Nicholas Stern:"Wir können nicht für immer wachsen"

-; Lord Nicholas Stern

Nicholas Stern, 69, ist Professor an der London School of Economics und berät die britische Regierung (Foto: AFP). Von 2000 bis 2003 war er Chefökonom der Weltbank. 2006 verfasste er den Stern-Report über wirtschaftliche Folgen des Klimawandels.

(Foto: AFP)

Der britische Ökonom war einer der ersten Wirtschaftsexperten, die die Kosten des Klimawandels durchgerechnet haben. Er warnt vor einer unbewohnbaren Welt.

Interview von Luca Macarelli (La Stampa)

Als einer der ersten bedeutenden Wirtschaftswissenschaftler befasste sich Lord Nicholas Stern mit der globalen Erwärmung: Im "Stern-Report" legte er dar, dass es reichen würde, ein Prozent des Weltwirtschaftsprodukts zur Eindämmung des Klimawandels aufzuwenden, um dessen schlimmste Folgen zu verhindern. Jetzt erschien sein Buch "Why Are We Waiting?".

La Stampa: Das ist die Frage - "Warum warten wir?" Die massive Umweltkrise verlangt dringend Maßnahmen. Der weltweite Ausstoß von Treibhausgas steigt, die Konzentration von Kohlendioxid in der Atmosphäre hat erstmals in drei Millionen Jahren 400 ppm (Moleküle CO₂ pro Million Umgebungsmoleküle) überschritten. Die Durchschnittstemperatur ist im vergangenen Jahrhundert um ein Grad gestiegen, mit der jetzigen Tendenz droht das Erdklima instabil zu werden. Mit verheerenden, unumkehrbaren Veränderungen wie dem Abschmelzen der Polkappen und dem Anstieg der Meeresspiegel. Um unter der Gefahrenschwelle von zwei Grad Anstieg bis 2100 zu bleiben, müssen wir schnellstens neue Wege finden. Die Folgen eines Temperaturanstiegs von vier bis fünf Grad sind für die Menschheit nicht tragbar. Heute wären die Kosten dafür, die Erwärmung einzudämmen, noch relativ moderat. Der Umstieg auf andere Energien würde zudem neue wirtschaftliche Chancen öffnen.

Nicholas Stern: "Ja, wir stehen vor enormen Herausforderungen, bei denen die Bewohnbarkeit des Planeten auf dem Spiel steht. Zugleich bieten sie eine Chance, unsere Intelligenz zu nutzen, um das soziale und wirtschaftliche Wohlergehen langfristig zu verbessern."

Auch der Papst hat ein in seiner Umwelt-Enzyklika neues Entwicklungsmodell vorgeschlagen.

Ich konnte den Papst im September treffen. Er hat eine große Gabe zu führen, seine Worte können Millionen Menschen dazu bringen, richtig zu handeln und Veränderungen in Gang zu setzen, die anders schwer zu erreichen wären.

Kurzfristig können wir das Konzept der Wirtschaftsentwicklung durch Wachstum mit hohen Emissionen verändern in ein "grünes Wachstum" mit niedrigen Emissionen. Aber müssen wir nicht langfristig übergehen zu einer nicht auf Wachstum basierten Wirtschaft, wie schon 1972 im Bericht "Die Grenzen des Wachstums" vorgeschlagen?

Wir können tatsächlich nicht für immer wachsen. Wir werden ein neues Wirtschaftsparadigma erarbeiten müssen, das befreit ist vom ständig wachsenden Verbrauch an Ressourcen und der Produktion materieller Güter, indem wir eine andere Art zu leben und zu produzieren attraktiv machen. Aber das jetzige Wirtschaftsmodell aufzugeben, daran können wir in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts denken. Jetzt müssen wir uns auf dringendere Probleme konzentrieren - die Erderwärmung zu bremsen, Armut aufzuhalten und Umweltverschmutzung, die schon jedes Jahr Zehntausende Menschen umbringt, vor allem in China.

Jeder kann dazu beitragen - welche Botschaft würden Sie einem Normalbürger geben, wo soll er anfangen?

Man kann im Alltag vieles tun, ohne internationale Vereinbarungen abzuwarten: die Häuser dämmen, möglichst oft öffentliche Verkehrsmittel benutzen und das Fahrrad, mehr zu Fuß gehen, die Verschwendung von Lebensmitteln abschaffen und Überfluss vermeiden.

Was wird in Paris passieren?

Ich glaube, es wird eine Einigung erzielt. Auch wenn sie nicht vollkommen sein wird und nicht ausreichend, die Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen - es wird besser sein als nichts.

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