Niederlande:Schrumpfkur

Lesezeit: 2 min

Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte will vor allem die Wirtschaft in der EU ankurbeln. (Foto: Bart Maat/dpa)

Die Regierung in Den Haag stellt vor, welche Pläne sie hat für die sechs Monate ihrer Ratspräsidentschaft in Europa. Konzentration auf das Wesentliche soll dazugehören.

Von Thomas Kirchner, Den Haag

Mit einer Schlankheitskur für die EU wollen die Niederlande, die im Januar für sechs Monate die Ratspräsidentschaft übernehmen, den vielfältigen europäischen Krisen begegnen. Die Union müsse sich in diesen besonders schwierigen Zeiten auf das Wesentliche konzentrieren und übermäßiges Regulieren vermeiden, sagte Ministerpräsident Mark Rutte in Den Haag. Die nächste Zeit werde absehbar von der Terrorbedrohung dominiert und von der Anstrengung, "den Flüchtlingsstrom zu stoppen". Ansonsten müsse die EU aber alles daransetzen, das Wachstum zu fördern, Jobs zu schaffen und die Märkte weiter zu öffnen und zu vertiefen, insbesondere in den Bereichen Digitales, Energie und Dienstleistungen. "Ein Trost ist: In der Finanzkrise hat die Europäische Union gezeigt, dass sie liefern kann."

Der Politiker der liberalen Partei VVD machte klar, dass er sein Land in den kommenden Monaten als Brückenbauer in Europa sieht. Zunächst zwischen West- und Osteuropäern, die sich über das nötige Maß an Solidarität bei der Aufnahme von Flüchtlingen in den Haaren liegen. Hier will Den Haag für einen Deal mit der Türkei und für die Idee einer permanenten Umverteilung der Migranten werben. Gleichzeitig müsse man der "Frustration" in Osteuropa mit Signalen für einen deutlich verstärkten Schutz der Grenzen begegnen. Vermitteln will Den Haag aber auch zwischen dem Kontinent und Großbritannien, das sich dem entscheidenden Referendum über einen möglichen Austritt aus der EU nähert. Hinsichtlich der Reformwünsche, die London an die EU formuliert habe, sei eine Annäherung absehbar. Die EU brauche Großbritannien dringend als Mitglied.

Die Niederlande übernehmen von Luxemburg, das die EU in extrem turbulenter Zeit gelenkt hat. Die Ratspräsidentschaft muss zwischen den 28 Mitgliedstaaten vermitteln und politische Ideen so formulieren, dass sie für alle möglichst akzeptabel sind. Das ist nicht leicht, wenn man auch eigene Akzente setzen möchte. Was die Haltung zur EU insgesamt betrifft, zählen die Niederlande, einer der Gründungsstaaten der Gemeinschaft, seit etlichen Jahren zu den Skeptikern. "Ich bin ein sehr pragmatischer Typ", sagte Rutte, jegliche Begeisterung für das Ideal der europäischen Einigung gehe ihm ab. Ihm komme es allein auf Wachstum und Sicherheit an. "Und dafür brauchen wir Europa." Ohne seine europäischen Partner könne ein Land wie seines Probleme wie den Terrorismus oder die Flüchtlingsfrage nicht lösen.

Rutte stellte klar, dass seine Regierung "das Äußerste" tue, um unter den Flüchtlingen Terroristen zu entdecken - "wie die meisten anderen Regierungen auch". Eine Garantie, dass dies gelinge, könne er aber ebenso wenig geben, wie er ausschließen könne, dass es in der Zukunft auch in seinem Land zu Anschlägen kommen werde.

In den Niederlanden hat die Koalition aus Liberalen und Sozialdemokraten manches bewegt. Sie hat viel reformiert, kräftig gespart und das Land aus einer mehrjährigen Rezession herausgeholt. Von der Ratingagentur Standard & Poor's erhält sie wieder die Topnote AAA. Trotzdem liegt der Islam- und Europakritiker Geert Wilders mit seiner Freiheitspartei in Umfragen weit vorn. Rutte zeigte sich davon unbeeindruckt und befürchtet auch keinen Aufschwung von Rechtspopulisten in Europa: "Zumindest solange wir unsere Versprechen erfüllen. Die Leute wählen jene, von denen sie glauben, dass sie Lösungen bieten."

© SZ vom 27.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: