Neues Buch über Angela Merkel:Christlich geprägte Beliebigkeit

Papstkritik, Familienpolitik, Stammzellenforschung: Wie vier politische Glaubensexperten versuchen, die Standpunkte der Angela Merkel zu ergründen.

Thorsten Denkler, Berlin

Vielleicht bringt diese Runde ja Aufklärung. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse von der SPD, CDU-Mann Lothar de Maizière, der letzte Ministerpräsident der DDR Karl Jüsten als Vertreter der deutschen Bischofskonferenz und Volker Resing, Autor des Buches "Angela Merkel. Die Protestantin". Es gilt an diesem Morgen die Frage zu klären, mit welcher Grundhaltung die Kanzlerin Politik betreibt. Wenn sie denn eine hat.

Neues Buch über Angela Merkel: Protestantin, kinderlos, zum zweiten Mal verheiratet: Kanzlerin Merkel will nicht recht in das  Bild passen, das viele in der CDU von Gott und der Welt haben.

Protestantin, kinderlos, zum zweiten Mal verheiratet: Kanzlerin Merkel will nicht recht in das Bild passen, das viele in der CDU von Gott und der Welt haben.

(Foto: Foto: dpa)

Angela Merkel verstört ihre Partei. Papstkritik, Familienpolitik, Stammzellenforschung: Ihre Themen wollen nicht so recht in das klare Bild passen, das viele in der Partei von Gott und der Welt haben. Merkel hat die Partei in den vergangenen Jahren programmatisch umgekrempelt, vom Kopf auf die Füße gestellt. Nicht immer zum Nutzen der CDU, wie manche glauben und jetzt ein schärferes, sprich konservativeres, Profil fordern.

Da sprechen vor allem die aus Baden-Württemberg und Bayern, die sich Sorge um ihre katholisch geprägte Stammwählerschaft machen. Für die ist Merkel das personifizierte Gegenmodell zur geliebten Kohl-CDU: Protestantin, kinderlos, zum zweiten Mal verheiratet.

Wobei sie ihren Glauben nicht gerade mit jedem teilt. Das sei Privatsache, hat sie mal gesagt. In der CDU kommt das nicht gut an. Helmut Kohl hat als Bundeskanzler seine Neujahrsansprache stets geschlossen mit: "Gott segne unser Vaterland!" Merkel wünscht lediglich ein "gesegnetes neues Jahr". Manche fragen sich, was daran noch CDU sein soll.

Also: Hat sie einen inneren christlichen Kompass, der sie leitet? Die vier auf dem Podium stimmen zu. Angela Merkel ist eine "preußische Protestantin", sagt etwa Autor Resing. Das steht etwas im Gegensatz zu dem Bild der kaltblütigen, männermordenden Physikerin, das gerne von Merkel gezeichnet wird. Karl Jüsten, der das Berliner Büro der deutschen Bischofskonferenz leitet, aber weiß zu berichten, dass die Physik lediglich Merkels Kernkompetenz sei. "Ihre Grundhaltung zieht sie nicht daraus."

Für die Partei wäre es mal ganz wichtig zu erfahren, wie Merkels Grundhaltung konkret aussieht. Sie spricht selten darüber. Was es an Quellen gibt, hat Volker Resing in seinem Buch zusammengetragen: Ein paar Reden, einige Auftritte auf Kirchentagen, einige wenige Interviews dazu. Gesprochen hat Merkel nicht mit Resing. Wohl auch, weil sie nicht den Eindruck vermitteln wolle, sie vermische Privates mit Politik, vermutet Resing.

Klar scheint zumindest: Merkel zeigt eine gewisse Flexibilität im Umgang mit ihren Grundüberzeugungen. In dem Buch zitiert Resing aus Merkels erster Rede zum Thema Stammzellenforschung im Jahr 2001. Damals habe sie gesagt, es brauche in dieser Debatte einen klaren Fixpunkt, der nicht verschiebbar sei. Nur so sei eine genehme Entscheidung zu finden. Ein solcher Fixpunkt schaffe Klarheit. Aber sie sagt auch: "Er ist nicht starr."

Resing merkt an, dass ein Fixpunkt, der nicht starr sei, so ähnlich sei, wie ein Standpunkt, den man ablaufe oder umkreise aber in Wahrheit gar nicht habe. Ein äußerst unkatholische Sichtweise.

Lothar de Maizière hält das nicht für ein Problem. "Mit der Wiedervereinigung wurde die Bundesrepublik nördlicher, preußischer und protestantischer." Daran müsse sich auch die West-CDU gewöhnen. Doch die westdeutsche Kernwählerschaft kommt damit offenbar nicht klar. Viele machen Merkels wenig fassbare Standpunkte dafür verantwortlich, dass die CDU weit entfernt ist von jenen 40 Prozent, die sie über Jahrzehnte erreichte.

Unter Merkel ist die CDU mehr und mehr zu einer Partei wie jede andere geworden. Man muss dazu sagen: Die Gegenwehr war bis jetzt nicht besonders groß. Merkel hat wahrgenommen, dass die katholischen Milieus schmelzen, sagt Resing. "Aber sie meint darauf keine besondere Rücksicht nehmen zu müssen."

Das Ergebnis ist: gefühlte Beliebigkeit. Ausgerechnet Wolfgang Thierse ist es, der dazu das Richtige sagt. Es sei für keine Partei gut, "ihre Standpunkte immer wieder zu verunklaren. Der bloße Pragmatismus reicht nicht aus." Fehlt nur noch jemand, der das mit Leben füllen kann. Aber da ist SPD ja auch nicht gerade mit Reichtum gesegnet.

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