Niedersachsen:Der Freitag der Schwarzen

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Im Niedersächsischen Landtag tritt die Grünen-Abgeordnete Twesten in die CDU-Fraktion über. Die Mehrheit von Rot-Grün ist damit dahin. Über einen sagenhaften Tag.

Von Thomas Hahn

Eine Landesregierung kippt man nicht alle Tage, und ein solches Rampenlicht, wie es sie am Freitag in Hannover anstrahlte, ist die Politikerin Elke Twesten auch nicht gewohnt. Sie war deshalb ziemlich nervös, als sie vor laufender Live-Kamera ihren Übertritt von der Grünen- in die CDU-Fraktion des Niedersächsischen Landtags erklärte. Ihre Stimme bebte, sie atmete schnell. Jedes Wort schien ihr schwerzufallen, weil jedes Wort, das ihre Entscheidung deutlicher machte, ein weiterer Schlag gegen die Einstimmen-Mehrheit der rot-grünen Regierung unter Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) war. "Dieser Schritt ist mir nicht leichtgefallen, aber es war ein notwendiger", sagte Elke Twesten.

Neben ihr stand CDU-Fraktionschef Björn Thümler. Der wiederum strahlte die Ruhe des Genießers aus und führte in gewandter Rede aus, dass aus seiner Sicht "so bald wie möglich" eine Neuwahl zu organisieren sei.

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Die rot-grüne Landesregierung hat ihre Mehrheit verloren, nachdem die Grünen-Abgeordnete Elke Twesten zur CDU gewechselt ist.

Und so wird es wohl auch kommen nach dieser Volte einer Hinterbänklerin, die ihr persönliches politisches Schicksal zum Schicksal des ganzen Landes gemacht hat. Am Nachmittag erklärte nämlich auch Ministerpräsident Weil, dass er nach dem Verlust der parlamentarischen Mehrheit nicht warten wolle bis zu den regulären nächsten Landtagswahlen am 14. Januar 2018. Es sei "unabdingbar, dass der Niedersächsische Landtag möglichst rasch seine Selbstauflösung beschließt und es möglichst bald Neuwahlen gibt". Einen Rücktritt lehnte Weil ab: "Ich stelle mich jederzeit gerne dem Wählerwillen. Aber ich werde einer Intrige nicht weichen." Der CDU würden Neuwahlen parallel zur Bundestagswahl am 24. September gefallen. Aber das wird wohl nicht gehen. Weil sagte, erst in der nächsten Plenarsitzung am 16. August könne der Antrag zur Selbstauflösung in den Landtag kommen. Vom elften Tag an müsse darüber binnen 20 Tagen entschieden werden, und nach der Entscheidung müssten die Wahlen innerhalb von zwei Monaten stattfinden. "Das ist die Verfassungslage", sagte Weil.

Eine Einstimmen-Mehrheit hat ihre Tücken, das hat Stephan Weil immer gewusst - und mit seiner ausgleichenden Art stets erfolgreich darauf eingewirkt, dass keiner im rot-grünen Verbund aus der Reihe tanzte. Aber mit einem so plötzlichen und irreparablen Wechsel der Mehrheitsverhältnisse hatte er bestimmt nicht gerechnet.

Elke Twesten, 54, seit 2008 grüne Landtagsabgeordnete für den Kreis Rotenburg/Wümme, gehörte seit den Landtagswahlen 2013 zu jenen hochdisziplinierten Koalitionären, die jede Abstimmung im Parlament zum Erfolg führten. Die Opposition verzweifelte fast daran, dass die 49 SPD- und 20 Grünen-Abgeordneten nach ausführlichen internen Verhandlungen ein Gesetzesvorhaben nach dem anderen durchbrachten. Die Frauenpolitikerin Twesten trug dazu zuverlässig bei. Und bis Freitagmorgen musste auch kaum einer annehmen, dass sich daran etwas ändern würde - bis Elke Twesten ihre Partei darüber informierte, dass sie sich zum sofortigen Wechsel zu den Schwarzen entschlossen habe. "Ich sehe meine Zukunft bei der CDU", sagte sie.

Seit langem eine Anhängerin von Schwarz-Grün

Nun fällt Stephan Weil die knappe Mehrheit fünf Monate vor dem regulären Ende der Legislaturperiode also doch noch auf die Füße. Warum? Das werden die Grünen wohl erst noch ergründen müssen. Elke Twesten selbst war in den vergangenen Wochen offensichtlich nicht sehr mitteilsam, was ihre Probleme in der Partei anging. Sie scheint diese in erster Linie bei der CDU besprochen zu haben, die sie noch nie so abscheulich fand, wie das manche Grüne tun. "Ich bin seit Langem eine bekennende Anhängerin von Schwarz-Grün", sagte sie am Freitag, "ich habe eine bürgerliche Grundstruktur und muss mich in der Union nicht verbiegen."

Dass sich Elke Twesten bei den Grünen nicht mehr zu Hause fühlte, hat wohl damit zu tun, dass sie in ihrem Kreisverband Rotenburg nicht mehr wohlgelitten war. Dieser Kreisverband hat zuletzt einen beträchtlichen Mitgliederzuwachs verzeichnet, vor allem seit es in der Gemeinde Fintel einen neuen Ortsverband gibt.

Das veränderte die Stimmenverhältnisse sehr, und die neuen Mitglieder konnte die Abgeordnete Twesten nicht für sich gewinnen. Bei der Aufstellungsversammlung für die Landtagswahl verlor sie jedenfalls deutlich gegen die Lokalpolitikerin Birgit Brennecke. Gabriele Schnellrieder, Sprecherin des Kreisverbandes Rotenburg, sagt dazu: "Wenn man nicht damit rechnet, dass es Menschen mit anderen Meinungen gibt, wird es schwer." Die meinungsstarke Basis der Grünen hält immer wieder böse Überraschungen für prominentere Mitglieder bereit. Mancher Grüner beobachtet auf dem Land einen Trend zu ideologischeren Positionen, die schlecht zur Kompromissbereitschaft in der Landespolitik passen.

So etwas kann zu Entfernungsprozessen führen, denen Elke Twesten nicht entgegenwirken konnte. "Leidenschaftlich, aber stets mit dem Bewusstsein für das Machbare", mache sie Politik. Freunde grüner Vernunftpolitik hielten Twesten deshalb für eine seltene Verbündete. Allerdings: Hat das noch etwas mit Vernunft zu tun, wenn eine einzelne Frau nach einer persönlichen Niederlage eine ganze Regierung kippt? Björn Thümler fand diese Frage natürlich nicht sehr interessant. Gerne zählte er die Folgen des Twesten-Wechsels für den Landtag auf: "Neue Zusammensetzung des Präsidiums, des Ältestenrats, der Ausschüsse." Die Grünen dagegen waren sauer. "Nicht nachvollziehbar" sei Twestens Entscheidung, sagte Fraktionschefin Anja Piel. "Frau Twesten selbst hat keine inhaltlichen Gründe genannt." Außerdem kritisierte sie, "dass Frau Twesten sich bewusst dagegen entschieden hat, eine Aussprache in der Fraktion herbeizuführen".

Auch Stephan Weil war sichtlich wütend. "Ausschließlich eigennützig" nannte er Elke Twestens Wechselgründe. Dass sie die gewählten Mehrheiten verändere, "halte ich für unsäglich und ich halte es für sehr schädlich für unsere Demokratie". Er bezog die CDU in seine Kritik mit ein. Und Twesten selbst? Es gibt durchaus rot-grüne Gesetzesvorhaben, die sie mit ihrer Stimme noch unterstützen würde. Das niedersächsische Gleichberechtigungs-Gesetz zum Beispiel. Schlechtes Gewissen? Keines. "Ich bin keine Verräterin", sagte Elke Twesten, "ich fühle mich sehr gut."

© SZ vom 05.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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