Neuer Nato-Generalsekretär:Offene Tür, gut bewacht

New NATO Secretary General Jens Stoltenberg takes office

Der neue Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am 1. Oktober in Brüssel

(Foto: dpa)
  • Der neue Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist an diesem Montag zu seinem ersten Auslandsbesuch in Polen.
  • Stoltenberg will in Warschau Gespräche mit Präsident Bronislaw Komorowski und Verteidigungsminister Tomasz Siemoniak führen.

Kommentar von Daniel Brössler

Jens Stoltenberg, der neue Nato-Generalsekretär, konnte sein Amt mit einem Bonus antreten. Ihm wird zugutegehalten, was sein Vorgänger Anders Fogh Rasmussen angeblich hat vermissen lassen: Besonnenheit. Womöglich wird sich der frühere norwegische Ministerpräsident tatsächlich im neuen Amt als Mann leiser Töne erweisen. Und vermutlich wird es helfen, dass er etwas von Russland versteht. Wer von Stoltenberg nun aber erwartet, dass er als Erstes Wladimir Putin besänftigt, wird enttäuscht werden. Stoltenberg hat eine andere Aufgabe. Er muss das Bündnis für das Schlimmste wappnen, um das Schlimmste zu verhindern.

Der Generalsekretär drückt das durch seine erste Reise im Amt aus. Sie führt ihn am Montag nach Polen. Den östlichen, insbesondere den an Russland grenzenden Nato-Mitgliedern soll aufs Neue versichert werden, dass der Schutz des Bündnisses auch für sie gilt. Der Kompromiss des Gipfels von Wales besagt, dass sich die Allianz einerseits auch weiterhin an die Nato-Russland-Grundakte gebunden fühlt, andererseits aber im Osten eben so viel Flagge zeigt, wie es die Grundakte nicht verbietet. Stoltenberg muss diesen Kompromiss mit Leben erfüllen, und zwar in einer Weise, die den Neuen ein Gefühl der Sicherheit gibt.

Weil eine permanente Anwesenheit großer Nato-Verbände im Osten der Grundakte widerspräche, ist den Grenzländern mit zum Teil großen russischen Minderheiten eine rotierende Präsenz von kleineren Truppen des Bündnisses versprochen. Gebildet werden soll außerdem eine "Speerspitze", die in der Lage ist, schnell auf Bedrohungen zu reagieren. Seit Russland sich das Recht vorbehält einzugreifen, wo immer russischsprachigen Menschen angeblich Leid geschieht, kann die Nato gar nicht anders, als Vorkehrungen zu treffen.

Es darf kein Zwischeneuropa geben, das Russland dominiert

Stoltenbergs Aufgabe besteht nun darin, das zu organisieren. Nicht um die Peripherie der Allianz geht es dabei, sondern um ihren Kern, um das Beistandsversprechen in Artikel 5 des Nato-Vertrages. Würde Russland Gewalt gegen ein baltisches Nato-Mitglied wagen, wäre die Allianz entweder im Krieg oder tot. Die Nato existiert nur genau so lange, wie ihr Beistandsversprechen glaubwürdig wirkt. Stoltenberg und die Nato können sich in dieser Hinsicht keine Zweideutigkeiten erlauben.

Das allerdings führt das Bündnis geradewegs in ein Dilemma. Je stärker es den Schutz betont, der sich für die Mitglieder aus Artikel 5 des Nato-Vertrages ergibt, desto offenkundiger wird die Schutzlosigkeit der Nichtmitglieder. Der neue Generalsekretär hat die Pflege der Partnerschaften als eine seiner drei Prioritäten neben der Verteidigungsbereitschaft und dem transatlantischen Band genannt. Doch was folgt daraus? Offiziell verfolgt die Nato eine Politik der offenen Tür, doch in Wahrheit ist es die am besten bewachte offene Tür der Welt. Die Allianz spendet dieser Tage Trost, aber keine Beitrittsperspektiven. Wladimir Putin will keine neue Nato-Erweiterung mehr zulassen, und die Versuchung ist groß, ihm in diesem Punkt entgegenzukommen.

Besonnenheit in brandgefährlichen Zeiten

Ohnehin hält ein Teil der Öffentlichkeit im Westen die Nato für mitschuldig am Ukraine-Konflikt. Verblüffend groß ist die Bereitschaft, die Annexion der Krim und den Einfall im Osten der Ukraine als Akt russischer Selbstverteidigung zu entschuldigen. Wer das so sieht, ist geneigt, sich mit einer Nachkrimordnung abzufinden, in der es für Russlands Nachbarn kein Recht auf freie Bündniswahl gibt.

Schwerer hat es, wer das nicht so sieht. Er muss in brandgefährlicher Zeit besonnen agieren und kann es doch nicht verantworten, ganze Nationen in einer Art Zwischeneuropa sich selbst und der Willkür eines großen Nachbarn zu überlassen. Jens Stoltenberg steht vor einer schwierigen Mission - hoffentlich keiner unmöglichen.

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