Neues Wahlrecht in Hamburg:Vier Hefte, fünf Kreuze, zwanzig Stimmen

Das neue Hamburger Wahlrecht ist so kompliziert, dass erste Hochrechnungen am Sonntag nicht direkt nach der Schließung der Wahllokale zu erwarten sind.

Jens Schneider

Es soll nichts unversucht bleiben. Kurz vor dem Finale sendet Landeswahlleiter Willi Beiß eine beruhigende Botschaft aus. Wegen der großen Nachfrage wird die "Wahl-Hotline" verlängert, sie bleibt bis zur Schließung der Wahllokale offen. "Scheuen Sie sich nicht, auch am Sonntag zum Telefonhörer zu greifen, wenn Sie noch Fragen zur Wahl haben", ermuntert er die Hamburger.

Hamburg vor der Wahl

Hamburg vor der Wahl Der Landeswahlleiter fuer die Wahlen zur Buergerschaft und Bezirksversammlung in Hamburg, Willi Beiss, zeigt am Dienstag (15.02.11) in Hamburg bei einer Landespressekonferenz zur bevorstehenden Wahl die vier farbigen Wahlzettel. Am Sonntag (20.02.11) findet in Hamburg die Buergerschaftswahl statt. (zu dapd-Text) Foto: David Hecker/dapd

(Foto: dapd)

Niemand soll am Sonntag an den Wahlzetteln verzweifeln müssen, die diesmal Wahlhefte sind, gleich vier Stück an der Zahl, umfangreich wie Comic-Hefte, aber ohne Bilder, dicht gefüllt mit Namen. Die Verlängerung der Hotline ist eine von vielen kostspieligen Aktionen, mit denen die Behörden einem möglichen Fiasko vorbeugen wollen. Zum ersten Mal wird die Bürgerschaft nach einem neuen Wahlrecht bestimmt. Eine Volksinitiative hat diese Reform erzwungen, die den Wählern mehr Optionen eröffnet, aber bisher ungekannte Anforderungen stellt. Das Verfahren ermöglicht ihnen, sich über die Listenvorschläge der Parteien hinwegzusetzen und einzelne Bewerber so nach vorne zu schieben. Und die Wähler können ihre Stimmen frei über die Parteien verteilen.

Der Preis ist die hohe Komplexität: 20 Stimmen hat jeder, fünf Kreuze darf er in jedes der vier Hefte setzen, mit denen neben der Bürgerschaft die Parlamente der sieben Hamburger Bezirke gewählt werden. Die Parteien sprechen wenig über ihre Sorgen, weil sie die Angst der Wähler nicht noch verstärken wollen. Aber sie fürchten, dass viele sich durchs neue Wahlrecht abschrecken lassen.

Klar ist schon jetzt, dass die Stadt am Sonntag länger als bisher auf erste Hochrechnungen warten muss. Für etwa 20Uhr sind sie versprochen, wenn alles gut läuft. Und der Landeswahlleiter "hofft, die vorläufige Fraktionsstärke der Parteien kurz vor Mitternacht verkünden zu können". Dann dürfte man frühestens wissen, von wem Hamburg künftig regiert wird. Wie immer, wenn es kompliziert wird, versprechen die Behörden: Das kann jeder! Ein Flyer trägt den verdächtigen Titel: "Einfach wählen!" Da lernen die Hamburger, mit welchem Heft sie über die Verteilung der 121 Mandate in der Bürgerschaft entscheiden, also in dem Stadtparlament, das den Bürgermeister und Senat bestimmen wird. Es ist mit 32 Seiten das dickste und enthält die Listen-Vorschläge aller Parteien.

Darin können sie ihre fünf Stimmen beliebig verteilen oder einzelne Kandidaten von vorn, hinten oder aus der Mitte bevorzugen. Sie können alle Stimmen einer Partei geben - oder, ganz neu, ihre Stimmen auf bis zu fünf Parteien verteilen. Was kompliziert erscheint, sehen andere als Gewinn, wenn sie etwa mit Kreuzen für SPD, Grüne und Linke ihre persönlichen Koalitions-Gelüste ausleben können, das gilt auch für die Wahl der Direktkandidaten in den Wahlkreisen. Das führt freilich zu einem mehrstufigen Zählverfahren.

Wenn von rund 1,3 Millionen Wahlberechtigten 70 Prozent wählen gehen, müssen 18 Millionen Stimmen ausgezählt werden. 495 Tonnen Papier wurden gebraucht, 15,5 Millionen Euro Kosten sind veranschlagt.

Mittlerweile sind alle Wähler mit "Musterstimmzetteln", also mit dicken Heften, versorgt worden, auf denen sie das Ankreuzen üben können. Wie groß die Unsicherheit ist, erkennt der Landeswahlleiter an der Zahl der Briefwähler, die bei diesem Umfang freilich eher eine Paketwahl ist. 250 000 Hamburger forderten die Unterlagen an, so viele wie noch nie.

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