Neuer Präsident des Zentralrats der Juden:Josef Schusters wichtigste Aufgabe

Zentralrat der Juden wählt neuen Präsidenten

Josef Schuster, der neu gewählte Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland

(Foto: dpa)

Es gibt Antisemitismus in Deutschland. Die politische Haltung ist eindeutig: Das darf nicht geduldet werden. Ist es da wirklich nötig, dass auch der Zentralrat die Bekämpfung des Judenhasses als eine seiner wichtigsten Aufgaben sieht?

Gastbeitrag von David Ranan

Was wünscht man Josef Schuster, dem neuen Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland - was wünscht man sich von ihm? Diesen Beitrag hätte es eigentlich nicht geben sollen. Die Frage hätte kein Thema sein sollen. Sie ist es aber. Der politisch interessierte Deutsche kennt den Namen des Präsidenten des Zentralrats der 100 000 Juden in Deutschland. Wie viele kennen die Namen der Vertreter der vier Millionen Muslime in Deutschland?

Schusters Vorgänger Dieter Graumann lud nach seiner Wahl 2010 zur ersten Direktoriumssitzung des Zentralrats zwei führende Vertreter der Muslime in Deutschland ein, den Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde und den Vorsitzenden des Zentralrats der Muslime. In der Presse wurde über "sehr kritische und sehr konstruktive" Gespräche berichtet. Graumann erklärte, es sei besorgt über den immer stärker werdenden Antisemitismus unter muslimischen Jugendlichen; "wir hoffen, dass die muslimischen Verbände mehr dagegen tun werden", sagte er. Dies sei ihm auch zugesichert worden.

Als im Sommer der Gaza-Krieg tobte, gab es in Deutschland - wie auch in anderen Ländern - heftige Anti-Israel-Demonstrationen. Viele der Demonstranten waren Muslime, einige von ihnen wurden gewalttätig. Das Antiisraelische schwappte ins Antijüdische; es gab Gewalt gegen Menschen wie Synagogen. Die Juden waren enttäuscht, wütend und besorgt. Charlotte Knobloch, Graumanns Vorgängerin im Amt des Zentralratspräsidenten, riet sogar allen Juden, sich "nicht als Jude erkennbar zu machen". Graumann warf den muslimischen Verbänden vor, sie täten zu wenig gegen Antisemitismus (was die vehement bestritten) und beklagte die Sprachlosigkeit zwischen Juden und Muslimen: "In diesen Tagen haben wir keinen Kontakt. Die Lage im Nahen Osten bringt uns auseinander. Zwangsläufig haben wir unterschiedliche Meinungen und vor allem Emotionen." Er sprach über das Vertrauen, das zerstört worden sei - "das müssen wir gemeinsam wieder aufbauen."

Was wäre nun die Aufgabe für Josef Schuster? In der Süddeutschen Zeitung hieß es kürzlich, von ihm werde erwartet, dass er Mahner gegen den Antisemitismus sei, mit Israel solidarisch, und dass er die jüdischen Gemeinden zusammenhalten müsse, die noch von den Alteingesessenen geführt werden, aber deren Mitglieder zum größten Teil Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion sind. Die Gemeinden muss ein Zentralratspräsident einigermaßen zusammenhalten - klar. Und sonst?

Der Zentralrat muss nicht die Deutschen erziehen. Er muss auch nicht Sprachrohr Netanjahus sein

Die kleine Schar der überlebenden Juden, die sich nach dem Holocaust in Deutschland niederließ, musste sich vor den anderen Juden in der Welt dafür rechtfertigen, warum sie im Land der Mörder blieb. Damals sagten die Juden in Deutschland, beziehungsweise ihr Vertreter, sie hätten wichtige Aufgaben in Deutschland. Sie müssten die Demokratie sichern, Antisemitismus verhindern, Mittler sein zwischen den Deutschen und den Juden in aller Welt, und vor allem in Israel. Schon damals klang das merkwürdig und überforderte die kleine Gemeinschaft.

Diese Zeiten sind nun aber vorbei. Juden in Deutschland haben zwar enge Beziehungen zu Israel, reden aber nicht mehr davon, dass das Land ihre wahre Heimat sei. Der Zentralrat der Juden muss nicht die deutsche Gesellschaft erziehen, er muss nicht mahnen vor Antisemitismus und Rassismus, nicht er muss die Erinnerung an den Holocaust lebendig halten. Er soll auch auf keinen Fall Sprachrohr der israelischen Regierung sein. Der Zentralrat repräsentiert weder Israel noch das ganze jüdische Volk.

Antisemitismus darf nicht geduldet werden

Es gibt Antisemitismus in Deutschland. Doch die Haltung der politischen Klasse ist eindeutig: Antisemitismus darf nicht geduldet werden. Ist es da wirklich nötig, dass auch der Vertreter der Juden mahnt, dass er die Bekämpfung des Antisemitismus als eine seiner wichtigsten Aufgaben sieht? Bringt es überhaupt etwas? Hört jemand zu? Ist es vielleicht sogar kontraproduktiv, bringt es den Zentralrat nicht vielmehr in jene Meckerecke, aus der Dieter Graumann den Zentralrat führen wollte, als er vor vier Jahren sein Amt antrat? Die vom Zentralrat in Berlin organisierte Demonstration "Steh auf! Nie wieder Judenhass", war da ein Zeichen. Zur Kundgebung, die im September am Brandenburger Tor stattfand, kamen Bundespräsident Joachim Gauck, Kanzlerin Angela Merkel, Vertreter aller politischen Parteien und der Kirchen. Doch obwohl aus ganz Deutschland die Anreise von Juden organisiert wurde, kamen lediglich 5000 Teilnehmer zusammen. Das kann man schwer als Erfolg sehen.

Was Israel betrifft, ist die Solidaritätspolitik oft lächerlich, manchmal auch schädlich. Der Zentralrat ist mit seiner beinah automatischen Zustimmung zur israelischen Politik nicht singulär: Kürzlich warf in London der Board of Deputies of British Jews - treu der Netanjahu-Linie - den Palästinenserbehörden vor, Mitschuld an den neuen Spannungen in Jerusalem zu haben, und verlangte von der internationalen Gemeinschaft, dass sie von Palästinenserpräsident Abbas ein Ende dieser "gefährlichen Provokation" verlange. Dabei gibt es in Israel auch andere Stimmen. So hat der Chef des israelischen Sicherheitsdienstes genau das Gegenteil erklärt: Seiner Meinung nach liegt die Schuld bei den israelischen Rechtsradikalen. Es sollte den Juden in Deutschland Solidarität mit Israel möglich sein, ohne wie das Sprachrohr der israelischen Regierung zu klingen.

Es scheint, als würden beide Seiten im Nahostkonflikt eine sehr alte Waffe wiederentdecken und in ihren Krieg hineinholen: den religiösen Fanatismus. Damit würde ein Konflikt, in dem es um Land geht und nicht um Glauben, zum Religionskrieg. Es sollte Aufgabe aller sein, dies zu vermeiden. Und von Deutschland aus sollte der drohende Glaubenskrieg auf keinen Fall gefördert werden.

Dieter Graumann hat viele Verdienste in seiner Amtszeit. Er hat in der Beschneidungsdebatte sensibel und erfolgreich mit der Bundesregierung verhandelt, von der Lösung profitieren auch die Muslime im Land. Trotz aller guten Absichten ist Graumann aber im Aufbau der Beziehungen zur muslimischen Bevölkerung und deren Vertretern gescheitert. Das lag sicher nicht nur an der jüdischen Seite - die muslimischen Verbände sind aufgesplittert und leiden unter Rivalität. Das macht eine Koordination schwieriger. Aber die Notwendigkeit - wie man im Sommer sehen konnte - ist da, und sie ist groß. Die Aussage "die Lage im Nahen Osten bringt uns auseinander" darf nicht siegen.

Dass dies gelingt - das wäre dem neuen Präsidenten des Zentralrats zu wünschen.

Über den Autor

Der Schriftsteller David Ranan, 68, stammt aus einer deutsch-jüdischen Familie, wuchs in Israel auf und lebt heute in London. In seinem jüngsten Buch lässt er junge Juden über ihr Leben in Deutschland erzählen.

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