Niederlande:Der Hahnenkampf mit Erdoğan hilft dem niederländischen Premier

Mark Rutte

Als erfahrener Politiker weiß Mark Rutte, dass ihm Diplomatie schnell als Zaudern ausgelegt worden wäre.

(Foto: dpa)

Am Mittwoch stehen die Niederlande vor einer wirklich wichtigen Wahl. Ministerpräsident Rutte kam der Krach mit den Türken da gar nicht unrecht.

Kommentar von Thomas Kirchner

Die Niederlande und die Türkei sind zwei Staaten im Ausnahmezustand. Die Niederländer haben am Mittwoch die wichtigste Wahl seit Jahrzehnten vor sich, die Türken entscheiden demnächst, ob sie ein neues politisches System wollen. Nur deshalb eskalierte der Streit am Wochenende so heftig. Präsident Recep Tayyip Erdoğan kann sich nicht sicher sein, dass er im Referendum am 16. April den Freipass erhält für die von ihm geplante Autokratie. Ihm ist deshalb jedes Mittel recht, um den Nationalismus, das Wir-gegen-sie-Gefühl seiner Landsleute anzustacheln. Dass er damit Unfrieden in die neue westeuropäische Heimat vieler Türken trägt, scheint ihm egal zu sein.

Der niederländische Premier Mark Rutte hat den Konflikt nicht gesucht, das muss man ihm glauben. Außenpolitisch ist sein Land traditionell auf friedlichen Interessenausgleich bedacht, auf stille Diplomatie anstelle muskelbepackter Rhetorik. Dass er sich auf leise Töne versteht, hat Rutte 2014 bewiesen, nach dem Abschuss des Flugs MH 17 über der Ukraine, als er dazu aufrief, eine unabhängige Untersuchung abzuwarten, statt der russischen Regierung mit der Faust zu drohen. Vor knapp zwei Jahren durfte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu auch noch völlig ungehindert in Rotterdam Wahlkampf für Erdoğans AKP führen.

Der Wahlkampf ist dort angekommen, wo ihn Rutte immer haben wollte

Diesmal aber hat Rutte das aggressive Spiel mitgespielt, mit vollem Einsatz. Er steht mitten im Wahlkampf seines Lebens. Sicher wäre es möglich gewesen, sich mit den Türken zu arrangieren und die absurden Nazi-Vergleiche herunterzuschlucken, die ja nur ein Zeichen der Schwäche sind. Aber als erfahrener Politiker weiß Rutte auch, dass ihm Diplomatie schnell als Zaudern ausgelegt worden wäre. Dass er die Stimmung richtig kalkuliert hat, zeigt nicht nur das Lob, das er von den Spitzenkandidaten fast aller Parteien erhielt (nur die Erdoğan-ergebene Einwandererpartei Denk meldete sich nicht zu Wort). Selbst die konservative Presse jubelte am Montag. "Wir sind hier der Chef."

Der Wahlkampf ist damit dort angekommen, wo ihn Rutte immer haben wollte: bei einem Duell mit dem Islamfeind Geert Wilders. Die Strategie des Ministerpräsidenten war es von Beginn an, potenzielle Wilders-Wähler auf seine Seite zu ziehen und den blonden Extremisten mit dessen eigenen Mitteln zu schlagen. Diesem Ziel diente zunächst auch der offene Brief an Immigranten, in dem Rutte sie aufforderte, sich "normal" zu verhalten oder das Land zu verlassen. Und jetzt hilft ihm der Hahnenkampf mit Erdoğan, abermals im national-konservativen Lager zu wildern.

Wilders war allen Debatten bisher aus dem Weg gegangen. Der Rechtspopulist wollte sich rarmachen und bloß nicht in Detailfragen verwickeln lassen. Das hat zu einer merkwürdigen Leere im Wahlkampf geführt. Die anderen Kandidaten stritten miteinander, als wären die Rente mit 65 oder die Finanzierung der Sozialversicherung die wichtigsten Themen. Rutte aber hat verstanden, dass es in Wahrheit nur um einen geht: um Wilders.

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