Neues Buch zur großen Koalition:Wenn Politiker die Seele baumeln lassen

Buchvorstellung Hugo Müller-Vogg

Wer schafft hier ein Forum für wen? Christian Lindner, Hugo Müller-Vogg und Anton Hofreiter sprechen über die große Koalition.

(Foto: dpa)

Der Grüne Hofreiter und FDP-Chef Lindner an einem Tisch. Das geht nur, wenn der Publizist Hugo Müller-Vogg einlädt. Die drei sind sich in einem einig: Ihrer Kritik an der großen Koalition. Aber haben sie auch eine Idee, wie sie Merkel packen können?

Von Thorsten Denkler, Berlin

Buchvorstellungen im politischen Raum gehen so: Ein mehr oder minder bekannter Autor fragt einen bekannten Politiker, der das Werk vor Publikum rezensiert. Oder er lässt - wie jetzt im Fall des neuen Buches von Hugo Müller-Vogg - gleich zwei bekannte Politiker miteinander das Buch besprechen. In jedem Fall aber versucht der Autor, über den Laudator Aufmerksamkeit auf sich und das Buch zu ziehen.

An diesem Mittwochmorgen im Haus der Bundespressekonferenz aber stellt sich die Frage, ob es nicht eher die beiden Diskutanten sind, die dringend Aufmerksamkeit brauchen. Neben dem Grünen-Fraktionschef im Bundestag, Anton Hofreiter, hat Müller-Vogg den Vorsitzenden der FDP, Christian Lindner, eingeladen.

Hofreiter hat gerade eine Reihe von Problemen. Die Asyldebatte hat einen neuen Machtkampf ausbrechen lassen. Realos gegen Fundis, Bundespartei gegen Regierungsgrüne in den Ländern. Winfried Kretschmann gegen alle. Also im Grunde jeder gegen jeden. Alles nicht schön.

Probleme, die Lindner gerne hätte. Zur Erinnerung, die FDP ist jene Partei, die seit einigen Jahren nahezu jede Gelegenheit nutzt, eine Wahl damit zu beenden, hinterher nicht mehr im Parlament zu sitzen. Und nicht einmal das stößt noch auf gesteigertes Interesse.

Wellness-Oase für Politiker

Müller-Vogg bietet beiden jetzt die Bühne, mal ordentlich über die große Koalition herziehen zu können und die eigenen Sorgen für einen Moment zu vergessen. Das ist so etwas wie Seele baumeln lassen für Politiker. Eine Wellness-Oase für eine Stunde. Sich einfach mal mit den vermeintlichen Problemen anderer beschäftigen. Und dann durchs Becken ausatmen. So schön.

Und er, der konservative Publizist, Ex-Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Bild-Kolumnist Müller-Vogg gibt dafür mit seinem neuen Buch die Steilvorlage. "Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient! - Warum die Große Koalition keine großen Ziele verfolgt", lautet der etwas sperrige Titel. Die Geschichte ist schnell erzählt. Union und SPD wollen mit der großen Koalition nur sich selbst und ihre jeweilige Kernklientel befriedigen.

Die CDU bekommt die Mütterrente, die SPD Rente ab 63 und Mindestlohn. Die CSU irgendwie auch wohl noch ihre vermaledeite Maut. Das war es. Das ist die große Koalition.

Weder Lindner noch Hofreiter haben Anlass, dem zu widersprechen. Lindner hat sich gar ausgemalt, wie Müller-Vogg im Schreibprozess "die Empörung über die Politik der großen Koalition ins Gesicht geschrieben" stand.

Vom Straßenkarneval zur Politik

Linder sieht in der GroKo eine große Kamelle-Verschwörung, ein süßes Komplott um von den wahren Problemen ablenken zu können. Er sei dieses Jahr auf einem Karnevalsumzug mitgefahren. Am Anfang hat er gegeizt mit den Kamellen. Sollte ja für den ganzen Weg reichen. Das fanden die Leute blöd. Dann hat er immer mehr geworfen, bis er zum Schluss die Bonbons mit vollen Händen über die Narren hat regnen lassen. Da waren dann alle begeistert. Genau so verhält sich jetzt die große Koalition.

"Die Methode Kamelle funktioniert im Straßenkarneval und auch in der Politik", stellt Lindner fest. Peinlich wird es aber, wenn die Kamellen vor dem Ziel aus sind. Er wirbt stattdessen für "bürgerliche Werte wie Eigenverantwortung und Solidität". Bisher allerdings hat die FDP darunter vor allem verstanden, Steuersenkungen zu versprechen und dieses Versprechen dann nicht zu halten. Aber das ist gerade ganz weit weg.

Politik "bräsiger Selbstgefälligkeit"

Hofreiter wiederum zitiert aus dem Buch, als hätte er sich die Stellen schon für seine nächste Bundestagsrede vorgemerkt: Noch nie sei eine neue Bundesregierung ihre neue Aufgabe nüchterner angegangen, "ohne Ziel, ohne Plan, ohne Ehrgeiz". Hofreiter findet: "Schöner kann man das nicht formulieren."

Wenn ihm etwas in dem Buch fehlt, dann, dass Müller-Vogg die stattfindende Klimakatastrophe komplett ausblende. Diese "wird nicht den Planeten zerstören, aber unsere Lebensgrundlagen". Immerhin, das Buch selbst sei ja "klimaneutral produziert", da sei der Verlag weiter als der Autor. FDP-Mann Lindner schürzt die Lippen. Der Grüne ist ihm gerade so fern, wie ein Sitz im Bundestag. Müller-Vogg aber gesteht später zu, dass er Hofreiters Rüge annimmt und gelobt Besserung. Lindner sollte das zu denken geben.

Die Bundesregierung ist also zu wenig ehrgeizig, will zu wenig, macht zu wenig. Hat aber den vollen Rückhalt der Bevölkerung. In Umfragen kommt die Union auf weit über 40 Prozent. Merkel ist gerade die deutscheste aller Deutschen. Bloß nichts überstürzen. Immer schön die Ruhe bewahren. Politik wird unter ihr zu einer nicht enden wollenden Meditationsübung. Einschlafen durchaus erlaubt.

Lindner nennt das eine Politik "bräsiger Selbstgefälligkeit". Und lobt die Agenda 2010 als vorbildliches Projekt, das das Land verändert habe.

Hofreiter horcht auf. Er beugt sich weit vor, als wolle er sich mit seinem Bart an der Membran des Mikrofons schubbern: "Wollen Sie damit sagen, unter Rot-Grün, das war die beste Zeit der Bundesrepublik?" Er grinst. Lindner versucht zu kontern. Im Gegensatz zu Grünen und Sozialdemokraten würden die Bürgerlichen die Reformen bis heute verteidigen.

An der Frage, wie Merkel politisch geknackt werden kann, rührt das auch nicht. Hofreiter macht sie lieber dafür verantwortlich, dass manche seiner Bundestagsreden als eher ausbaufähig wahrgenommen werden. Nach SPD-Chef Gabriel zu reden sei ziemlich einfach. Der sei schwungvoll und da "kannst' vorgehen und schwungvoll antworten". Aber wenn "man nach Frau Merkel redet, ist man echt nicht mehr aufgeregt. Selbst wenn man zum ersten Mal redet. Das ganze Parlament ist komplett sediert."

Wie Merkel knacken?

Und dann käme eben noch dazu, dass es seit Februar dieses Jahres nur noch um Außenpolitik gehe. Einzig "dieser Mautquatsch" komme da durch, weil sich die CSU "nicht entblödet, das zu ihrem wichtigsten Thema zu erheben".

Lindner stimmt dem zu. "Das ist für die deutsche Innenpolitik zu wenig." Merkel "nährt den Eindruck, Deutschland müsse sich nicht verändern".

Okay, aber wie verändern? Und wie Merkel knacken?

Lindner macht nur klar, dass er die Energiewende so nicht will. Was Hofreiter "total verblüfft". Er dachte, die FDP sei für den technischen Fortschritt.

Lindner versucht es mit einem Scherz: "Wir haben wenig Gemeinsamkeiten. Außer, dass man in der Öffentlichkeit gelegentlich über unsere Haare spricht."

Hofreiter hat da was nicht mitbekommen. Er schaut sich Lindners Haare von allen Seiten an, während Lindner einfach weiterredet. Dass über seine schulterlangen Haare ausgiebig debattiert wurde, das weiß Hofreiter ja. An Lindner aber fällt ihm "nichts auf, was Ihre Haare irgendwie erwähnenswert machen würde". Gelächter im Saal.

Nicht nett. Lindner guckt, als stelle er gerade fest, dass nicht mal seine per Transplantation neu gewonnene Haupthaarpracht das politische Berlin noch interessiert. "Googeln Sie mal", sagt er.

Lindners Wahrheiten

Aber zurück zum Phänomen Merkel. Kommt da noch was? Irgendeine Idee, wie ihr beizukommen ist? Wie den Deutschen klargemacht werden kann, dass diese Frau nicht gut für Deutschland ist?

Lindner hat dazu diesen Satz: "Es braucht eine Bundesregierung, die sich traut, auch mal Wahrheiten zu sagen." Was immer diese Wahrheiten sein sollen.

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