Neuer Kommissionspräsident gesucht:Das große Kungeln

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Für den Chefposten in Brüssel ist der Luxemburger Jean-Claude Juncker im Gespräch, doch es gibt starke Gegner.

Von Alexander Hagelüken und Christian Wernicke

Wäre Europas Union eine ausgewachsene Demokratie, hätten die Bürger am 13. Juni eine wirkliche Wahl:

Dann nämlich müssten die großen Parteifamilien der Christdemokraten und Sozialisten zur Europawahl kontinentale Spitzenkandidaten präsentieren, von denen die Völker einen zum neuen Präsidenten der Brüsseler Kommission bestimmen könnten.

Doch so viel Demokratie wollen Europas Machthaber nicht wagen. Die Schröders, Blairs und Aznars kungeln den Topjob untereinander aus. Zeit und Ort stehen schon fest:

Romano Prodis Nachfolger wird auf einem EU-Gipfel in Brüssel vier Tage nach der Europawahl nominiert.

Unterschiedliche Vorlieben

Immerhin: Bei der Vergabe soll das Ergebnis der Wahl "berücksichtigt" werden, wie es der Entwurf der EU-Verfassung vorsieht.

Da alle Prognosen einen Sieg der Konservativen ausmalen, scheint nur ein Mitte-Rechts-Kandidat für das Spitzenamt in Frage zu kommen. Doch wer? Selbst die drei Größten unter Europas Sonne haben da unterschiedliche Vorlieben:

Gerhard Schröder wird nachgesagt, er bevorzuge Jean-Claude Juncker.

Der gefällt auch Jacques Chirac. Doch der Luxemburger stellt sich just am 13. Juni zur heimischen Wiederwahl, Gelüste nach Brüssel streitet er pflichtgemäß ab.

Noch schwerer wiegt, dass Tony Blair den Luxemburger nicht leiden kann - angeblich, so ein Diplomat, "will Blair fast alles tun, um Juncker zu stoppen".

Der habe im Streit um den Irak-Krieg auf der falschen Seite gestanden und denke wirtschaftspolitisch viel zu kontinental. Zu "sozial" also.

Als zweite Wahl von rechts bietet sich Wolfgang Schüssel an. Der österreichische Kanzler hätte zwar Blairs Segen, doch plagt Schröder und mehr noch Chirac eine tiefe Abneigung seit des Wieners innenpolitischen Eskapaden mit der rechtslastigen FPÖ eines Jörg Haider.

Bliebe als Ausweg noch Belgiens früherer Premier Jean-Luc Dehaene.

Der Flame galt schon einmal, Mitte der neunziger Jahre, als auserkoren, scheiterte jedoch am Veto aus London. Seither ist der beleibte Dehaene auf der Insel als "Euro-Föderalist" verschrien.

Weil die Konservativen derzeit keinen Kandidaten aufbieten können, der das Wohlgefallen wenigstens aller drei großen Staaten fände, gelten plötzlich wieder nicht-schwarze Aspiranten als "präsidentiabel".

Schließlich, so kalkuliert ein Diplomat, "werden die Christdemokraten im neuen EU-Parlament nur die relative Mehrheit haben - und nicht die absolute Macht".

Notfalls müsse man dann die nötige Zustimmung im Hohen Haus zu Straßburg mit einer bunten Mitte-Links-Koalition auf die Beine stellen.

Als roter Anwärter offenbart hat sich Finnlands Ex-Premier Paavo Lipponen.

Leise (und aussichtsreichere) Ambitionen hegt Costas Simitis, noch bis März Athener Regierungschef. Und in Brüssel bietet sich EU-Innenkommissar Antonio Vitorino an.

EU-Option Kompromiss

Die dritte Möglichkeit ist, dass es weder ein Rechter noch ein Linker wird - und es einen typisch europäischen Kompromiss gibt.

Für einen dritten Weg jenseits der großen Lager hält sich der liberale belgische Premier Guy Verhofstadt bereit, der sich allerdings durch eine US-skeptische Haltung im Irak-Krieg Kritiker geschaffen hat.

Wie auch immer der neue Kommissionspräsident heißt, seine Mannschaft wird ganz anders aussehen als das heutige Team. Zahlreiche Amtsinhaber scheiden aus (siehe Kasten).

Unter den alten und neuen Aspiranten hat der Kampf um die interessantesten Posten in der neuen Truppe begonnen.

Als künftiger einziger französischer Vertreter gilt Regionalkommissar Michel Barnier, der wie die Pariser Regierung und anders als der EU-Handelsbeauftragte Pascal Lamy aus dem konservativen Lager kommt.

Barnier interessiert sich für Außenpolitik oder Wettbewerb - ein Ressort, in das viele drängen. Bei der Prüfung von Fusionen und Subventionen für Unternehmen kann ein Kommissar ohne die Mitgliedstaaten schalten und walten wie in kaum einem anderen Brüsseler Amt.

Der Niederländer Frits Bolkestein macht Barnier dieses Ressort streitig.

In seiner Funktion als Binnenmarktkommissar hat der kompromisslose Marktliberale Staaten wie Deutschland verschreckt.

Kürzlich erlitt er eine herbe Abfuhr für seine Pläne, feindliche Übernahmen zu erleichtern - und polterte vor Vertrauten sofort, nun gehe es eben den Privilegien der deutschen Sparkassen an den Kragen.

Bolkestein hat Krach mit seiner eigenen liberalen Partei. Daher könnten ihm andere Kandidaten aus der Heimat den Rang ablaufen - Außenminister Bernard Bot oder Finanzminister Gerrit Zalm, der Währungskommissar werden möchte.

Chancen für Monti

Zalm ist der härteste Sparapostel des Kontinents und im Kollegenkreis der EU-Finanzminister isoliert.

Der Italiener Mario Monti hat bessere Chancen, oberster Hüter des Euro zu werden. Monti versteht sich erstaunlicherweise mit Regierungschef Silvio Berlusconi wie auch dessen Widersacher Prodi.

Monti muss nur das Privileg rechtfertigen, nach Wettbewerb und Binnenmarkt ein drittes Brüsseler Amt zu übernehmen.

Auf der britischen Insel wird vor allem Peter Mandelson als neuer Kommissar genannt. Der Blair-Vertraute könnte das Handelsressort bekommen.

Der irische Verbraucherkommissar David Byrne würde gerne erneut antreten, muss sich aber erst der Zustimmung seiner Regierung versichern. In Dublin buhlt auch Europaminister Dick Roche um die Entsendung ins Herz Europas.

Die schwedische Umweltkommissarin Margot Wallström darf sich für die Felder Umwelt oder Soziales warm laufen - wenn sich die Verärgerung des Stockholmer Premiers Göran Persson legt, den Wallström öffentlich für die Niederlage beim Euro-Referendum verantwortlich machte.

Besonders für die kleineren Staaten wird es schwierig, im Herbst ein halbwegs wichtiges Amt in Brüssel zu erstreiten.

Künftig gibt es wegen der Erweiterung 25 statt 20 Kommissare. Für die meisten mittelosteuropäischen Staaten dürften nur zweitrangige Posten wie Kultur oder Entwicklungshilfe übrig bleiben.

"Ein wichtiges Amt muss man den neuen EU-Mitgliedern geben", sagt ein einflussreicher Brüsseler. Im Zweifel werden diesen Posten die Polen für ihre Kandidatin Danuta Hübner ergattern.

© SZ vom 21.2. 2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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