Neuer Dioxin-Alarm:Aigner geht zum Angriff über

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Der Dioxin-Skandal ist noch nicht zu Ende. Agrarministerin Aigner hält den neuen Fall zurückgehaltener Daten eines niedersächsischen Futterherstellers für einen "Skandal im Skandal". Sie fordert personelle Konsequenzen.

Das Ausmaß des Dioxin-Skandals steht noch lange nicht fest. Erst sind noch knapp 400 Höfe bundesweit gesperrt, dann wird bekannt, dass ein Futterhersteller in Niedersachsen Daten verschwiegen hat - fast 1000 Höfe zusätzlich stehen nun neu unter Dioxin-Verdacht. Und die Verbraucher haben noch keine Klarheit, wie viel Gift in Fleisch und Eier geraten ist.

Für Ilse Aigner bringt der neue Fall das Fass zum Überlaufen. Die Bundesverbraucherschutzministerin war am Freitag in Niedersachsen, hatte aber erst am Samstag von der Ausweitung des Dioxin-Skandals erfahren. Zudem steht sie selbst unter Druck - und dreht nun den Spieß um. Die CSU-Politikerin forderte Niedersachsens CDU-Ministerpräsident David McAllister auf, innerhalb weniger Stunden personelle Konsequenzen zu ziehen und die Verantwortlichen abzulösen.

Aigner nannte keine Namen. Im Fadenkreuz sind aber der kommissarische Agrarminister Hans-Heinrich Sander (FDP) und Agrarstaatssekretär Friedrich-Otto Ripke.

Das Ultimatum Aigners löste in Regierungskreisen Niedersachsens Kopfschütteln aus. Aigner stehe unter Druck und wolle offensichtlich davon ablenken, hieß es. McAllister wies die Kritik von Aigner umgehend zurück. "Jetzt geht es darum, dass wir in der Sache voran kommen. Dafür müssen die Verantwortlichen von Bund und Ländern weiterhin vertrauensvoll zusammenarbeiten und deswegen beteilige ich mich an solchen Personaldebatten grundsätzlich nicht", sagte er.

Agrar-Staatssekretär Friedrich-Otto Ripke sagte: "In schwierigen Situationen muss ruhig entschieden werden. Das erwarte ich auch vom Bundeslandwirtschaftsministerium." Ripke ist in Niedersachsen für das Krisenmanagement zuständig. Über den neuerlichen Fall sei er nicht erfreut, werde aber eine saubere Abwicklung im Sinne des Verbraucherschutzes weiter betreiben. "Ich arbeite weiter", sagt Ripke, der sich an der politischen Debatte nicht beteiligen wolle.

Aigner hatte Niedersachsen erst am Freitag besucht und sich dort im Niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) in Oldenburg über die Dioxin-Tests informiert. Dort hatte sie auch Minister Sander und Ripke getroffen. "Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern ist durch die Krise verstärkt worden", sagte Ripke bei diesem Anlass. Möglicherweise ein Trugschluss: Der neue Fall könnte schon vor Aigners Eintreffen in Oldenburg bekannt gewesen sein.

Bis Samstagabend beharrte Aigner noch einmal auf personellen Konsequenzen: "Ich stelle fest: Der Bund wurde von den Verantwortlichen in Niedersachsen nicht informiert und das kann nicht sein", sagte sie.

Die Opposition in Niedersachsen bemängelt seit Tagen das Krisenmanagement im Landesagrarministerium. Für Grünen-Fraktionschef Stefan Wenzel ist es ein völliges Versagen. "Sonst könnte nicht drei Wochen nach erstem Bekanntwerden des Dioxinverdachts ein weiterer Lieferant auftauchen, der hunderte von landwirtschaftlichen Betrieben mit dioxinverseuchten Futtermitteln versorgt hat." Die Forderungen von Aigner kann er nachvollziehen. Wenn Ripke und Sander beim Besuch von Aigner in Oldenburg von dem neuen Fall gewusst hätten, bliebe McAllister "nichts anderes übrig als die beiden Herren zu entlassen".

Der Staatssekretär trat schon vergangene Woche ins Fettnäpfchen. Am Dienstag schloss er kategorisch aus, dass Dioxin-Fleisch in den Handel gelangt sei. Dagegen teilte der Kreisveterinär in Verden mit, dass Schweine mit Dioxin-belastetem Futter versorgt wurden, die noch vor Sperrung der Höfe geschlachtet worden waren. Einen Tag später hieß es, Ripke sei nicht auf dem neuesten Stand gewesen. Die Situation verschärft, dass das Landesministerium derzeit ohne Chef ist: Der neue Agrarminister Gert Lindemann wird nach dem Rücktritt von Astrid Grotelüschen erst an diesem Mittwoch vereidigt.

Der Fall führt auch zu erneuter Kritik an der Bundesministerin: SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier monierte das Krisenmanagement der Bundesregierung: "Die Regierung versagt, solange die Menschen an jedem neuen Tag erfahren müssen, was sie am Tag zuvor nicht hätten essen sollen", sagte er der Passauer Neuen Presse. "Das Ministerium muss den Bauern helfen, die unverschuldet betroffen sind." Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) reagierte skeptisch auf die Forderung Aigners, den Strafrahmen bei Panscherei mit Futtermitteln auszuweiten. Das Strafrecht könne Schäden nicht verhindern, die Vorbeugung habe Priorität. Aigner will eine Verschärfung gemeinsam mit Leutheusser-Schnarrenberger prüfen.

Der neuerliche Dioxin-Fall war durch Lieferlisten bekanntgeworden. Das LAVES entdeckte, dass ein größerer Futtermittelhersteller aus Damme zu wenige Betriebe im Verhältnis zu seiner Betriebsgröße angegeben hatte, sagte der Sprecher des Landwirtschaftsministeriums, Gert Hahne. Warum der Betrieb erst auf Druck der Behörden vollständige Listen lieferte, ist noch offen.

Ins Rollen kam der Dioxin-Skandal durch die Vermischung von Futterfett und Industriefett durch den Futtermittelhersteller Harles und Jentzsch aus Schleswig-Holstein. Als neue Dimension kommt nun offensichtlich das Verschweigen von Daten hinzu.

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