Niedersachsen:Das Fanal von Hannover

Regierungskrise Niedersachsen

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil nach seinem Pressestatement in Hannover.

(Foto: dpa)

Schwerer Schlag für die SPD kurz vor der Bundestagswahl: Ministerpräsident Weil verliert wegen einer Überläuferin überraschend seine Mehrheit im Landtag. Ist damit der Machtwechsel in Niedersachsen besiegelt?

Von Robert Roßmann

Wenige Wochen vor der Bundestagswahl hat die SPD von Kanzlerkandidat Martin Schulz einen weiteren schweren Rückschlag erlitten. Am Freitag erklärte die niedersächsische Grünen-Abgeordnete Elke Twesten überraschend den Austritt aus ihrer Fraktion, sie will sich der CDU anschließen. Damit verliert die rot-grüne Landesregierung von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) ihre Mehrheit. Bisher kamen SPD und Grüne im Landtag auf 69 Sitze, die Oppositionsparteien CDU und FDP auf 68. Weil sprach sich noch am Freitag für eine rasche Neuwahl aus. In der jüngsten Umfrage, sie stammt von Ende Mai, liegt die CDU 14 Prozentpunkte vor den Sozialdemokraten. Weder für ein rot-grünes Bündnis noch für eine Ampel-Koalition gibt es den Zahlen zufolge eine Mehrheit. Weil muss also damit rechnen, abgewählt zu werden.

Eigentlich hatten Martin Schulz und seine Sozialdemokraten im laufenden Bundestagswahljahr auf Rückenwind aus den Ländern gesetzt. Sie hatten gehofft, im Saarland Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) ablösen zu können. In Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen ging die SPD davon aus, dass die von ihnen gestellten Ministerpräsidenten ihre Ämter verteidigen können. Doch dann haben die Sozialdemokraten alle drei Landtagswahlen verloren. Jetzt droht ihnen überraschend auch noch der vorzeitige Machtverlust in einem vierten Land.

Entsprechend gereizt reagierte die SPD. So nannte Weil das Verhalten von Elke Twesten "unsäglich", der Ministerpräsident beklagte eine "Intrige", der er "nicht weichen" werde. Schulz sprach von einem "Verrat an Rot-Grün". SPD-Generalsekretär Hubertus Heil sagte, die bisherige Grünen-Abgeordnete Twesten habe "ihre verletzte Eitelkeit" über das Wohl des Landes gestellt. Twesten hatte ihren Wechsel zur Union auch damit begründet, dass die Grünen sie wegen ihrer Präferenzen für ein schwarz-grünes Bündnis nicht mehr aufgestellt hätten. Heil sagte, es sei "skandalös, dass die CDU dieses unwürdige und schmutzige Spiel" mitmache. Übertritte von Abgeordneten in andere Fraktionen kommen häufiger vor. In Hamburg wechselt etwa die frühere Linken-Abgeordnete Dora Heyenn gerade in die SPD-Fraktion. Im April ging die Thüringer Landtagsabgeordnete Marion Rosin von der SPD zur CDU. Nur in seltenen Fällen führen solche Wechsel aber auch zu neuen Regierungsmehrheiten.

CDU und FDP vor möglicher Mehrheit in Niedersachsen

„Ich bin keine Verräterin. Ich fühle mich sehr gut.“ Elke Twesten, bisherige Grünen-Abgeordnete, erhofft sich eine bessere Zukunft in der CDU.

(Foto: Holger Hollemann/dpa)

Mit dem Verlust der Mehrheit in Niedersachsen dürfte es für die SPD jetzt noch schwerer werden, die Union im Bundestagswahlkampf einzuholen. In den Umfragen liegen die Sozialdemokraten bundesweit zwischen 14 und 18 Prozentpunkten hinter der Union. Niedersachsen hat in der SPD eine besondere Bedeutung: Aus dem Land stammen Außenminister Sigmar Gabriel, Fraktionschef Thomas Oppermann und Generalsekretär Heil - Altbundeskanzler Gerhard Schröder und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier haben dort ihre politische Karriere begonnen, Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries war vor ihrem Wechsel in den Bund in Niedersachsen Staatssekretärin.

Die Lage ist aber auch für die CDU nicht einfach. Sie könnte zwar eine Neuwahl ablehnen und stattdessen zusammen mit der FDP den CDU-Spitzenkandidaten Bernd Althusmann sofort zum Ministerpräsidenten wählen. Dass Althusmann derzeit nicht Mitglied des Landtags ist, steht dem nicht entgegen. Anders als etwa in Nordrhein-Westfalen muss in Niedersachsen der Regierungschef nicht auch Abgeordneter sein. Allerdings hätte Althusmann rechnerisch lediglich eine Stimme Mehrheit. Bei nur einem Abweichler in den Reihen von CDU und FDP fiele er durch. "Dann würde niemand mehr vom Scheitern von Rot-Grün reden, sondern alle nur noch über eine Niederlage von Althusmann sprechen", hieß es in der Union. Dies könnte nicht nur der Bundes-CDU bei der Bundestagswahl am 24. September schaden, sondern auch der Landes-CDU. Wenn es nicht zu einer vorgezogenen Neuwahl kommt, wird der Landtag am 14. Januar 2018 regulär gewählt.

Außerdem befürchtet man in der CDU, eine Wahl von Althusmann mit der neuen Landtagsmehrheit ohne vorherige Neuwahl könnte bei den Bürgern nicht gut ankommen.

Entsprechend vorsichtig äußerte sich Althusmann. Der 50-Jährige bekräftigte zwar, dass er "den Willen habe, Regierungschef in Niedersachsen zu werden". Er wolle sich aber nicht vorschnell auf eine der möglichen Varianten auf dem Weg dorthin festlegen, sagte Althusmann. Darüber müsse in den kommenden Tagen in Ruhe beraten werden. Es gilt jedoch als sicher, dass sich am Ende auch die CDU für eine vorgezogene Wahl aussprechen wird - sie hätte aber gerne, dass Stephan Weil vorher zurücktritt. Althusmann versicherte, dass er Twesten keinerlei Zusagen als Belohnung für den Parteiwechsel gemacht habe. Twesten selbst schürte die Vorbehalte gegen sie jedoch mit ihrer Erklärung, sie könne zwar nicht mehr für die CDU in den nächsten Landtag einziehen, da die Landesliste für die reguläre Wahl im Januar bereits geschlossen sei. Allerdings könne sie sich auch vorstellen, "in den Bundestag oder das EU-Parlament" zu gehen. Althusmann bekräftigte deshalb am Abend, dass seine Erklärung, es gebe keine Zusagen, natürlich auch bedeute, dass es keine Angebote bezüglich Mandaten in Berlin oder Straßburg gebe.

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