Neues Gesetz geplant:Die deutsche Justiz soll schneller arbeiten

Die Bürger können sich bald wehren, wenn Gerichts- und Ermittlungsverfahren zu lange dauern. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung will Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger die "Verzögerungsrüge" einführen. Für jeden Monat Säumigkeit soll Schmerzensgeld fällig werden.

Heribert Prantl

Die Bürger können sich künftig wehren, wenn Gerichts- und Ermittlungsverfahren in Deutschland zu lange dauern: Ein neues Gesetz soll ihnen erstmals die Möglichkeit geben, in solchen Fällen "Verzögerungsrüge" zu erheben, Wiedergutmachung und Schadenersatz zu verlangen.

Das Gesetz sieht auch eine Art Schmerzensgeld vor, wenn Richter oder Staatsanwälte zu langsam arbeiten: hundert Euro "für jeden vollen Monat der Verzögerung". Besonders säumige Gerichte können im elektronischen Bundesanzeiger angeprangert werden.

Die bisher üblichen Ausreden werden nicht anerkannt: Eine Überlastung der Gerichte und angespannte Personalsituation schützt nicht vor der Verurteilung zu Wiedergutmachung und Schadenersatz durch das "Entschädigungsgericht".

Auf diese Weise soll offenbar auch eine Personalaufstockung bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften erzwungen werden, weil dies unter dem Strich billiger kommt als die ständige Verurteilung zu Entschädigungsleistungen.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat den Gesetzentwurf "über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren" soeben den Landesjustizministerien zur Stellungnahme zugeleitet. Er liegt der Süddeutschen Zeitung vor.

Mit dem Gesetzentwurf entspricht die Ministerin einer Forderung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte: Das Straßburger Gericht hat die Bundesrepublik immer wieder wegen zu langer Dauer von Prozessen verurteilt.

Wenn drei Instanzen 29 Jahre dauern

In einem Fall, der in Straßburg 2006 entschieden wurde, hatte der Kläger für ein erstes Urteil auf Schadenersatz nach einem Verkehrsunfall 16 Jahren warten müssen. In einem anderen Fall, es ging um Amtshaftung für eine Baugenehmigung, hatte das deutsche Verfahren für drei Instanzen fast 29 Jahre gedauert.

Und erst jüngst, im Urteil Wildgruber gegen Deutschland vom 21. Januar 2010, rüffelten die Straßburger Richter das deutsche Familiengericht: Die Eltern stritten um das Sorgerecht für ihre Kinder, die zu Beginn des Prozesses sieben und vier Jahre alt waren. Allein in der ersten deutschen Gerichtsinstanz dauerte das Verfahren fünfeinhalb Jahre.

Ventil für den Unmut der Bürger

In solchen Fällen gab es bisher in Deutschland keinen speziellen Rechtsbehelf - außer Dienstaufsichtsbeschwerde und Verfassungsbeschwerde. Über die Dienstaufsichtsbeschwerde lernen junge Juristen aber schon im ersten Semester den Spruch: "formlos, fristlos, nutzlos".

Der Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte wurde und wird deshalb mit Klagen wegen überlanger Verfahrensdauer überflutet. Er pocht seit nun zehn Jahren darauf, dass es auch innerstaatlich einen Rechtsbehelf geben muss, mit dem sich ein Betroffener gegen Verletzung seines Rechts auf angemessene Verfahrensdauer wehren kann.

"Ansporn, bestehende Mängel zu beseitigen"

Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger betont daher, dass das geplante Gesetz "Lücken im Rechtsschutz" schließt. Die Pflicht zur Entschädigung sei "Ansporn, bestehende Mängel zu beseitigen". Der Rechtsschutz vor deutschen Gerichten werde "noch verlässlicher".

Die neuen Regeln geben den Bürgern ein Ventil für ihren Unmut über Gerichtsverfahren, in denen sich nichts tut oder die sich zäh dahinschleppen. Im Gesetzentwurf wird die Hoffnung formuliert, dass die "Verzögerungsrüge" auch präventive Wirkung auf die Justiz hat.

Die durchschnittliche Verfahrensdauer liegt freilich in Deutschland gar nicht so schlecht: Bei den Zivilgerichten dauern Verfahren in der Eingangsinstanz im Schnitt nur 4,5 Monate bei den Amtsgerichten, und 8,1 Monate bei den Landgerichten. Bei den Verwaltungsgerichten dauern die Verfahren im Bundesdurschnitt 12,3 Monate. Es gibt aber hier krasse Unterschiede von Bundesland zu Bundesland.

Ein ähnliches Projekt wie jetzt das "Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren" war schon einmal 2005 geplant, damals unter dem Namen "Untätigkeitsbeschwerde". Damals ging es freilich nicht um Entschädigung.

Es sollte vielmehr bei einer berechtigten Beschwerde das höhere Gericht in die Tätigkeit des unteren Gerichts eingreifen können. Dieses Gesetz, das die damalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) beim Anwaltstag 2005 in Dresden vorgestellt hatte, war am Widerstand der Justiz gescheitert. Dem neuen Gesetz werden von den Fachleuten bessere Chancen eingeräumt.

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