Neuer Richter für Supreme Court:Die Liebe der Abtreibungsgegner für den Ehebrecher Trump

Annual March For Life Held In Washington DC

Demonstranten der "Pro Life"-Bewegung versammeln sich beim jährlich stattfindenden "March for Life" auf der National Mall.

(Foto: AFP)

US-Präsident Trump wird einen Richter an den Supreme Court schicken, der Frauenrechte beschneiden soll. Die "Pro Life"-Bewegung freut sich: Ihr Einfluss wächst.

Von Matthias Kolb, Washington

Mike Pence weiß, dass sein Auftritt historisch ist. Er stehe "voller Demut" auf der Bühne, ruft der Republikaner: "Es ist eine große Ehre, als erster Vizepräsident an diesem Treffen teilzunehmen." Der Jubel ist riesig, denn die Teilnehmer des "March for Life" wissen, was Pence' Rede bedeutet. Seit 1974 versammeln sich Hunderttausende Abtreibungsgegner Ende Januar in Washington, um gegen das Roe v. Wade-Urteil zu protestieren, das Frauen das Recht auf Abtreibung garantiert. Bisher waren diese Treffen allen konservativen Präsidenten zu heikel: George W. Bush etwa schickte seine Grüße nur per Videobotschaft. Auch hier bricht Donald Trump mit seinen Vorgängern. Er schickt seinen Stellvertreter.

In Trumps Namen ruft Pence also: "Life is winning in America." Damit nutzt der 57-Jährige das Erfolgsrezept der Abtreibungsgegner, denn die Bewegung hat sich erfolgreich als Pro Life definiert, während die Gegenseite Pro Choice genannt wird. In den Augen der Linguistin Elisabeth Wehling ist dies ein großer Nachteil für die Liberalen: Der Begriff "Auswahl" (choice) spiele "auf die Konsumwelt an, da geht es nicht um grundlegende Werte". Und wer gegen "Leben" (life) sei, der befürworte den Tod beziehungsweise das Töten, so Wehling zur SZ.

Zu den Strategen, die dieses Marketing etablierten, gehört Kellyanne Conway. Seit ihrem "Alternative Fakten"-Interview ist die Trump-Beraterin weltbekannt, doch zuvor bestand ihr Job darin, Umfragen für christliche Gruppen und konservative Politiker durchzuführen und diese zu beraten. Wie Pence muss sich die Katholikin Conway in diesem Milieu nicht verstellen. Ihre Sätze wie "Ich bin zuallererst Ehefrau und Mutter" werden bejubelt. Sie lässt keine Zweifel, dass das Trump-Team in den Abtreibungsgegnern Verbündete sieht: "Wir hören euch. Wir sehen euch. Wir respektieren euch und wollen mit euch zusammenarbeiten."

Trump muss einen konservativen Supreme-Court-Richter durchsetzen

Mit Genugtuung sah die Pro Life-Bewegung, dass Trump die "Mexico City"-Politik durchsetzte, wonach ausländische Organisationen nur US-Entwicklungshilfe erhalten, wenn sie Frauen nicht in Bezug auf Abtreibungen informieren, beraten und auch keine Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Am Dienstag muss Trump nun erneut liefern: Um 20 Uhr Ortszeit gibt er bekannt, wen er als Nachfolger der konservativen Ikone Antonin Scalia fürs Oberste Gericht nominiert.

Stets hat Trump versprochen, nur Juristen an den Supreme Court zu schicken, die gegen Roe v. Wade sind und die Top-Kandidaten erfüllen das Kriterium. Ob ein Hardliner im Senat eine Mehrheit findet, ist offen; aber Trump muss den weißen Evangelikalen beweisen, dass er Wort hält. Diese streng religiöse Gruppe bildet den harten Kern der Pro-Life-Bewegung. Und sie war auch unabdingbar für Trumps Wahlerfolg: 81 Prozent der Evangelikalen stimmten für den Ehebrecher und zweifach geschiedenen Milliardär. So einen Wert schaffte nicht mal der wiedergeborene Christ George W. Bush.

"Unser neuer Richter wird der Tradition des großartigen Antonin Scalia folgen", verspricht auch Mike Pence. Die Ankündigung wird zwar vom Publikum bejubelt, doch viele Besucher bleiben verhalten. Denn Trump und die Abtreibungsgegner - das ist ein Zweckbündnis, keine tiefe Freundschaft. "Mr. President, die Pro Life-Frauen beobachten Sie sehr genau", steht auf dem Plakat von Ellen Kolb aus New Hampshire. Sie ist als Aktivistin und Bloggerin seit Jahren in der Szene aktiv und möchte erst überzeugt werden: "Ich habe viele Reden gehört, ich will Taten sehen."

Wie US-Bürger über Abtreibung denken

Etwa zwei Drittel aller US-Amerikaner unterstützen das Recht auf Abtreibung, 44 Prozent betrachten es allerdings als moralisch falsch und jeder Fünfte will es komplett illegalisieren - bei den Republikanern sogar jeder Dritte. Abtreibungen sind in den USA auf dem niedrigsten Stand seit der landesweiten Legalisierung im Jahr 1973, dennoch gibt es knapp dreimal so viele wie in Deutschland. Das Recht auf Abtreibung wahrnehmen zu können, ist oft schwer: In fünf Bundesstaaten gibt es nur eine Abtreibungsklinik (Quelle gallup.com, destatis.de, pewresearch.org).

Auch hier gilt: Stimme für Trump war vor allem Votum gegen Clinton

Kolb hatte im Vorwahlkampf Carly Fiorina unterstützt, und konnte sich am 8. November nicht durchringen, für Trump zu stimmen. Dass sie in der Pro Life-Bewegung damit zur Minderheit gehört, hat einen Grund: "Hillary Clinton war keine Option, alle wissen, dass sie Abtreibung befürwortet. Die Leute hätten Mickey Mouse gewählt, um Hillary zu verhindern." In Kolbs Augen ist Trump vor allem ein Showman: "Ich wundere mich bis heute, dass er Kandidat wurde. Aber er hat gute Leute um sich, das ist vielversprechend."

Andere Besucher wie Annette Saunders äußern sich in Interviews noch eindeutiger: Es ging ihr bei der Präsidentschaftswahl nur um den Supreme Court. "Ich habe das Gefühl, dass Gott mir befohlen hat, Trump zu wählen. Er ist pro life und Mike Pence garantiert das", gab die 60-Jährige zu Protokoll. In Trumps Kabinett gibt es noch andere Männer, die vielen in der religiösen Rechten gefallen: der designierte Wohnungsbauminister Ben Carson, Bald-Justizminister Jeff Sessions, CIA-Chef Mike Pompeo, Sicherheitsberater Michael Flynn und Ex-Breitbart-Chef Stephen Bannon sind allesamt sehr gläubig. Die drei letztgenannten sehen die Christen weltweit in einem Krieg gegen den Islam.

"Die wichtigste Zahl lautet 58 Millionen"

Der "March for Life" zeigt, wie gut die Bewegung organisiert und welch enormen Einfluss Religion im Alltag von vielen Millionen Amerikanern hat. Die Mehrheit der Teilnehmer ist unter 30, ein Nachwuchsproblem hat Pro Life nicht. Kirchen, christliche Colleges und Highschools chartern Busse für die Anreise und das Publikum wird abwechselnd mit Christen-Rock und Technobeats bei Laune gehalten. Viele tragen bunte Mützen und hüpfen auf und ab, während "Jesus ist Liebe / Jesus ist Hoffnung / Jesus ist das ewige Leben" über die Riesenbildschirme flimmert.

Jeanne Mancini, Präsidentin des "March for Life", präsentiert sich in ihrer Rede positiv und offen. Frauen, die eine Abtreibung suchen, sind Opfer und keine Täter. Ein Abbruch sei gar nicht mehr nötig, weil die heutige Medizin auch Frühgeborene bestens versorgen könne. Und ansonsten seien Adoptionen eine weitere mögliche Wahl. "Wisst ihr, dass Steve Jobs adoptiert wurde? Wie sähe die Welt aus, wenn es ihn nicht gegeben hätte: Es gäbe keine iPhones", ruft sie. Es wird jede Chance genutzt, künftige Aktivisten zu finden. "Nehmt eure iPhones raus und schickt eine SMS mit 'March4Life' an 99-000. Dann könnt ihr euren Abgeordneten kontaktieren, damit er für unsere Sache kämpft."

Mancini weiß, dass nun Vergleiche mit dem gegen Trump gerichteten "Women's March" gezogen werden. Und so ruft sie: "Die wichtigste Zahl lautet 58 Millionen. So viele Amerikaner sind uns seit 1973 durch Abtreibungen verloren gegangen." Sie betont, dass Pro Life für Frauen kämpfe und fordert dazu auf, bei Twitter und Facebook unter #WhyWeMarch persönliche Beweggründe zu schildern. Ein anderer Hashtag lautet #myunintendedjoy: Hier beschreiben Eltern, welche Freude ihnen ihre Kinder machen, die behindert oder ungeplant zur Welt kamen.

"Jedes getötete Baby beraubt uns unseres Potenzials"

Der populärste Slogan auf den Plakaten lautet "Defund Planned Parenthood" - die gemeinnützige Einrichtung Planned Parenthood (PP), die ärmeren Frauen medizinische Versorgung zukommen lässt, steht seit Jahren in der Kritik der Konservativen, weil sie in einigen Kliniken auch Abtreibungen vornimmt. Der Organisation staatliche Mittel zu streichen, das fordern alle Redner beim "March for Life". Hier treten auch Latinos ans Mikrofon und schwarze Footballspieler.

Es ist aber eine Politikerin, die das Publikum zu Tränen rührt: die Abgeordnete Mia Love schildert das harte Leben ihrer Eltern, als diese aus Haiti in die USA kamen und ein weiteres Kind erwarteten. "Sie haben sich für das Leben entschieden und nie gedacht, dass dieses Kind als erste schwarze Republikanerin in den Kongress gewählt werden wird", sagt sie. Love perfektioniert die Pro Life-Botschaft: "Jedes Mal, wenn wir ein Kind durch Abtreibung töten, berauben wir uns unseres Potenzials." Ihr Argument: Jedes dieser Babys könnte zu einem tollen Wissenschaftler, Astronauten, Lehrer oder liebendem Elternteil werden.

Der große Marsch der Abtreibungsgegner durch die US-Hauptstadt fand wenige Stunden vor dem umstrittenen Präsidialdekret Trumps statt, durch das die Bürger aus sieben mehrheitlich muslimischen Staaten nicht mehr in die USA einreisen dürfen. Dies dürfte vielen in der Pro Life-Bewegung nicht gefallen: Ellen Kolb etwa sprach direkt die mögliche Flüchtlingspolitik an und kritisierte Trumps Pläne, Millionen illegale Einwanderer auszuweisen.

Und viele College-Studenten, die in Washington demonstrierten, betonen ihre Weltoffenheit und kritisieren Trump offen. Die Mitglieder des Pro Life-Clubs an der Ohio State University etwa setzen sich nicht nur gegen Schwangerschaftsabbruch ein, sondern engagieren sich auch gegen Menschenhandel, die Todesstrafe und wollen Suizide verhindern. Megan Ryser aus Columbus in Ohio betont, dass sie nicht aus religiösen Gründen in der Bewegung aktiv sei: "Es ist eine ethische Frage. Jedes Baby hat seine eigene DNA, das darf man nicht töten und so viel Potenzial zerstören. Für mich ergibt das keinen Sinn."

Linktipp: In diesem New York Times-Artikel analysiert Michelle Goldberg sehr treffend das Verhältnis zwischen Trump und der religiösen Rechten Amerikas. Bei Slate kritisiert Mark Joseph Stern Mike Pence für dessen "Doublespeak" und wirft dem Vizepräsidenten vor, sich nicht für das Schicksal der betroffenen Frauen zu interessieren. Im konservativen Weekly Standard wird erklärt, wieso man sowohl Feministin als auch "Pro Life" sein kann.

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