Neues Polizeigesetz:Unbegrenzter Zugriff

Es ist eine Entgrenzung des Rechts, was die CSU da betreibt: Die bayerische Polizei soll nach neuem Recht in die Grundrechte der Bürger eingreifen dürfen, ohne dass eine konkrete Gefahr vorliegt.

Von Ronen Steinke

Gedanken hinterlassen keine Schmauchspuren. Man kann Gedanken nicht abfotografieren, nicht in eine Folie einschweißen, nicht in einer polizeilichen Asservatenkammer ablegen, wo dann Forensiker sie mit der Lupe untersuchen und einem Richter als Beweismittel empfehlen könnten. Deswegen taugen Gedanken, so radikal sie auch sein mögen, nicht als Grundlage dafür, Menschen festzunehmen oder wegzusperren. Was jemand gedacht hat - dafür gibt es nie Beweise.

So plant es aber die in Bayern regierende CSU, mit einem neuen Landespolizeigesetz, das schon kurz vor seiner Verabschiedung im Münchner Landtag steht. Polizisten sollen von der Notwendigkeit befreit werden, eine "konkrete Gefahr" nachzuweisen, bevor sie in Grundrechte einzelner Personen eingreifen. Der Begriff der "konkreten Gefahr", der bislang quer durchs Gesetz an vielen Stellen als Hürde steht, wird fast durchweg ersetzt: Eine lediglich "drohende Gefahr" soll genügen. Der Ausdruck ist verwirrend. "Drohend" klingt besonders dramatisch. Gemeint ist aber eine Situation, in der gerade noch keine "konkrete" Gefahr zu erkennen ist. Eine Lage, in der kriminelle Absichten erst keimen.

Lediglich "seiner Art nach" soll die potenzielle Straftat überhaupt schon feststehen, so heißt es im Gesetzentwurf. Bei lediglich "drohender Gefahr" soll die Polizei bereits Fingerabdrücke verlangen, Platzverweise aussprechen, die neu in das Gesetz aufgenommenen dauerhaften Aufenthalts- und Kontaktverbote bis zu sechs Monaten aussprechen und Personen körperlich durchsuchen dürfen. Das macht die Beamten freihändiger, und es zwingt sie zum Spekulieren über kriminelle Absichten, die sich noch gar nicht konkretisiert haben.

Man muss dazu wissen: Schon bisher ist die polizeiliche Annahme, dass eine Gefahr besteht, stets nur eine Prognose. Eine Gefahr ist die Wahrscheinlichkeit, dass in Zukunft ein Schaden eintreten wird; so lautet die Definition. Die neue, niedrigere Eingriffsschwelle im bayerischen Gesetz soll aber eine Prognose auf weit dünnerer Basis erlauben.

Bayerns Polizei soll ohne konkrete Gefahr in Grundrechte eingreifen dürfen

Diese Entgrenzung wiegt in ihrer Grundsätzlichkeit schwerer als die einzelnen Verschärfungen, die sich über den Gesetzentwurf verstreut auch finden, vor allem die zeitlich unbegrenzte Präventivhaft für sogenannte Gefährder. Auch hier wird keine "konkrete Gefahr" gefordert - lediglich eine Bedrohung für allerdings wichtige Rechtsgüter. Den politischen Trend hat Bayern nicht erfunden. Man kann in deutschen Gerichtssälen schon seit einer Weile Szenen mit ansehen, die vor wenigen Jahren schwer vorstellbar gewesen wären: Da werden Männer als Terrorplaner angeklagt, die unstrittig keine Bombe gebaut, kein Sprengpulver zusammengerührt, keine Waffen beschafft haben. Das sehen auch die Staatsanwälte so. Aber sie sagen: Der Angeklagte hatte die Absicht, das in Zukunft zu tun. Das genügt. So ist inzwischen die Rechtslage, die "Vorverlagerung der Strafbarkeit" im Namen der Prävention ist schon oft beschrieben worden. Sind die Vorwürfe zu dünn, dann kann der Verdächtige neuerdings auch trotzdem als Gefährder rund um die Uhr überwacht werden; nicht auch, sondern dann allein wegen seiner angeblichen Absichten. Dieses Prinzip will die Partei des Bundesinnenministers nun über den Terror-Bereich hinaus ausweiten.

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