Neuer Bundespräsident gesucht:Der unmögliche Kandidat

Er soll Politik verstehen, aber kein Parteipolitiker sein. Er soll anständig sein ohne zu moralisieren. Er soll auf der Fröhlichkeitsskala zwischen Johannes Rau und Gregor Gysi liegen - mit einem Schuss Thomas Gottschalk: Warum es den Bundespräsidenten nicht gibt, den das Volk sich wünscht.

Kurt Kister

Der Mensch neigt dazu, sich Dinge zu wünschen, die er nicht bekommen kann. Er will am Gemeinwohl orientierte Bankiers, uneigennützige Politiker, ehrliche Gebrauchtwagenhändler und objektive Journalisten. Und außerdem möchten die Deutschen gerade einen neuen Bundespräsidenten, der kein Berufspolitiker sein soll, aber trotzdem Berlin versteht; der - wie Kurt Beck - nahe bei den Menschen ist und trotzdem - wie Wolfgang Schäuble - die Fallstricke des politischen Betriebs erkennt; der anständig ist, ohne zu moralisieren und der außerdem auch noch auf der Fröhlichkeitsskala zwischen Johannes Rau und Gregor Gysi mit einem Schuss Thomas Gottschalk liegt. Wäre er auch noch eine Frau, eine nicht zu schrille, wäre das noch besser.

Schloss Bellevue

Kommt wieder ein Seiteneinsteiger wie Horst Köhler, oder trifft die Wahl einen Politiker aus dem Zentrum der Macht? Schloss Bellevue, Amtssitz des Bundespräsidenten.

(Foto: dpa)

Nein, so einen Kandidaten gibt es nicht. Interessanterweise aber haben die Parteien schon bei der letzten Bundespräsidentenwahl im Mai 2009 versucht, ihre Annäherungen an den Idealkandidaten, der eben nicht aus dem Zentrum der Politik stammt, zu präsentieren. Da war einmal der Amtsinhaber Horst Köhler, der vor seiner ersten Wahl nicht als Politiker, sondern als Fachmann eine Karriere in Ministerien und Wirtschaft absolviert hatte. Köhler war in diesem Sinne vielleicht kein Seiteneinsteiger, aber einer, der aus den äußeren Ringen der politischen Welt rekrutiert worden war. Auf ihn, der zuvor unter den professionellen Spitzenpolitikern weder positiv noch negativ eine Rolle gespielt hatte, konnten sich die Profis Merkel, Westerwelle & Co. auch leichter einigen. Köhler hatte bis dahin keinen von ihnen verletzt, übervorteilt und auch mit niemanden gegen einen anderen intrigiert. Wie fremd Köhler allerdings den inneren Ringen bis zum Schluss geblieben ist, zeigte die Art und die Begründung seines Rücktritts.

Die SPD-Kandidatin Gesine Schwan, Professorin und Hochschulrektorin, stammte nicht einmal von den äußeren Ringen der Berliner Politik. Sie ist eine Art gehobene Hobbypolitikerin, der SPD mit penetrantem Liebreiz bis heute eng verbunden. Zwar begehrte sie heftig Einlass in den Berliner Machtbetrieb, stellte sich aber dennoch in ihrem Wahlkampf als die Frau von außen dar. Noch deutlicher war dies beim Kandidaten der Linken, dem Schauspieler Peter Sodann. Sodanns wenn auch begrenzte politische Popularität hing eng damit zusammen, dass er meist das Gegenteil von dem sagte, was "man" von einem Politiker, und sei es nur einem Präsidenten-Kandidaten, erwartete.

All die also, die Staatsoberhaupt werden wollten, bekräftigten mit Billigung der sie tragenden Parteien, dass sie eben keine Parteipolitiker und vielleicht nicht einmal Politiker wären. Das hängt eng damit zusammen, dass die Parteipolitiker, die ihren Kandidaten für die Präsidentschaft aufstellen, mittlerweile achselzuckend akzeptieren, dass das Volk eigentlich keinen Politiker mehr als Präsidenten will. Dies allerdings ist bei einem so hochpolitischen Amt wie dem des Bundespräsidenten problematisch. Ein Nicht-Politiker im Schloss Bellevue, der ja auch und gerade den Politikern Rat geben soll, erinnert ein wenig an einen Wasserscheuen, der den Nahrungstrieb der Haifische zu zügeln hat.

Sowohl die Art der Auswahl - Parteipolitiker bestimmen über den Kandidaten - als auch die macht- und koalitionspolitische Bedeutung dieser Auswahl haben bisher immer verhindert, dass ernsthaft ein Un-Politiker in die Nähe der Präsidentschaft gekommen wäre. So etwas könnte wohl nur gelingen, wenn es eine Direktwahl des Bundespräsidenten gäbe - wie sie übrigens der vom Gang der Dinge zunehmend frustrierte Horst Köhler öffentlich ventiliert hatte. Gerade wenn die Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung so klar sind wie jetzt, rückt die eigentliche Wahl machtpolitisch in den Hintergrund, während dagegen die Auswahl des Kandidaten entscheidend ist. Würde Merkel zum Beispiel jetzt versuchen, einen Kandidaten gegen den Willen der FDP durchzudrücken (wofür nichts spricht), wäre dies koalitionspolitisch ein Menetekel. Wollte sie dagegen den Koalitionswechsel vorbereiten (wofür gar nichts spricht), würde sie einen Kandidaten gemeinsam mit der SPD und damit gegen die FDP finden.

Diese schnöden Realitäten allerdings verhindern nicht, dass bei der Kandidatensuche für die Präsidentschaft immer wieder Personen genannt werden, die zwar keine Chance haben, aber der Erwartung entsprechen, man müsste mal einen anderen, einen ganz anderen Bundespräsidenten... Peter Sodann, der kabarettistische "Tatort"-Kommissar, war so einer. 1984 benannten die Grünen die Schriftstellerin Luise Rinser. In dieser Woche schlug die niedersächsische SPD Margot Käßmann vor, jene Bischöfin, die durch ihren Rücktritt nach dem Überfahren einer roten Ampel aus ihrem Priesterrock nahezu einen Mantel der moralischen Unfehlbarkeit zu machen verstand. Käßmann ist bei vielen Menschen, die eher nicht CDU oder FDP wählen, sehr populär. Angela Merkel würde wohl eher eine Fußwallfahrt nach Altötting unternehmen, als Käßmann zur Bundespräsidentin zu machen.

Leider werden diese Kandidaten stets von jenen Parteien ins Spiel gebracht, denen es an der Mehrheit in der Bundesversammlung gebricht. Als es 1999 eine rot-grüne Mehrheit gab, wurde Johannes Rau, ein verdienter Mann und Parteipolitiker par excellence, ausgewählt und gewählt. Business as usual.

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