Neuer Rechtsterrorismus:Böses Erwachen für den Verfassungsschutz

Die Warnungen vor Rechtsterrorismus sind mehr als ein Jahrzehnt alt. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 allerdings konzentrierten sich die Verfassungsschützer auf den Islamismus - jetzt müssen sie sich Versäumnisse vorwerfen lassen.

Die Hinweise auf einen rechtsextremistischen Hintergrund der sogenannten Döner-Mordserie hat Sicherheitsbehörden und Politiker aufgeschreckt. Viele reagierten am Wochenende überrascht und schockiert auf die Wende bei den Ermittlungen zu den Morden an acht Türken, einem Griechen und einer Heilbronner Polizistin zwischen 2000 und 2007.

Dabei sind die Warnungen vor einem rechten Terrorismus schon mehr als ein Jahrzehnt alt. Im Jahr 2000 stellte Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm kurz nach seinem Amtsantritt fest, dass nicht nur bei einzelnen Rechtsextremisten, sondern auch bei rechten Organisationen immer häufiger Waffen gefunden würden. Bisher sei es zwar gelungen, Ansätze von Rechtsterrorismus zu unterbinden, sagte er, fügte allerdings hinzu: "Das ist keine Garantie für die Zukunft."

Ein Jahr später stellten die Anschläge vom 11. September 2001 die Arbeit des Verfassungsschutzes auf den Kopf. Rechts- und Linksextremismus rückten in den Hintergrund, islamistische Bestrebung standen fortan im Mittelpunkt der Arbeit des Inlands-Geheimdienstes. Jetzt folgt das böse Erwachen. Die elf Jahre alte Warnung Fromms scheint wahr geworden zu sein und die Verfassungsschützer müssen sich vorwerfen lassen, einen wichtigen Gefahrenbereich vernachlässigt zu haben.

Das Neonazi-Trio aus Jena, dem die zehn Morde vorgeworfen werden, war den Sicherheitsbehörden seit den 90er Jahren wegen Verbindungen zum rechtsextremischen "Thüringer Heimatschutz" bekannt. Nachdem die Polizei Anfang 1998 in einer Garage in Jena eine Bombenwerkstatt ausgehoben hatte, verlor sich die Spur der zwei Männer und einer Frau. 13 Jahre lang galt das Trio als untergetaucht.

Vor einer Woche sollen sich die beiden Männer nach einem Banküberfall selbst erschossen haben, die Frau sitzt in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft nahm Ermittlungen wegen Terrorverdachts auf. Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach nennt es "erstaunlich", dass die drei mehr als ein Jahrzehnt untertauchen können. Sein CSU-Kollege Hans-Peter Uhl wird noch etwas deutlicher. "Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich aus all dem noch ein Verfassungsschutzproblem ergibt." Hinter vorgehaltener wird in Berliner Sicherheitskreisen der Verdacht geäußert, der Verfassungsschutz könnte das Neonazi-Trio als Informanten in der rechte Szene geführt und ihnen eine neue Identität verschafft haben.

Das lässt ungute Erinnerungen an den V-Leute-Skandal wach werden, der 2003 das NPD-Verbotsverfahren zum Scheitern gebracht und Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat bis auf die Knochen blamiert hatte. Damals war nachträglich bekanntgeworden, dass sich das staatliche Beweismaterial gegen die rechtsextremistische Partei teilweise auf Aussagen von V-Leuten des Verfassungsschutzes stützte.

Der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Thomas Sippel, äußerte sich am Wochenende vorsichtig zu der V-Leute-Frage. Bei einer Überprüfung im Jahr 2000 seien keine Hinweise darauf gefunden worden, dass die drei Verdächtigen als Informanten geführt wurden. Allerdings hätten "letzte Zweifel nicht beseitigt" werden können. Ob es sich tatsächlich um Rechtsterrorismus im Sinne einer Braunen Armee Fraktion handelt, ist unter den Experten noch umstritten.

Eine DVD, die in dem ausgebrannten Haus der Gruppe in Zwickau gefunden wurde, enthält nach einem Spiegel-Bericht aber starke Indizien dafür. Neben den Morden soll das Trio sich darin zu einem Nagelbombenanschlag in einer überwiegend von türkischen Einwanderern bewohnten Straße in Köln 2004 bekennen und weitere Anschläge ankündigen. Ihre Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" sollen sie als ein "Netzwerk von Kameraden mit dem Grundsatz Taten statt Worte" beschreiben.

Mögliche Versäumnisse des Verfassungsschutzes in Thüringen soll nun eine Kommission untersuchen. Auch das für die Geheimdienste zuständige Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags will sich einschalten. Die Diskussion über die Konsequenzen aus der mutmaßlichen Neonazi-Mordserie hat unterdessen längst begonnen. Ein neues NPD-Verbotsverfahren und der Aufbau eines Abwehrzentrums gegen Terror von rechts und links stehen bereits im Raum.

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