochenende ihr Personal für den Wahlkampf fest.

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