Niederlande:Eine Prüfung für Europa

In einem Referendum ist die Ablehnung des Assoziationsabkommens zwischen der EU und der Ukraine zu erwarten. Das weckt Erinnerungen an die Abfuhr, die das Königreich der EU-Verfassung erteilt hatte.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Wiederholt sich die Geschichte? In den Niederlanden steht abermals ein Referendum über Europa an. Im April werden die Wähler zwar eigentlich über das Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine zu befinden haben, in Wahrheit steht jedoch anderes zur Debatte: die EU als solche. Und wieder sollen die Bürger mit Drohungen gefügig gemacht werden - wie vor dem verlorenen Referendum zur EU-Verfassung 2005, als vor Krieg und ewiger Düsternis gewarnt wurde.

Als solche empfinden zumindest viele Niederländer jüngste Aussagen von Jean-Claude Juncker. Er wolle den Bürgern nichts vorschreiben, sagte der Präsident der EU-Kommission dem NRC Handelsblad, aber sie sollten doch "gut begreifen, dass diese Frage über die niederländischen Interessen hinausgehe". Er hoffe von Herzen, dass sie "nicht aus Gründen Nein stimmen, die mit dem Vertrag nichts zu tun haben". Denn ein solches Nein könne die Tür zu einer "kontinentalen Krise" öffnen.

Der folgende Proteststurm wehte aus allen politischen Richtungen, er kam auch aus dem Ja-Lager. Juncker habe "wieder eine Gelegenheit verpasst, den Mund zu halten", sagte ein Abgeordneter der liberalen Regierungspartei VVD. Es gebe genügend Gründe für ein Ja, so der Chef des sozialdemokratischen Koalitionspartners Diederik Samsom. "Drohungen sind wirklich nicht nötig." Der oberste EU-Kritiker Geert Wilders wiederum twitterte: "Die EU-Elite beginnt wieder mit Einschüchterung, aber das wird ihr nicht mehr helfen."

Das Referendum dient als Vehikel, um Brüssel eins auszuwischen

Für Wilders ist das Referendum wie ein Geschenk. Diesmal machen andere seine Arbeit: die satirische, absolut respektfreie und im Zweifel nach rechts neigende Website "Geenstijl" ("stillos", "ohne Anstand") sowie eine Gruppe von EU-Skeptikern um den schillernden nationalistischen Publizisten Thierry Baudet. Sie nutzten im vergangenen Jahr eine neue Möglichkeit der direkten Demokratie und sammelten 450 000 Unterschriften, weit mehr als die nötigen 300 000, um ein konsultatives, also nicht verbindliches Referendum zum Assoziierungsabkommen mit der Ukraine zu erzwingen. Das Abkommen ist zwar Anfang des Jahres schon vorläufig in Kraft getreten, muss aber noch von allen 28 EU-Staaten ratifiziert werden.

Die Initiatoren haben nie einen Zweifel daran gelassen, dass ihnen das Ukraine-Abkommen als Vehikel dient, um der verhassten EU eins auszuwischen und den "Wildwuchs ihrer Befugnisse" zu lichten. Allerdings argumentiert Baudet auch in der Sache selbst. In dem Abkommen gehe es keineswegs nur um mehr Kooperation beim Handel; vielmehr sei es eine Vorstufe zum Beitritt der Ukraine, ein "Integrationsvertrag". Eine überzeugende Gegenkampagne ist noch nicht in Gang gekommen, wohl auch, weil das Referendum und seine möglichen Folgen bisher kaum ernst genommen worden sind. Die Leute von Geenstijl hätten vom rechtlichen Hintergrund und dem Inhalt des Abkommens keine Ahnung, schrieben zwei Wissenschaftler in der Volkskrant herablassend.

Ministerpräsident Mark Rutte lässt offen, ob er ein Nein umsetzen würde. Er wolle zwar für ein Ja eintreten, aber keine echte Kampagne führen. Gemäß einer ersten Umfrage lehnen mehr als 50 Prozent der Niederländer das Abkommen ab, weitere 25 Prozent wollen "höchstwahrscheinlich" mit Nein stimmen.

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