Neues Staatsoberhaupt für 80 Millionen Ägypter:Muslimbruder Mursi erster frei gewählter Präsident Ägyptens

Erstmals in der Geschichte Ägyptens übernimmt ein Islamist die Macht am Nil: Mohammed Mursi ist neues ägyptisches Staatsoberhaupt. Die Wahlkommission erkor den Muslimbruder zum neuen Präsidenten des bevölkerungsreichsten arabischen Landes. In seiner ersten Ansprache nach dem Wahlsieg sagte Mursi zu, sich an internationale Abkommen zu halten.

Die religiös konservativen Muslimbrüder haben ihre führende Position in Ägypten auch in der Präsidentenwahl behauptet. Die Wahlkommission erklärte am Sonntag den Islamisten und Kritiker des früheren Mubarak-Systems, Mohammed Mursi, zum Sieger der ersten freien Abstimmung über einen Präsidenten. Demnach hat sich Mohammed Mursi in der Stichwahl mit denkbar knappem Ergebnis durchgesetzt. Die Wahlkommission in Kairo erklärte, Mursi habe 51,7 Prozent der Stimmen erhalten. Sein Rivale, der frühere Ministerpräsident Ahmed Schafik, kam demzufolge auf 48,3 Prozent.

Ein Islamist wird neuer Präsident Ägyptens: Der Kandidat der Muslimbruderschaft, Mohammed Mursi, hat sich in der Stichwahl mit denkbar knappem Ergebnis durchgesetzt.

Ein Islamist wird neuer Präsident Ägyptens: Der Kandidat der Muslimbruderschaft, Mohammed Mursi, hat sich in der Stichwahl mit denkbar knappem Ergebnis durchgesetzt

(Foto: AP)

Der neue Präsident soll am 1. Juli sein Amt antreten. Unmittelbar nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses brachen tausende Anhänger der Bruderschaft auf dem Tahrir-Platz in Jubel aus. Auf dem Platz im Zentrum Kairos hatte vor einem Jahr der Volksaufstand gegen den langjährigen Machthaber Hosni Mubarak begonnen. Unter den Anhängern Mursis, die sich auf dem Tahrir-Platz in Kairo versammelt hatten, brandete Jubel auf, als das Ergebnis im Fernsehen verkündet wurde. Seine Anhänger schwenkten Fahnen und riefen "Allahu Akbar!" (Gott ist groß).

Polizei und Militär sind nach Angaben aus Sicherheitskreisen auf gewaltsame Auseinandersetzungen vorbereitet. Unmittelbar vor der Bekanntgabe des Wahlergebnisses war es auf den Straßen der Hauptstadt still. Die Geschäfte blieben trotz des ersten Werktags der Woche geschlossen und die Menschen in ihren Häusern.

Mursi ruft zur nationalen Einheit auf

Der designierte Präsident Ägyptens hat zugesagt, sich an internationale Abkommen seines Landes zu halten. Damit trat Mursi in seiner ersten TV-Ansprache am Sonntag vor allem Befürchtungen Israels entgegen. Israel hatte den neuen Präsidenten aufgerufen, das vor 33 Jahren geschlossene Friedensabkommen der beiden Länder zu achten. "Wir halten uns an internationale Verträge und Abkommen zwischen Ägypten und der Welt", sagte Mursi..

Mursi rief zugleich zur nationalen Einheit auf. Die nationale Einheit Ägyptens sei der einzige Ausweg aus "diesen schwierigen Zeiten". Er sei der Präsident "aller Ägypter, ohne Ausnahme". Der Politiker würdigte die Aufständischen, deren Revolte den langjährigen Machthaber Hosni Mubarak im Februar vergangenen Jahres aus dem Amt getrieben hatte. Mit Blick auf die rund 850 Toten des Aufstandes dankte Mursi den "Märtyrern". Die Revolution gehe so lange weiter, bis "alle ihre Ziele erreicht" seien, sagte er.

Beschnittene Macht des neuen Präsidenten

Allerdings dürften auch mit der Entscheidung für Mursi die Machtkämpfe zwischen dem herrschenden Militärrat, den Islamisten und Kräften des arabischen Frühlings nicht beendet sein. Die erste freie Wahl eines Präsidenten sollte das Ende der seit sechs Jahrzehnten bestehenden Dominanz der Streitkräfte einläuten. Doch kurz vor Toresschluss beschnitt der Militärrat die Befugnisse des Amtes und ließ das von islamistischen Parteien dominierte Parlament auflösen.

Mehr als ein Jahr nach dem Sturz Mubaraks ist damit das künftige Machtgefüge unklar. Um Betrugsvorwürfen nachzugehen, hatte die Wahlkommission die ursprünglich für Donnerstag geplante Bekanntgabe des Ergebnisses auf Sonntag verschoben. Hinter der Verschiebung vermuteten viele Ägypter - geprägt durch Wahlfälschungen in rund 60 Jahren Herrschaft durch Militärs - den Versuch der Streitkräfte, sich der Forderung nach Demokratie mit aller Macht zu entziehen.

Der frühere General Schafik war der letzte Regierungschef unter dem gestürzten Präsidenten Mubarak. Viele Ägypter sehen den 70-Jährigen als Vertreter des alten Regimes. Wie Mursi hatte er sich im Vorfeld der Bekanntgabe des Wahlergebnisses zum Sieger erklärt.

International fielen die Reaktionen auf die Wahl von Mursi gemischt aus. Während Islamisten in Jubel ausbrachen, reagierten westliche Staaten zurückhaltend. "Das ägyptische Volk hat nicht nur einen Präsidenten für Ägypten gewählt, sondern auch für arabische und islamische Länder", sagte ein Sprecher der radikal-islamischen Palästinenserorganisation Hamas in Gaza.

Die USA gratulierten Mursi zu seinem Wahlsieg, forderten ihn aber gleichzeitig auf, für Stabilität zu sorgen und nicht in Extreme zu verfallen. Auch aus Frankreich und Großbritannien kamen verhaltene Reaktionen. Die neue Regierung müsse in der ägyptischen Gesellschaft Brücken schlagen und die Menschenrechte wahren, sagte der britische Außenminister William Hague. Auch nach der Wahl von Mursi ist das künftige Machtgefüge in Ägypten unklar, da die Machtkämpfe zwischen dem herrschenden Militärrat, den Islamisten und Kräften des arabischen Frühlings nicht beendet sind.

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